Leuchtendes Erbe der Uhrenindustrie verschwindet
17.10.2023 TecknauRadiumsanierung mit strengen Auflagen
Da der Garten hinter einem Wohnhaus in Tecknau geringfügig mit einer radioaktiven Substanz belastet ist, hat sich das Bundesamt für Gesundheit entschieden, das kontaminierte Erdreich fachgerecht zu entsorgen. Die Kosten trägt der ...
Radiumsanierung mit strengen Auflagen
Da der Garten hinter einem Wohnhaus in Tecknau geringfügig mit einer radioaktiven Substanz belastet ist, hat sich das Bundesamt für Gesundheit entschieden, das kontaminierte Erdreich fachgerecht zu entsorgen. Die Kosten trägt der Bund.
Otto Graf
In Tecknau lässt derzeit ein nicht alltägliches Baubegehren aufhorchen. «Bodensanierung (Radium)» steht im kürzlich publizierten Baugesuch. Konkret geht es dabei um das Entsorgen von Erdmaterial, das mit radioaktiven Substanzen belastet ist. Betroffen ist ausschliesslich Erdmaterial im Garten hinter einem Wohnhaus an der Hauptstrasse 70. Um es vorwegzunehmen: Ein gesundheitliches Risiko bestand nie. Ebenso wenig gibt es Nutzungsbeschränkungen der Liegenschaft.
Doch die Radiumkonzentration im Boden liegt über dem Schwellenwert von 1000 Bq/kg, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Anfrage verlauten lässt. Dieser Schwellenwert wird im Rahmen des Aktionsplans Radium 2015–2023 angewendet, damit eine Überschreitung des gesetzlichen Referenzwerts von 1 Millisievert pro Jahr für die Nutzerinnen und Nutzer der Parzelle ausgeschlossen werden kann. Die vom BAG durchgeführten Messungen und Untersuchungen haben ergeben, dass der Schwellenwert um den Faktor zwei überschritten ist.
Das Gebäude wurde 1948 für den Betrieb der Ergo Watch gebaut. Diese Firma, die heute nicht mehr existiert, war in der Terminage, also in der Endfertigung von Uhren sowie und im Uhrenhandel tätig. Dabei wurden offenbar beim Bearbeiten von Ziffer- und Zeigerblättern radioaktive Leuchtfarben verwendet. Den Angaben des BAG zufolge wurden derartige Substanzen in der Schweiz bis in die 1960er-Jahre eingesetzt. Heute wird in der Uhrenindustrie nur noch die unbedenkliche Leuchtfarbe Superluminova verarbeitet.
Die Zeit drängt
Wie ist man überhaupt auf die Radioaktivität im Tunneldorf gestossen? Wie Gemeindepräsident Patrik Wohlgemuth gegenüber der «Volksstimme» erklärt, führte die Universität Bern im Rahmen des Aktionsplans Radium 2015–2023 landesweit historische Nachforschungen nach dem radioaktiven chemischen Element durch. Um den Suchrayon einzugrenzen, stützten sich die Forschenden auf Unterlagen, wie Rechnungen und Lieferscheine in den Archiven der Firmen ab, die seinerzeit radioaktive Substanzen vertrieben hatten. Dabei spürten sie die oben erwähnte Adresse in Tecknau auf. In der Folge führte das BAG entsprechende Messungen durch.
Nun ist Eile geboten. Denn das Aktionsprogramm, das auch die Sanierungskosten durch den Bund sicherstellt, läuft Ende dieses Jahres aus. Das Baugesuch basiert auf einer Auflage des Kantons. Gesuchsteller ist das BAG im Auftrag der Eigentümerschaft. Die Kosten, die noch nicht genau bekannt sind, dürften aufgrund von Erfahrungswerten gegen 100 000 Franken ausmachen. Schätzungsweise muss die auf solche Aufgaben spezialisierte Fachfirma gegen 100 Kubikmeter Erde ausbaggern und entsorgen. Diese Phase dauert drei Wochen, gefolgt von der Instandsetzung des Areals durch eine lokale Gartenbaufirma. Der kontaminierte Aushub wird durch das BAG und die Suva kontrolliert. Danach wird das Material in Zusammenarbeit mit dem Amt für Umweltschutz und Energie Baselland fachgerecht in der Typ-E-Deponie Elbisgraben mit der Zustimmung des BAG und mit dem Segen des Kantons entsorgt werden. Wenn der Verursacher einer Verunreinigung nicht eruiert werden kann, übernimmt der Bund die Sanierungskosten. Die Verursacherfirma existiert nicht mehr. Und die heutige Eigentümerschaft steht in keinem Zusammenhang mit der radiologischen Belastung. Sie ist daher nicht haftbar. Auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass in Zukunft neue Adressen entdeckt werden, geht das BAG davon aus, dass der überwiegende Teil der Radiumaltlasten aus der Uhrenindustrie im Rahmen des Aktionsplans beseitigt werden konnte. Insbesondere haben die historischen Nachforschungen in Tecknau keine weiteren kontaminierten Objekte ans Tageslicht gebracht.
Vom Radium zum Blei
og. Radium-226 ist ein radioaktives Schwermetall mit einer Halbwertszeit von 1600 Jahren. Das heisst, dass in 1600 Jahren nur noch die Hälfte der ursprünglichen Menge vorhanden ist. Die andere Hälfte ist in dieser Zeitspanne auf natürliche Art in einem physikalischen Prozess direkt in das radioaktive Edelgas Radon-222 und dieses wiederum über verschiedene Stufen in kurzlebige Radionuklide wie Polonium, Blei und Bismut zerfallen. Am Ende der Zerfallskette steht das stabile Isotop Blei mit der Ordnungszahl 206. Bis sich in Tecknau das Radium zu Blei gewandelt hat, dürften folglich noch mehrere Eiszeiten über das Land ziehen.