CARTE BLANCHE
03.09.2024 PolitikStartchancen für alle Kinder gemeinsam stärken
Andrea Sulzer, Gemeindepräsidentin Waldenburg, Grüne
Als mein Sohn in den Kindergarten kam, waren wir alle nervös. Wir waren neu in der Stadt und kannten ausser der ...
Startchancen für alle Kinder gemeinsam stärken
Andrea Sulzer, Gemeindepräsidentin Waldenburg, Grüne
Als mein Sohn in den Kindergarten kam, waren wir alle nervös. Wir waren neu in der Stadt und kannten ausser der Nachbarsfamilie niemanden. Der erste Schultag war mit vielen Fragen beladen: Wird unser Sohn Freunde im Kindergarten finden? Wie wird er mit der Lehrperson zurechtkommen? Und wird er gerne in den Kindergarten gehen? In den ersten Tagen kam er stets beschwingt nach Hause und erzählte begeistert von den Spielen und von seiner Lehrerin. Als er jedoch nach einer Woche immer noch nicht von den anderen Kindern berichtete, fragte ich nach.
Er erklärte mir, dass er die anderen Kinder nicht verstehe. Das irritierte mich. Er sagte, dass die anderen Kinder andere Sprachen sprechen. Nach Rücksprache mit der Lehrperson stellte sich heraus, dass mein Sohn das einzige deutschsprachige Kind in der Klasse war, während die meisten anderen Kinder kein Deutsch verstanden. Damit hatten diese vielen Kinder nicht die gleichen Startchancen wie er als deutschsprachiges Kind.
Dies ereignete sich vor gut 20 Jahren in der Stadt. Die Stadt hat seitdem aus solchen Erfahrungen gelernt. Vor etwa 15 Jahren begann sie damit, den Sprachstand der Kinder ein Jahr vor Schuleintritt zu erheben, und erklärte die Sprachförderung bei Kindern mit Bedarf zur Pflicht. Damit die Kinder einen erfolgreichen Start haben, müssen sie grundlegende Sprachkenntnisse mitbringen, was in der Stadt erfolgreich unterstützt wird.
Nun hat der Landkanton nachgezogen und das Gesetz zur frühen Sprachförderung 2023 verabschiedet. Im Januar 2025 erhalten alle Eltern und Erziehungsberechtigten einen Fragebogen, um den Sprachstand ihres dreijährigen Kindes zu erfassen. Die Gemeinden sind verpflichtet, eine Ansprechperson zu benennen, die zuständig ist für Fragen von betroffenen Familien. Zudem müssen sie sicherstellen, dass genügend Sprachförderplätze vorhanden sind, und entscheiden, ob die Sprachförderung obligatorisch und von der Gemeinde finanziert wird oder ob sie freiwillig bleibt, wobei die Eltern die Kosten dann selbst tragen.
Besonders kleinere Gemeinden stehen durch diese neue Gesetzgebung vor grossen Herausforderungen. Bei uns in Waldenburg können wir nicht auf eine Angebotsstruktur zurückgreifen und mit dieser klären, wie wir mehr Plätze für Sprachförderung aufbauen können. Wie andere Gemeinden sind wir auf die vorhandenen zwei Kitas und Spielgruppen im Tal angewiesen.
Damit auch Kinder mit Sprachförderbedarf in Randregionen einen guten Schulstart haben und die Klassen durch ein homogeneres Sprachniveau entlastet werden, bedarf es der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und anderen Akteuren, um genügend Sprachförderplätze bereitzustellen und die Eltern und Erziehungsberechtigten umfassend zu informieren.
Diese Herausforderung steht stellvertretend für viele Probleme, die kleine Gemeinden nicht mehr alleine lösen können. Kooperationen werden jedoch häufig nicht in Angriff genommen, da sie zeitaufwendig zu organisieren sind, obwohl sie langfristig eine Entlastung für die Gemeinden darstellen.
Mein Wunsch ist es, unser Tal als Netzwerk zu verstehen, in dem wir uns durch kluge Kooperationen gegenseitig unterstützen und damit Zeit für die Planung wichtiger Entwicklungen gewinnen. Es freut mich, dass auch andere Gemeindepräsidien im Tal diese Sichtweise teilen und wir über die Umsetzung der frühen Sprachförderung im Gespräch sind.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.