MEINE WELT
29.09.2023 GesellschaftAbgesang
Haben Sie schon einmal Ihren eigenen Kehlkopf in Aktion gesehen? Ich schon! Bei einer Phoniaterin, einer Stimmspezialistin mit HNO-Ausbildung, sah ich auf einem grossen Bildschirm das Resultat meiner vorangegangenen Bemühungen, Klänge zu produzieren, ...
Abgesang
Haben Sie schon einmal Ihren eigenen Kehlkopf in Aktion gesehen? Ich schon! Bei einer Phoniaterin, einer Stimmspezialistin mit HNO-Ausbildung, sah ich auf einem grossen Bildschirm das Resultat meiner vorangegangenen Bemühungen, Klänge zu produzieren, während ich gegen den Brechreiz ankämpfte, den die Stabkamera in meinem Rachen auslöste. Danach bestaunte ich das sich unter Tönen windende Löchlein in einem glitschigrosafleischfarbenen Etwas, flankiert von zwei nervös tanzenden, sich blitzschnell berührenden und wieder auseinanderdriftenden Häutchen. Alienesk. Gruselig. Belustigend. Faszinierend.
Der Schlaganfall im April 2022 hat nicht nur meinen Akkumulator halbiert, sondern auch meine Stimmkapazität. Mindestens. Da fehlt wohl eher mehr als die Hälfte. Mit einer Logopädin lerne ich seit Juni eine neue Technik für das, was ich jahrzehntelang intuitiv getan habe und heute so nicht mehr funktioniert: Singen. Mein Ziel: wieder kräftig und ausdauernd trällern zu können.
Ob ich das Ziel erreiche? Ich bin eine Mischung aus zuversichtlich (zweckoptimistisch?) und vorsichtig. Ich wappne mich für die Gefahr, mein Hobby in der bisherigen Form aufgeben zu müssen und nicht mehr mit Specky als Folk-Duo «Lion Minds» auf der Bühne stehen zu können. Die Bühne würde ich nicht vermissen. Meine Leidenschaft ist das Songwriting. Schon als Kind hatte ich die ganze Zeit Melodien im Kopf. Die unbändige Lust, diese zu «materialisieren», liess mich als Teenie, entgegen meinem Naturell, dem alles Handwerkliche misslang, Gitarre spielen lernen. Die Songs selbst zu singen, war für mich selbstverständlich.
Das fühlt sich im Moment wie Vergangenheit an. Vor 16 Jahren gründeten Specky und ich «Lion Minds» (unser erster «Proberaum» war die «Volksstimme»-Redaktion). In dieser Zeitspanne haben wir viel erlebt. Wir haben eine EP und zwei Alben herausgebracht, zwei Videoclips gedreht und mehrere Dutzend Konzerte gespielt. Auf vielen kleinen Bühnen wie Beizen, Grillplätzen, Partyzelten, Waldhütten, Kirchen, einmal im Kloster, einmal sogar auf einer Baustelle – und einmal begleitet von einem Blues-Brass-Orchester. Und auf wenigen grösseren Bühnen, zu denen das Z7 in Pratteln gehört. Das erste Mal mit genesendem Schlüsselbeinbruch als Opener für «Mr. Big», beim zweiten Mal als Vorband von «The Hooters» vor gut 800 Leuten. Das war sicher aus der Spektakel-Perspektive unser Highlight.
Aber das Schöne an der ganzen Geschichte ist rückblickend in den kleinen Dingen zu finden. Wir haben viele interessante Menschen kennengelernt, lustige Sachen und kleine Abenteuer erlebt. Es war zuweilen wunderbar, das ungeteilte Interesse eines kleinen Publikums zu spüren, dem man ins Gesicht schauen kann und dort Genuss entdeckt.
Vielleicht gehört es zur Natur meiner zweiten Lebenshälfte, immer wieder von etwas Abschied zu nehmen. Möglicherweise von «Lion Minds»? Mir wäi luege … Sicher aber von dieser Spalte, denn dies ist meine vorletzte Kolumne.
Patrick Moser, geboren 1974, ist ehemaliger Redaktor der «Volkstimme». Er lebt mit seiner Familie in Anwil.