Viel hilft nicht immer viel
Charlotte Gaugler, Gemeindepräsidentin, Lampenberg, EVP
Landratswahlen 1984: Als junge Frau wollte ich meiner neu erhaltenen Pflicht als Stimmbürgerin nachkommen und die richtigen Kandidierenden wählen. Erkundigungen folgten, wer denn so richtig toll arbeitet im Landrat. Mit dem Ziel, diesen «Bisherigen» meine Stimme zu geben. Ich konsultierte die Liste der Vorstösse – Motionen, Postulate, Interpellationen, sowie Anfragen und Fragen – der vergangenen Legislatur. «Je mehr Vorstösse, desto fleissiger das Landratsmitglied», dachte ich. In meiner Euphorie, eine neue spannende Welt zu betreten, hätte ich sie am liebsten alle gewählt. Damals waren das, soweit ich mich erinnern kann, knapp 250 Vorstösse pro Jahr über alle Parteien und Mandatstragende verteilt.
Inzwischen hat sich die Zahl der Vorstösse verdoppelt. Die Regierung und ihre Mitarbeitenden mit entsprechenden Kommissionen haben das alles zu bewältigen. Viele Geschäfte dauern verständlicherweise länger. Immer wieder gehen Vorstösse ein, die auf privaten Beziehungen Einzelner basieren, solche, die schon zum dritten Mal innert kurzer Zeit eingereicht werden, Vorstösse, deren öffentliches Interesse fraglich ist, solche über Eingriffe in operative Bereiche diverser öffentlicher Institutionen und so weiter. Hilft viel viel? Wie steht es mit den Kosten? Wir können zwar einsehen, wer in welcher Partei zu welchen Themen «fleissig» Vorstösse einreicht, jedoch sehen wir nicht, welche Kosten diese verursachen. Im Kanton Aargau werden die Vorstösse mit einem Preisschild versehen und jährlich publiziert. Das erscheint mir sehr sinnvoll, um das Kostenbewusstsein zu fördern. Dass es sogar auch im Bundesparlament kürzlich einen diesbezüglichen Antrag gab, spricht für sich.
Man verstehe mich richtig: Für mich ist dieser Prozess absolut korrekt, sinnvoll, unabdingbar und im Sinne der Sache. Als Gemeindepolitikerin erlebe ich jedoch, wie die zunehmende Flut der Vernehmlassungen und Anhörungen auch unsere Amtsstuben zu einer Gefahrenzone macht. Die Demokratie in Ehren und mein höchstes Gut. Aber in Zeiten des Individualismus werden Kieselsteine zu Felsen, und zu bezahlen haben die Steuerzahlenden. Verordnung über Verordnung erweitert den Katalog der Aufgaben der Gemeinden, des Kantons und entsprechend auch den finanziellen Aufwand.
Ich staune, worum sich der Kanton alles kümmern muss. Letzthin erhielten wir vom Kanton die Information einer Verpflichtung über die Führung eines Notfallkits für Mädchen an den Sekundarschulen. Es wundert mich insgesamt nicht wirklich, dass viele Gemeinden zunehmend mit Aufwandüberschüssen kämpfen (nicht wegen des Notfallkits notabene).
Das Preisschild über den Aufwand an Vorstössen wäre ein Instrument, eine Art Triage, künftig ein selbstbeschränkendes Auge auf die Wichtigkeit eines Vorstosses zu werfen. Viel hilft nicht immer viel. Und längst messe ich die «Kompetenz» der Mandatstragenden nicht mehr an der Anzahl ihrer Vorstösse.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.