Ab nach Göttingen – und zurück
28.11.2025 BaselBlick in die Anfangszeit des Kantons Baselland
1851 zog es die beiden Oberbaselbieter Theologiestudenten Jonas Breitenstein und Martin Grieder, der später den Namen Birmann annahm, nach Göttingen. In seinen Briefen nach Hause, die jetzt als druckfrisches Buch vorliegen, ...
Blick in die Anfangszeit des Kantons Baselland
1851 zog es die beiden Oberbaselbieter Theologiestudenten Jonas Breitenstein und Martin Grieder, der später den Namen Birmann annahm, nach Göttingen. In seinen Briefen nach Hause, die jetzt als druckfrisches Buch vorliegen, berichtet Breitenstein von seinem Leben.
Martin Stohler
Johannes Breitenstein wurde am 22. August 1828 in Ziefen, Martin Grieder am 26. November desselben Jahres in Rünenberg geboren. Dass die beiden in Basel das Pädagogium, also das Gymnasium, besuchen und anschliessend ein Universitätsstudium absolvieren konnten, verdankten sie der Gründung des Kantons Baselland und dem damaligen Schulinspektor Johannes Kettiger. Der junge Kanton brauchte nach dem Entzug der Verwaltung durch die Stadt und nach dem Exodus der Basler Pfarrherren Männer mit entsprechender Ausbildung. Kettiger hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in den Dörfern nach begabten Buben Ausschau zu halten und für deren Förderung zu sorgen.
Für ihr Ausland-Studienjahr wählten die beiden Freunde Grieder und Breitenstein die Universität Göttingen. Trotz Stipendien bedeutete dieses Auslandjahr eine beträchtliche finanzielle Belastung. Vater Breitenstein, der neben seiner Tätigkeit als Primarlehrer noch Landwirt und Drechsler war, musste eigens einen Kredit aufnehmen. Und Martin Grieder, der aus äusserst bescheidenen Verhältnissen stammte, hätte gar nicht erst studieren können, wenn er nicht die Unterstützung der wohlhabenden Basler Witwe Juliana Birmann-Vischer gehabt hätte. Zusätzlich zu dieser Unterstützung wurde Martin Grieder 1853 von ihr adoptiert, wobei er ihren Namen annahm.
Nach ihrem Auslandaufenthalt von 1851/52 schlossen die beiden Freunde im Sommer 1852 ihr Studium mit dem Pfarrerexamen in Liestal ab. Jonas Breitenstein trat darauf eine Stelle als Pfarrer in Binningen an. Hier entstanden auch die meisten seiner literarischen Werke, darunter zwei Mundart- «Novellen» in Hexametern. Als sein Einkommen als Pfarrer nicht mehr dazu reichte, seine kinderreiche Familie zu ernähren, wurde er im Jahr 1870 vollamtlicher Sekretär der damals in Basel neu geschaffenen Freiwilligen Armenpflege. Dieses Amt versah er bis zu seinem Tod im Jahr 1877.
Anders als Johannes Breitenstein übernahm Martin Birmann keine Pfarrstelle, sondern setzte sich auf vielfältige Weise für arme Mitmenschen ein. So wirkte er bis 1888 als unbesoldeter Armeninspektor im Kanton Baselland und war vom Jahr 1853 bis zu seinem Ableben Präsident des Armenerziehungsvereins. Martin Birmann war unter anderem an der Gründung der «Basellandschaftlichen Zeitung» beteiligt, war bei der Baselbieter Hypothekenbank involviert und initiierte die Errichtung des neuen Krankenhauses in Liestal. Von 1869 bis zu seinem Tod im Jahr 1890 vertrat er den Kanton als Ständerat.
Kein ausschweifendes Leben
Wie Maja Samimi-Eidenbenz, zusammen mit Dominik Wunderlin Herausgeberin des Briefbandes, an der Buchvernissage diese Woche sagte, zeigen Breitensteins Briefe aus Deutschland «ein facettenreiches Bild seiner Beobachtungen». Jonas Breitenstein habe eine «unstillbare Neugier» gehabt und «den Dingen auf den Grund gehen wollen». Thematisiert werden in den Briefen neben der Anreise nach Göttingen – die zum Teil mit der Bahn und zum Teil mit der Kutsche erfolgte – auch eine Reise ans Meer sowie nach Mitteldeutschland während der Semesterferien.
Jonas Breitenstein passte den Inhalt seiner Briefe, wie Maja Samimi weiter darlegte, jeweils dem Charakter und den Wissensbedürfnissen des Empfängers beziehungsweise der Empfängerin an. Er zeigte auch in manchen Briefen ausgesprochen schriftstellerische Begabung. Etwa in der von Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart eindrücklich vorgelesenen Schilderung der stressvollen Situation, in die ein Eisenbahnpassagier in einem Bahnhof gerät, wenn er mit Gepäck umsteigen muss. Ist der Umstieg endlich geschafft, so Breitenstein, «pfeift der kalte Wind durch die erhitzten Glieder».
Aus anderen Briefen geht hervor, dass die beiden Baselbieter Studenten sich auf das Studium konzentrierten und kein ausschweifendes Studentenleben führten. Um Geld zu sparen, liessen sie das Mittagessen aus einer Garküche kommen und nahmen es auf dem Zimmer zu sich – das war halb so teuer, wie wenn sie in einem Gasthaus gegessen hätten.
Jonas Breitenstein und wohl auch Martin Grieder empfanden das Studium in Göttingen und die Reisen, die sie unternahmen, als bereichernde Horizonterweiterung. Dabei sahen sie sich nicht nur touristische Sehenswürdigkeiten an. In Hamburg etwa stand ein Besuch des «Rauhen Hauses» auf dem Programm. Diese Institution war 1833 von einer Stiftung als «Rettungsdorf» für verhaltensauffällige und straffällig gewordene arme Hamburger Kinder geschaffen worden.
Reisen auf Breitensteins Spuren
Neben Jonas Breitensteins Briefen enthält das schön bebilderte Buch auch einen Text aus heutiger Zeit von Mitherausgeber Dominik Wunderlin. Dieser hat auf den Spuren Breitensteins Deutschland bereist. Entstanden ist dabei ein Reiseführer mit Vorschlägen für Rundgänge durch die meisten Orte, über die Jonas Breitenstein nach Hause berichtet hatte.
An der gut besuchten Vernissage bei Bider und Tanner am vergangenen Dienstag hatte neben Alfred Rüdisühli, dem Verwaltungsratspräsidenten des Friedrich-Reinhardt-Verlags, in dem das Buch erschienen ist, auch Thomas Schweizer einen kurzen Gastauftritt. Alfred Rüdisühli freute sich, dass das schöne Buch im Friedrich-Reinhardt-Verlag erscheinen konnte, in dessen Programm es gut passe.Thomas Schweizer seinerseits überbrachte die Grüsse der vor Kurzem gegründeten «Literarischen Gesellschaft Baselland» und wünschte dem Buch, das in jeder Hinsicht die wissenschaftlichen Ansprüche erfülle, eine gute Aufnahme.
Maja Samimi-Eidenbenz, Dominik Wunderlin (Hrsg.): Jonas Breitenstein. «In der weiten wilden Welt. Deutschlandreisen 1851/1852».

