IM GEDENKEN
27.10.2023 BaselEin Berserker – und liebenswerter Kollege
Zum Tod der Reporter-Legende Willi Erzberger
Die Reporter-Legende Willi Erzberger ist vergangene Woche im 91. Altersjahr verstorben. Von einem Schlaganfall, den er im Frühling erlitten hatte, konnte er sich nicht ...
Ein Berserker – und liebenswerter Kollege
Zum Tod der Reporter-Legende Willi Erzberger
Die Reporter-Legende Willi Erzberger ist vergangene Woche im 91. Altersjahr verstorben. Von einem Schlaganfall, den er im Frühling erlitten hatte, konnte er sich nicht mehr erholen. Erinnerungen an spannende und unterhaltsame Begegnungen mit «Big Willi».
Willi Erzberger wurde 1933 in Basel geboren und wuchs im «Gundeli» auf. Schon als Kind besuchte er mit seinem Vater häufig Sportanlässe wie Velorennen oder Rollhockeyspiele. Er lernte Speditionskaufmann und war später als Journalist der «National Zeitung» und danach der «Basler Zeitung» in Basel und vor allem auch an sämtlichen Radrennen bekannt wie ein bunter Hund. Er schrieb zudem über den FC Basel, war dort auch Mitglied und besuchte die Heimspiele bis vor Kurzem.
Willi war 44 Mal akkreditierter Begleiter und Journalist an der Tour de France, er war Dauergast (und -kritiker) bei der Tour de Suisse, dem Giro d’Italia und an allen Frühjahrsklassikern. 1995 geriet er beim Giro d’Italia mit dem Auto in einer Passabfahrt in eine Lawine und kam mit dem Schrecken davon.
Willi konnte poltern wie ein Berserker und war trotzdem ein liebenswerter Kollege. Kennengelernt habe ich ihn, als er in den 1980er-Jahren für «Radio Raurach» von der Tour de France berichtete – per schlechter Telefonleitung und immer viel zu lang. Willi berichtete voller Leidenschaft von den Duellen, die sich Greg Lemond, Andrew Hampsten und Bernard Hinault damals lieferten. Später durfte ich ein paar Mal an Velorennen mit ihm im Reporterauto mitfahren, zum Beispiel bei einer von Serge Lang organisierten «Züri Metzgete», dem GP Suisse, ein Weltcuprennen, das in den 1990er-Jahren einige Male von Basel nach Zürich führte. Der Start war auf dem Messeplatz. Ich sass im Fond seines Opels, auf dem Beifahrersitz sein Freund Kurt «Channe» Walter, der damalige Wirt der «Walliser Kanne». Die Strecke führte zu Beginn neutralisiert vom Messeplatz über die Mittlere Brücke Richtung Freie Strasse. Bereits bei der Hauptpost hatten die beiden einen handfesten Krach. Willi sagte zu Kurt, er solle doch besser aussteigen und zu seiner Beiz schauen. Natürlich blieb «Channe» sitzen. Ich bin heute noch nicht sicher, ob die beiden es ernst meinten oder nur Spass machten …
Später hielt Willi auf der Strecke irgendwo im Aargau bei einem Restaurant an, reichte mir eine Zwanzigernote nach hinten und befahl mir ultimativ, ich solle drei «Klöpfer» mit Brot besorgen. Als ich auf der anderen Strassenseite war, drehte er das Fenster herunter und schrie mir nach: «Und Senf!» Wir hätten nachher locker Zeit gehabt, unterwegs irgendwo einzukehren und gemütlich zu Mittag zu essen. Aber Willi wollte unbedingt am Puls des Geschehens bleiben und so assen wir die Würste halt während der Fahrt im Auto.
Wir sind uns auch bei lokalen Velorennen immer wieder über den Weg gelaufen. Einmal waren wir im süddeutschen Raum zusammen an der Mannschaftsvorstellung der Regio Tour, einem Radrennen, das auch in die Schweiz führte. Auf der Bühne stand unter anderem ein junger Radprofi mit rötlichen Haaren. Willi zeigte auf ihn und meinte zu mir: «Der wird einmal ein ganz Grosser.» Es war Jan Ullrich.
An der Rad-Weltmeisterschaft 1996 in Lugano war ich für Radio Basilisk als einer von 1000 akkreditierten Journalisten vor Ort. Als ich das Medienzentrum betrat, sah mich Willi und brüllte durch den ganzen Raum: «Aha, der Quartierfunk ist auch hier …» Wir haben später einen Teil des Rennens am Sonntag über die Monitore verfolgt. Als ein italienischer Fahrer einen Angriff startete, sagte Willi, das sei Andrea Tafi. Ich widersprach ihm und sagte: «Nein Willi, das ist Michele Bartoli.» Er sah mich halb überrascht, halb beleidigt an, verglich die Startnummern der beiden Fahrer und sagte trocken: «Du hast recht.» Von diesem Moment an hatte ich spürbar einen anderen Stellenwert bei ihm.
«Hey, Eddy»
Am gleichen Tag war ich mit Willi im Zielbereich unterwegs, als er plötzlich «Hey, Eddy» rief. Der Angesprochene blickt sich um, setzte ein Grinsen auf und sagte: «Salut Willi.» Big Willi hatte eine schelmische Freude daran, dass er mir den grossen Eddy Merckx vorstellen konnte – und ich war natürlich schwer beeindruckt.
Als Liestaler Bürger nahm Willi Erzberger regelmässig am Liestaler Banntag teil (er hatte auch das Basler Bürgerrecht). In den vergangenen Jahren habe ich Willi ab und zu beim Bahnhof Liestal angetroffen, von wo aus er bis vor Kurzem immer wieder ausgedehnte Wanderungen ins Oberbaselbiet unternahm. Einmal sagte er mir, das Baselbiet sei halt schon eine sehr schöne Gegend, was aus dem Mund des Berufskleinbaslers recht speziell klang.
Im Sommer 2022 habe ich in dieser Zeitung eine «Carte blanche» zum Thema Social Media geschrieben. Zwei Tage später rief mich Willi, der Abonnent, Freund und auch gelegentlicher Autor der «Volksstimme» war, an und gratulierte mir zum Text. Das fühlte sich für mich an wie ein Ritterschlag. Er hat mir dann noch ein bisschen aus seinem aktuellen Leben erzählt und bewiesen, wie gut er auch im hohen Alter immer noch auf dem Laufenden war. Nun ist es ein bisschen leiser geworden im Kleinbasel – Big Willi ist nicht mehr.
Rolf Wirz