Die Heimweh-Italiener im Homburgertal
24.08.2023 FussballDer FC Rümlingen, für Gastarbeiter gegründet, schaffte es in die 3. Liga
Über Jahre spielte der FC Rümlingen, gegründet 1972 von italienischen Gastarbeitern, in der untersten Liga, schaffte aber einmal den Aufstieg in die 3. Liga. Bisweilen gebärdete er ...
Der FC Rümlingen, für Gastarbeiter gegründet, schaffte es in die 3. Liga
Über Jahre spielte der FC Rümlingen, gegründet 1972 von italienischen Gastarbeitern, in der untersten Liga, schaffte aber einmal den Aufstieg in die 3. Liga. Bisweilen gebärdete er sich zu temperamentvoll und musste sich 1990 auflösen, weil er kein eigenes Spielfeld mehr besass. Ein Stück Oberbaselbieter Fussball-Geschichte.
Jürg Gohl
Die sportliche Bilanz fiel im Sommer vor genau 50 Jahren sehr ernüchternd aus. Der im Jahr zuvor gegründete und am 15. September 1972 vom Verband offiziell aufgenommene FC Rümlingen sammelte in seiner ersten Saison in der 4. Liga in 18 Partien ganze drei Punkte. Auch wenn man dem Klub zugutehalten muss, dass es damals pro Sieg nur zwei und nicht wie heute drei Punkte aufs Konto spülte, so reichte es gleichwohl nicht über den letzten Rang hinaus.
Ihre Freude liessen sich die Fussballer dadurch aber nicht rauben. Ein Jahr später reichte es dem FC Rümlingen bereits zu 18 Punkten aus neu 20 Spielen, was ihn immerhin auf den 6. Schlussrang vorstossen liess. Und im Jahr darauf nahm der Klub erstmals mit zwei 4.-Liga-Mannschaften an der Meisterschaft teil und bestritt so mehrere Saisons.
Souverän in die 3. Liga
Im Jahr 1978 gelang der ersten Mannschaft mit stolzen 32 Punkten aus 18 Partien der souveräne Gruppensieg. Sie setzte sich in den Aufstiegsspielen gegen Rheinfelden und Wallbach durch und konnte sich für zwei Spielzeiten in der 3. Liga halten. Getrübt wird dieser sportliche Höhenflug höchstens durch die 4:14-Klatsche in der ersten Runde des Basler Cups gegen den FC Oberdorf.
1989 stieg die übrig gebliebene erste Mannschaft in die fünfte Liga ab, erreichte dort zwar nochmals einen 3. Rang, verschwand danach aber ganz von der Bildfläche. Der einzige Fussballklub aus dem Homburgertal war damit, kaum volljährig geworden, ab 1990 Geschichte. «Ein Teil der Spieler wechselte zu Rossoneri in Lausen, andere schlossen sich einem benachbarten Verein an», sagt Guido Melone aus Rümlingen, der langjährige Präsident. Das Fussballfeld in Rümlingen musste einem Bauprojekt weichen. Das besiegelte das Ende.
Der FC Rümlingen zählte zu einer Reihe von «Italiener-Klubs» in der Nordwestschweiz. Gerade in den Nachkriegsjahren entstanden viele von ihnen. «Es war die Zeit, als in der Region immer mehr italienische Gastarbeiter eintrafen – unter anderem wegen des Baus der Autobahn A2 von Basel durch den Belchentunnel ins Mittelland», schreibt der Sissacher Daniel Schaub in seinem Buch «75 Jahre Fussballverband Nordwestschweiz» von 2014 zu diesem Thema.
Kein Olympia im Namen
Zu diesen Klubs zählen auch «Rossoneri», «Napoli», «Internazionale» oder «Juventus», die in der Nordwestschweiz ihren «calcio» pflegten. Im Gegensatz zu Rümlingen sind diese allesamt nach den grossen Vorbildern in der Heimat benannt; die US Bottecchia, 1950 gegründet und heute nur noch mit Senioren-Teams aktiv, taufte sich sogar nach einem italienischen Sieger der Tour de France. Nur beim FC Rümlingen fehlte im Namen diese Identifikation mit der Heimat
Tatsächlich bat der neue Verein den Regionalverband um Aufnahme unter dem Namen FC Olympia Rümlingen, doch wurde ihm geraten, auf den ersten Teil zu verzichten, weil es in der Nordwestschweiz bereits zwei Vereine mit «Olympia» im Namen gebe, was nur zu Verwechslungen führen würde. Das geht aus dem regen, auf Maschine getippten Briefverkehr zwischen Rümlingen und dem Haus des Verbandes hervor, der dort sorgsam aufbewahrt ist.
In unmittelbarer Nachbarschaft führten auch der FC Gelterkinden und der SV Sissach je eine italienische Mannschaft. Oft fielen diese italienischen Klubs, auch der FC Rümlingen, in der Fremde durch undiszipliniertes Verhalten auf – «nicht nur in der subjektiven Betrachtung», um nochmals Schaub, den heutigen Verbandspräsidenten, zu zitieren.
Legendär ist, dass sich der «Circolo Ricreativo Italiano Sissach» 1960 gleich bei seinem ersten Auftritt einen Spielabbruch zuschulden kommen liess. Das Gelterkinder Pendant wurde «nach einigen unliebsamen Zwischenfällen», so schildert es Schaub, nach zwei Saisons zurückgezogen. Und auch in Rümlingen flogen nicht immer nur die Bälle (siehe Kasten).
Für die Mitarbeiter
Unterstützt wurde die Gründung des FC Rümlingen vor allem durch den örtlichen Holzbauunternehmer Erhard Leuthardt. «Wir erachten es als angezeigt, dass sich unsere Mitarbeiter auf diese Art sportlich betätigen», schreibt er im Gründungsjahr zuhanden des Verbands in seiner Bestätigung, dass er dem neuen Klub gleich beim Viadukt ein Fussballfeld zur Verfügung stellen werde. Es zählte nicht zu den Schmuckstücken unter den Sportplätzen. Eine «Cantina», eine Baracke, diente als Garderobe, und die Gegner zogen es deshalb oft vor, bereits umgezogen an- und ungeduscht heimzureisen.
Im Gegensatz zu den italienischen Mannschaften in der Region kickten im FCR bald einmal auch ein paar Schweizer beim einzigen Fussballklub im Tal mit. So gehörte in Rümlingen etwa Hansueli Sprunger, ein damals bekannter internationaler Springreiter aus Bubendorf, nicht nur dem Kader der Mannschaft an, sondern auch dem Gründungsvorstand.
Wobei das mit dem einzigen Klub nicht genau stimmt. 1910 wurde in der ersten grossen Euphorie um diese neue Sportart aus England, bei der damals die in Englisch gerufene Aufforderung zu schiessen («shoot») hierzulande zur noch heute gängigen Bezeichnung «Schutte» führte, ein FC Läufelfingen gegründet. Die Läufelfinger gehörten aber nie dem Verband an und verschwanden bald einmal.
Spezialfall Rossoneri
jg. Innerhalb der Nordwestschweizer Fussballvereine nimmt die AC Rossoneri aus Lausen eine Sonderrolle unter den italienischen Vereinen ein. Der Klub, der eben mit 19 Siegen und 60 Punkten aus 24 Spielen eindrücklich in die 2. Liga aufgestiegen ist, wurde nicht nur elf Jahre vor dem FC Rümlingen, sondern auch zehn Jahre vor seinem Schweizer Ortskonkurrenten FC Lausen gegründet. Der Klub, benannt nach den Klubfarben der grossen AC Milan, schreibt über seine Entstehung: «Die Sehnsucht nach der Heimat drückt schwer und der Wunsch, sich vereint zu fühlen, stärkt den Willen, etwas Konkretes zu schaffen.» Rot-Schwarz sind natürlich auch die Vereinsfarben. Am 28. August werden 60 Jahre seit seiner offiziellen Aufnahme in den Schweizerischen Fussballverband vergangen sein.
Abbruch auf Zeile 18
jg. «Nein», entgegnet Guido Melone, der frühere FC-Rümlingen-Präsident, es sei bei ihnen nicht vermehrt zu Ausschreitungen gekommen. Doch Anfang September 1979 gingen die Emotionen auswärts gegen die Landsleute von Rossoneri sehr hoch. Da wird in der «Volksstimme» zwar lange brav und linear der Spielverlauf rapportiert. Nach einer Stunde «humpelte die halbe Mannschaft» des Gastes, heisst es. «Da begab sich der Torwart hinters Tor, um sich mit einem Zuschauer zu streiten», wird auf der 18. von total 30 Zeilen plötzlich geschildert. Der Schiedsrichter zückte Rot, worauf ihn der Goalie ebenfalls angriff und damit eine Keilerei lostrat. Das führte beim Stand von 4:1 für Rossoneri zum Abbruch der Partie. Und das Fazit des Reporters? «Wiederum konnte Rümlingen nicht überzeugen.»