Wenn Pickelhauben weinen | Unterwegs im Nordpazifik, Teil 6: Pohnpei
Wir hätten problemlos von Guam ohne Stopp nach Hawaii fliegen können. Aber warum einfach reisen, wenn es sich auch kompliziert fliegen lässt? Wir landen in Pohnpei und blicken zurück ...
Wenn Pickelhauben weinen | Unterwegs im Nordpazifik, Teil 6: Pohnpei
Wir hätten problemlos von Guam ohne Stopp nach Hawaii fliegen können. Aber warum einfach reisen, wenn es sich auch kompliziert fliegen lässt? Wir landen in Pohnpei und blicken zurück auf die aberwitzige Geschichte der Insel.
Hanspeter Gsell
Wir haben uns für den «Island-Hopper», also den Insel-Hüpfer, entschieden. «Island-Hopping» bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir auf jedem noch so kleinen Sandhaufen zwischen Guam und Hawaii zwischenlanden werden. Chuuk, Pohnpei, Kwajalein und Majuro heissen diese kleinen Flecken im grossen Pazifik. Nachdem wir erst noch in Chuuk waren, hiess die Zwischenstation heute Pohnpei.
«In Pohnpei gibt es keinen Flugplatz, nur alte Ruinen», meinte ein Kollege zu mir. Er meinte mit Pohnpei natürlich die vom Ätna verschüttete Stadt Pompeji in der Nähe von Neapel. Um es noch etwas komplizierter zu machen: Während der deutschen Besetzung (1899 – 1914) hiess die Insel Ponape.
Nan Madol
Auch in Pohnpei gibt es eine Stadt aus Ruinen, sie heisst Nan Madol. Da Mikronesien weder über Erdöl, Erdgas noch über Seltene Erden verfügt, blieben die Anstrengungen, die Geheimnisse der Ruinenstadt zu lösen, dezent. Weder Jesus noch seine Jünger waren je in dieser Gegend unterwegs gewesen, somit war auch die Kirche nicht an teuren Ausgrabungen interessiert. Schon gar nicht, als man die Geschichte vom bösen Fluch vernahm.
1907 gab der kaiserliche Regierungsrat und stellvertretende Gouverneur der Insel, ein gewisser Victor Berg, mal kurz den Auftrag, «den Fluch auszugraben». Was man auch deutsch und ordentlich tat, das angebliche Grab des pazifischen Pharaos öffnete und dessen Totenruhe – was immer das auch heissen mag – «empfindlich störte».
Worauf der Herr Regierungsrat am nächsten Tag sofort und ohne eine Erklärung verstarb und sich in die lange Reihe plötzlich verstorbener Grabräuber einreihte.
Kaiser Wilhelm II.
Dienstag, der 18. Juli 1899, war ein strahlender Sommertag, und die kaiserliche Jacht «Hohenzollern» dümpelte träge in der Dünung der Nordsee. Kaiser Wilhelm II. hatte sich eben ein Stündchen auf seiner Lieblingsottomane ausgeruht, als bereits wieder Arbeit anstand. Der kaiserliche Sekretär, Herr Molde, legte ihm die neuesten Gesetze, Verfügungen und Erlasse zur Unterschrift vor. Mit adliger Hand unterzeichnete Herr Kaiser Beförderungsurkunden für treue Generäle, erhöhte Beamtenlöhne und Steuern und kaufte sich ein paar Inseln.
«WIR, Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preussen thun kund und fügen hiermit zu wissen: nachdem durch den am 30. Juni 1899 zwischen Unserer Regierung und der Königlich Spanischen Regierung geschlossene Vertrag die in diesem Vertrag näher bezeichneten Inselgruppen an Deutschland abgetreten worden sind, nehmen WIR hiermit im Namen des Reichs dieses Inselgebiet vom Zeitpunkt der Übergabe an Unsere Behörden ab unter Unsern Kaiserlichen Schutz.»
Nach Eingabe dieses Satzes schied das Korrekturprogramm meines Computers freiwillig aus dem Leben. Was mich jedoch hinsichtlich seiner auch sonst eher unterdurchschnittlichen Leistung nicht beunruhigte; ich wandte mich wieder diesem mir seltsam erscheinenden Inselhandel zu. Weshalb kauften WIR den Spaniern Inseln ab, die WIR bereits 1885 mit Gottes Gnaden annektiert hatten? Waren die Spanier etwa immer noch beleidigt darüber?
Natürlich waren sie es! Oder, wie die offizielle Sprachregelung lautete: «Es missfiel der spanischen Krone.»
Papst Leo XIII.
Und wie immer, wenn es heikel wurde, schaltete man den Papst ein. Leo XIII. zog sich zum Nachdenken in seine Sommerresidenz in Castel Gandolfo zurück.
Als er genügend nachgedacht hatte, beschied er den Preussen, sie sollten den Spaniern doch bitte schön und innert 30 Tagen den geforderten Rechnungsbetrag netto und prompt überweisen. Allerdings standen da noch mehr Inseln auf der kaiserlichen Einkaufsliste. Und vielleicht hätte man sich mit den Spaniern auch einigen können, wenn da nicht plötzlich die Amerikaner aufgetaucht wären. Die hatten soeben beschlossen, Kuba und die Philippinen von den Spaniern zu befreien.
Am frühen Morgen des 1. Mai 1898 begann der Spanisch-Amerikanische Krieg. Er würde am 13. August wieder enden; die Spanier verliessen die koloniale Weltbühne sang- und klanglos. Nur noch ein paar wenige Inseln im Pazifik waren übrig geblieben, und die wollte man zumindest noch gewinnbringend verkaufen.
Man erinnerte sich an die preussischen Offerten und liess durchsickern, dass man verkaufsbereit sei und ein günstiges Angebot machen könnte. Herr Kaiser schrieb der Krone höflich zurück und fragte, ob denn Kosrae, Ponape, Chuuk und Yap auch zu haben wären. Selbstverständlich seien diese zu haben, schrieb die Krone zurück. Und wenn man alle zusammennehmen würde, wäre man bereit, auch noch ein paar andere Inseln gratis dazuzulegen.
In der Zwischenzeit klopften auch die Belgier und die Japaner in Spanien an und trieben den ursprünglichen Preis von 2,4 Millionen US-Dollar auf satte 4,2 Millionen. Und seine preussischen Gnaden zahlten – laut Zeitzeugen zwar zähneknirschend, jedoch anstandslos. Die Investition würde heute jeden CEO Kopf und Kragen kosten. Aber der Deutsche Reichstag war begeistert, nur ein paar Sozis protestierten gegen die masslose Geldverschwendung und die «Kokosnussromantik». Diese Einwände wurden sogleich wieder aus dem Sitzungsprotokoll gestrichen, und bereits am 13. September 1899 lichtete man in Herbertshöhe die Anker, um die Kaufobjekte zu inspizieren und zu übernehmen.
Sie wissen nicht, wo Herbertshöhe liegt? Nun, Herbertshöhe liegt in Kaiser-Wilhelms-Land, inmitten von Neupommern, Neumecklenburg, Neuhannover; vor den Bismarckinseln im Bismarckarchipel. Diese lieblichen Ländereien gehörten zur Südseekolonie Deutsch-Neuguinea, einem Gebiet, das man sich schon vor Jahren heim ins Reich geholt hatte.
Rudolf von Bennigsen
Der dortige Gouverneur, ein gewisser Rudolf von Bennigsen, hatte nun die Aufgabe, die Übergabezeremonien auf den neuen Inseln durchzuführen. Am 12. Oktober 1899 war Ponape an der Reihe. Der Herr Gouverneur samt Gattin, ihrem Vize, einem Regierungsrat, einem Sekretär, einem Polizeimeister, dem Hafenmeister, dem Bezirksamtsmann und einem Sanitätsgehilfen hatten sich in Galauniform aufgestellt, gut bewacht von Offizierskorps und Mannschaften. Ihnen gegenüber standen die spanischen Verkäufer, umringt von staunenden Ponapern, Missionaren und anderen Gaffern. Trommelwirbel, spanische Flagge runter, deutscher Adler rauf. Kanonenschüsse, gegenseitiges Verleihen von Orden, Trommelwirbel, Salutschüsse, Hurra-Rufe. Unterzeichnung des Abschlussprotokolls, Grussbotschaften zur deutschspanischen Völkerfreundschaft, zum Finale ein Lunch in gelöster und heiterer Stimmung.
Als der Gouverneur (samt Gattin) zwecks Übernahme weiterer Inseln abgereist war, übernahm Amtmann Böder die Geschäfte. Am Montag gab’s eine Landreform, am Dienstag verfügte er eine Kopfsteuer und am Mittwoch erliess er ein Gesetz zur Zwangsarbeit. Am Donnerstag führte er die Prügelstrafe ein und am Freitag, dem 17. Oktober 1910, hatte er den Salat.
Es war kurz nach neun und der kaiserliche Amtmann waltete schwitzend vor sich hin, als sich die Tür öffnete. Es war jedoch nicht seine Frau, die ihn fragen wollte, ob er denn noch eine Stulle wolle, sondern Ladelang, der Strassenarbeiter von nebenan. Auch Ladelang brachte keine Stulle, sondern hatte ein Brieflein seines Vorarbeiters dabei und darin stand: «Der Überbringer dieses Schreibens ist ein widerspenstiges, asoziales und arbeitsscheues Element; gez. Feldwebel Meier.»
Da Ladelang noch nie etwas vom Schicksal der alten Götterboten gehört hatte, erschrak er gewaltig, als ihn der Gouverneur kurzerhand auspeitschen liess. Laut schreiend, lief er direkt zum zuständigen Häuptling und liess die Hosen runter. Als dieser den blutigen Hintern sah, wurde er ziemlich wütend und blies in seine grosse Muschel. Sofort begann man mit den Kriegsvorbereitungen, ölte sich den Body ein und schlüpfte in die Grasröcke. Bewaffnet mit Gewehren, Messern und Gabeln bereiteten sich die öligen Brigaden auf den Kampf vor.
Allerdings hatten sie nicht mit dem Missionsbeamten Saulus Gutgenug gerechnet. Dieser Verräter schlich sich heimlich und lautlos durch den Dschungel und überbrachte dem Amtmann die Kunde von den bösen Buben. «Das kommt doch überhaupt nicht infrage!», rief Böder erzürnt und schlug seine imaginären Hacken zusammen. «Nicht mit mir!», soll er mit rotem Kopf ausgerufen haben und befahl seinem Polizeimeister, eine Hilfstruppe zusammenzustellen.
Dr. Max Girschner
Böder übernahm den Befehl und führte die ziemlich improvisierte Truppe aus melanesischen Hilfspolizisten, Zivilschützern und zwangsrekrutierten Hafenarbeitern an vorderster Front an. Die Häuptlinge waren wenig beeindruckt von diesem seltsamen Haufen, erschossen Böder und Konsorten und schmissen sie kurzerhand in die blaue Lagune.
Als Retter in der Not nahte der staatlich diplomierte Tropenarzt Dr. Max Girschner. Mutig übernahm er den freigewordenen Job, intrigierte rechts und organisierte links, und schon nach einigen Tagen herrschte wieder Frieden im äquatorialen Glottertal. Noch musste der Gouverneur auf der Herbertshöhe informiert werden, und so setzte sich Girschner hin und schrieb ihm einen Brief. Bereits nach sechs Wochen erreichte das Postschiff Germania mit seiner Botschaft Kaiser-Wilhelms-Land.
Als der Gouverneur den Brief gelesen hatte, stand er auf und erzürnte sich. Diesen unzivilisierten Kerlen würde er schon zeigen, wo Gott und Kaiser hockten! Am 10. Januar 1911 erreichten vier Kriegsschiffe den Hafen von Ponape. Als die Unruhestifter – es sollen immerhin 250 gewesen sein – die Armada erblickten, zogen sie sich zurück und verbarrikadierten sich in ihrer Trutzburg. Um ihnen den Aufenthalt dort zu vermiesen, deckte man sie vorerst mit einem Bombardement aus der Schiffsartillerie ein. Auf Wunsch von Oberpickelhaube Kersting, dem neuen Bezirksamtsmann, sollte der Hügel im Sturm genommen werden.
Alles neu macht der Mai
Wie immer, wenn Zivilisten den Militärs ins Handwerk pfuschten, ging alles gründlich schief. Die Deutschen schlugen sich zwar tapfer – jedoch erfolglos. Eine neue Strategie musste her! Man beschloss, das muntere Leben auf dem Hügel lahmzulegen und installierte eine Land- und Seeblockade. Unsere tropischen Unruhestifter nutzten ihren Heimvorteil und verliessen ihr Hauptquartier heimlich. Als die deutsch geführte Invasionstruppe den Hügel erstürmte, fanden sie zwar ein paar alte Männer sowie Frauen mit ihren Kindern. Die Anführer aber hatten sich längst abgesetzt und im Regenwald versteckt.
Da die deutschen Truppen nicht die Absicht hatten, sich in einen Guerillakrieg einzulassen, zogen sie sich noch am selben Tag von der Insel zurück. Seither leben die Menschen wieder in Glück und Frieden …
… ich nehme jedoch nicht an, dass Sie noch an den Storch glauben: Wie befürchtet zog sich niemand zurück und man lebte weiterhin im Unglück und im Krieg. Irgendwann hatte man auch die Rebellenführer gefasst: Sie wurden kurzerhand standrechtlich erschossen. Die arbeitsfähige männliche Bevölkerung wurde verkauft und mitsamt ihren Familien nach Yap sowie anderen Inseln umgesiedelt.
Pickelhaube Kersting konnte beruhigt den Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers feiern. Um diesem – und Ihrer Majestät der Kaiserin – ausgiebig zu huldigen, führten die von der Deportation verschont gebliebenen, festlich gekleideten Einheimischen gut eingeübte Tänze auf und sangen vierstimmig (!) mit wohlklingenden Stimmen patriotische Lieder, zum Teil in deutscher Sprache. Als das Lied «Alles neu macht der Mai» ertönte, wischte sich Pickelhaube ein Tränchen aus dem rechten Auge. Fortsetzung folgt.
Unterwegs im Nordpazifik
vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.
Bisher erschienen: Teil 1 (19. Juni),
Teil 2 (26. Juni), Teil 3 (4. Juli),
Teil 4 (8. Juli), Teil 5 (15. Juli)