CARTE BLANCHE
04.02.2025 PolitikWankelmütige Wendehälse, Wind- und Wetterfahnen?
Andrea Heger, Gemeindepräsidentin und Landrätin EVP, Hölstein
Mit der Wahlrechtsreform steht für die Baselbieter Demokratie eine wichtige Abstimmung an. Ehemalige ...
Wankelmütige Wendehälse, Wind- und Wetterfahnen?
Andrea Heger, Gemeindepräsidentin und Landrätin EVP, Hölstein
Mit der Wahlrechtsreform steht für die Baselbieter Demokratie eine wichtige Abstimmung an. Ehemalige Landräte berichten, Mängel des aktuellen Gesetzes sorgten seit Jahrzehnten für Verärgerungen.
Mir fiel 2015 erstmals ein kritischer Vorstoss zum Wahlsystem auf. Nach den Wahlen 2019 war die Unzufriedenheit bei Bevölkerung und Landrat so gross geworden, dass letzterer mit nur einer Gegenstimme seine Geschäftsleitung beauftragte, Reform-Möglichkeiten zu prüfen. Hauptziele: bessere Abbildung der Parteistärken ohne Aufgabe des lokalen und regionalen Bezugs und Vermeidung sogenannter Sitzsprünge. 2022 legte die Geschäftsleitung einen umfangreichen Bericht vor. Neuste Wahlrechtsanpassungen anderer Kantone und Urteile des Bundesgerichts waren eruiert, eine fundierte Analyse des aktuellen BL-Systems durch Wahlrechtsexperte Prof. Daniel Bochsler eingeholt worden.
Zentrale Fakten: Gemeinhin als «Proporzglück» oder «-pech» Tituliertes fusse oft auf systematischer Bevorteilung grösserer Parteien. Im Baselbiet hätten kleine Parteien mehrfach das Nachsehen. Sehr kritisch beurteilte Bochsler auch die Modalitäten für Sitzausgleiche (Sitzsprünge). Aus demokratiepolitischen Gründen schlug er zudem die Abschaffung der Sechs-Sitze-Garantie pro Wahlkreis mittels eines «geschenkten» Erst-Mandats und Restverteilung nach Bevölkerungsanteil vor. Sodann wurden die Auswirkungen von fünf besseren Modellen dem aktuellen gegenüber gestellt. Auf dieser Basis wurden weitere Pflöcke eingeschlagen.
FDP und SVP sahen bedingt, alle anderen klaren Handlungsbedarf. Die FDP verlangte die Abschaffung der Sechs-Sitze-Garantie und zur Wahlteilnahme eine kantonsweite 5-Prozent-Hürde. Später wollte auch die SVP Hürden bis zu 10 Prozent. Einzig die EVP war mit Verweis auf das natürlicherweise bereits bestehende Quorum gänzlich gegen Hürden. Bezüglich Regionen und Wahlkreisgrössen bestanden unterschiedliche Auffassungen. Die SVP konnte sich nur das Modell mit vier (heute zwölf) Wahlkreisen vorstellen. Am Ende überzeugte das Modell mit Doppelproporz und zwölf Wahlkreisen am meisten. Künftig gehen keine Wählstimmen mehr verloren, werden die Parteistärken fair abgebildet und Sitzsprünge um die Hälfte reduziert.
So hätten die Sitzverschiebungen bei den vergangenen fünf Wahlen (2023, 2019, 2015, 2011, 2007) mit dem neuen Wahlsystem ausgesehen: SP 0/-1/-1/-1/-1; Grüne -1/0/0/+1/0; GLP +1/+2/+1/+1/0; EVP +1/0/+1/0/+1; «Mitte» (BDP und CVP) 0/0/+3/+1/0; FDP -1/-1/0/0/-1; SVP 0/0/ -4/-2/-1; SD 0/0/0/0/+1. Hürden hätten im Jahr 1995 zwei Parteien verhindert. Aktuell hätte der Wahlkreis Waldenburg -1, das Laufental +1 Sitz.
Es zeigt sich: FDP und SVP feuern seit vergangenem Herbst viele Nebelpetarden ab. Sie verhalten sich wankelmütig bis unredlich, wenn sie behaupten, die Randregionen würden enorm geschwächt, Hürden Innovation behindern und sie daher gegen die Wahlreform seien. Haben doch explizit sie Hürden sowie die Aufgabe der Sechs-Sitze-Garantie und die SVP gar vier anstelle von zwölf Wahlkreisen gefordert. Da wäre wohl nicht nur ein aktueller Sitz aus dem Wahlkreis Waldenburg künftig andernorts ... Fazit: Die Reform sorgt für gerechtere und transparente Wahlen und breiter abgestützte Politik. Daher: Ja zur Wahlrechtsreform!
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.