CARTE BLANCHE
24.09.2024 PolitikMehr Realitätssinn wäre wünschenswert
Beatrix Wullschleger, Gemeindepräsidentin Rümlingen, parteilos
Schutz ist etwas Positives. Geschützt werden kann und muss alles Mögliche: Menschen, Tiere, Natur, ...
Mehr Realitätssinn wäre wünschenswert
Beatrix Wullschleger, Gemeindepräsidentin Rümlingen, parteilos
Schutz ist etwas Positives. Geschützt werden kann und muss alles Mögliche: Menschen, Tiere, Natur, Gebäude, Klima und so weiter. Als Gemeinde werden wir von verschiedenen Seiten – bei allen möglichen Themen sowie unterschiedlichsten Aufgaben und Projekten – mit Anforderungen an den Schutz konfrontiert. Wenn ich versuche, diese Einzelteile zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, muss ich gestehen, dass es mir im Moment nicht gelingt.
Aus Landschafts-, Gewässer-, Dorfbildund sonstigem Schutz muss der Baubereich aufgrund eidgenössischer und/oder kantonaler Vorgaben immer mehr eingeschränkt werden. Verdichtetes Bauen wird dabei nicht gefördert – oder sogar verhindert. Auf der anderen Seite werden die Asylquoten immer weiter erhöht. Und für unbegleitete Minderjährige ist plötzlich die Gemeinde zuständig, wenn sie 18 werden und nicht mehr erst, wenn sie eine Ausbildung abgeschlossen haben.
All die Menschen müssen irgendwo untergebracht werden. Freien Wohnraum gibt es kaum, da die Zuwanderung nicht nur im Asylbereich, sondern auch bei der (Arbeits-)Migration Tatsache ist. Wird einmal eine Wohnung frei, wird sie mit grosser Wahrscheinlichkeit von anderen Anspruchsgruppen (Sozialhilfeempfänger, Kesb-Klienten und so weiter) gemietet, weil die Mieten für diese Menschen in den grossen Gemeinden zu hoch sind. Während der Schutz von Natur, Dorfbildern und so weiter den Wohnraum also einschränkt, brauchen wir für den Schutz von Menschen immer mehr Wohnraum. Zwei Puzzleteile, die definitiv nicht zusammenpassen. Vom finanziellen Aspekt reden wir gar nicht erst.
Kommen noch weitere unpassende Teile dazu: Bei den (Wild-)Tieren möchte man dahin zurück, wo man vor Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten war. Wild lebende Wölfe. Wild lebende Wisente. Da sich die Siedlungsgebiete mit dem Bevölkerungswachstum ausgebreitet haben, ist vom natürlichen Lebensraum dieser Tiere jedoch deutlich weniger vorhanden. Es ist mir deshalb ein Rätsel, wie man Natur- und Tierwelt von «früher» mit dem Bevölkerungsstand und -wachstum von heute vereinbaren will. Die Schweizer Wohnbevölkerung ist in den vergangenen 30 Jahren von 7 auf 9 Millionen Menschen gewachsen. 2023 war die Zuwanderung gemäss Amt für Daten und Statistik für 95 Prozent, 2022 für 90 Prozent des gesamten Bevölkerungswachstums verantwortlich. Zum Schutz des Klimas soll man auch in der Natur grossflächig Windräder und Solarpanels erstellen. Nochmals ein Faktor, der die Verfügbarkeit sowohl von Natur- als auch Lebensraum für Tier und Mensch reduziert.
Es braucht Naturschutz, Schutz für Tier und Mensch, Denkmalschutz und so weiter. Nur sollte bei den ganzen Vorgaben auch die Realität mitberücksichtigt werden. Rein ideologische Vorschriften führen nur zu Ablehnung und Frust. Statt dem Schutzobjekt mit realistischen und in der Realität wirksamen Lösungen zu helfen, verrennt man sich in Papiertigern sowie unrealistischen Forderungen und löst keine Probleme. Für die Gemeinde würde ich mir wünschen, dass die Realität bei (Schutz-) Entscheidungen auch berücksichtigt wird und nicht nur Wunschdenken oder Ideologie.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.