Ins «Tiny House» anstatt ins «Stöckli»
27.10.2023 OrmalingenTrendige Wohnform auf weniger Quadratmetern
Wohnen in einem «Tiny House» klingt nach einem kleinen ökologischen Fussabdruck, Genügsamkeit sowie Sparen von Geld und kostbarem Boden. Die Schweizer Version wird der Vorstellung kaum gerecht. Was nicht bedeutet, dass ein ...
Trendige Wohnform auf weniger Quadratmetern
Wohnen in einem «Tiny House» klingt nach einem kleinen ökologischen Fussabdruck, Genügsamkeit sowie Sparen von Geld und kostbarem Boden. Die Schweizer Version wird der Vorstellung kaum gerecht. Was nicht bedeutet, dass ein «kleines Häuschen» nicht seine Reize haben kann.
Christian Horisberger
Hat früher der Vater den Bauernhof dem Sohn übergeben, zog er mit der Frau in eine separate Wohnung auf dem Hof, ins Stöckli. Das «Tiny House» ist so etwas wie das neue «Stöckli». Sind die Kinder ausgeflogen und ist den Eltern das eigene Haus zu gross geworden, übergeben sie das Haus den Kindern und bauen im Garten ein kleineres Häuschen als ihren Alterswohnsitz. Dies ist die in der Schweiz nicht seltene Interpretation von einem «Tiny House» (winziges Haus).
Damit weicht die Wohnform um einiges von der ursprünglichen Idee der «Tiny House»-Bewegung ab, die in den Vereinigten Staaten ihren Anfang nahm: Es ist weniger ein architektonischer als ein sozialer Trend, der für das minimalistische Wohnen mit weniger Besitztümern steht. Entstanden vor der Jahrtausendwende, erlebte das «Tiny House» ab 2008 einen Boom. Dies allerdings nicht aus ideellen, sondern aus finanziellen Gründen: Als Folge der Immobilienblase in den USA und der Wirtschaftskrise mussten viele Familien ihre Einfamilienhäuser verlassen und eine günstigere Bleibe suchen. Dabei handelt es sich häufig um Häuser auf Rädern mit 15 bis 40 Quadratmetern Wohnfläche.
Im Gegensatz dazu sind die in der Schweiz typischen «Tiny Houses» nicht mobil, weil baurechtlich problematisch: «Wir bauen die Häuser unbeweglich auf einen betonierten Sockel», sagt Lars Lutz, Verkaufsleiter der PM Mangold Holzbau AG. Das Ormalinger Unternehmen wirbt seit Anfang dieses Jahres für seine individuellen «Tiny Houses», nachdem es für Kunden eine Handvoll Kleinhäuser realisiert hat.
Nicht ganz so «winzig»
In eines dieser Häuser, im solothurnischen Fehren, lud die PM Interessenten zur freien Besichtigung ein. Jenes eingeschossige Holzhaus ohne Keller hat eine Nettowohnfläche von 37 Quadratmetern, ein Schlafzimmer, ein Badezimmer, eine Küche und einen Technikraum sowie einen gedeckten Sitzplatz. Bewohnt wird es von einer einzelnen Person.
Das Interesse an jener Hausbesichtigung von Anfang Jahr sei gross gewesen, sagt Lutz. Dies, obwohl ein so kleines Häuschen für hiesige «Tiny House»-Verhältnisse nicht typisch sei. «Viele Leute kommen mit einer ganz anderen Vorstellung zu uns», sagt Lutz. Sie wünschten sich in der Regel für zwei Personen 60 bis 70 Quadratmeter Wohnfläche oder 80 Quadratmeter mit einem zweiten Schlafzimmer. Von winzig kann da nicht die Rede sein. «Ausser, wenn ein dreigeschossiges Einfamilienhaus oder ein Bauernhaus als Vergleichsgrösse dient», wie Lutz anmerkt.
Als «winzig» kann auch der Preis für ein PM-«Tiny»-Holzhaus nicht bezeichnet werden. Lutz betont, dass sein Unternehmen keine Fertighäuser verkaufe, sondern jedes individuell auf Kundenwunsch plane und fabriziere. Ausgehend von 60 Quadratmetern Nettowohnfläche, mittlerem bis hohem Ausbaustandard und einem gedeckten Sitzplatz kommt Lutz auf Baukosten in der Grössenordnung von 400 000 bis 450 000 Franken für das fixfertige Haus.
Viel Boden für wenig Haus
Wer sich für ein genormtes Haus im Schuhschachtel-Format mit derselben Wohnfläche entscheidet, muss beispielsweise bei «kleinhaus.ch» mit reinen Gebäudekosten ab 350 000 Franken rechnen. Hinzu kommt in beiden Fällen das Bauland. Laut Lutz sind je nach Bebauungs- und Ausnützungsziffer 200 bis 300 Quadratmeter erforderlich. Gemessen an der gewonnenen Wohnfläche ist das viel Boden, was dem Grundgedanken der «Tiny-House»-Bewegung diametral entgegensteht.
Häufig handle es sich bei den Interessenten, die bei seiner Firma anklopfen, um Paare im Alter von 50 bis 70 Jahren ohne Kinder im eigenen Haushalt. Diese würden die Privatsphäre und Unabhängigkeit eines eigenen, altersgerecht ausgestalteten Häuschens mit Gartensitzplatz einer Eigentumswohnung vorziehen, sagt Lutz. «Sie möchten die Freiheiten nicht aufgeben, die sie vom eigenen Einfamilienhaus gewöhnt sind.» Jede dritte Bauherrschaft, die mit PM ein «Tiny House» bauen möchte, verfügt gemäss Lutz bereits über ein Baugrundstück.
Ökologie nur Nebenaspekt
Der möglichst geringe ökologische Fussabdruck spiele bei seinen Interessenten selten die Haupt-, aber eine wichtige Nebenrolle, sagt der PM-Verkaufsleiter. Schliesslich hätten sie sich für ein Holzhaus entschieden, das eine wesentlich bessere Ökobilanz aufweise als ein Betonbau. Und wenn wegen des Budgets nicht sofort eine Photovoltaikanlage aufs Dach gebaut werde, so lasse man zumindest die Vorbereitungen treffen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu installieren.
Der Begriff «Tiny House» scheint bei den Bauwilligen in der Region auf viel Sympathie zu stossen. Lars Lutz schätzt, dass sich jede fünfte Kundenanfrage bei PM auf diesen Haustyp bezieht.