Immer wieder Südsee (V): Bora Bora, Französisch-Polynesien

Von Rarotonga geht es weiter mit der MS Aranui nach Bora Bora. Ob diese Insel ihren Ruf als «Perle des Pazifiks» wirklich verdient? «Ci vediamo», würde der Italiener sagen; der Baselbieter meint: «Mir wäi luege.»

Hanspeter Gsell

Heute verbringen wir einen Tag auf hoher See. Ich mache mich daran, etwas über die Mitreisenden in Erfahrung zu bringen. Die Amerikaner schämen sich über die Amerikaner, die laut sprechen, gruselig gekleidet sind und manchmal protzig auftreten. Die Franzosen schämen sich über die Franzosen, die den ganzen Tag über das Essen reklamieren. Die Deutschen schämen sich über die Deutschen, die immer so verdammt laut sein müssen, alles besser wissen und dies die Amerikaner und Franzosen auch spüren lassen.

Und die Schweizer? Ja. Ich schäme mich manchmal auch für sie. Für das Anbiedernde, für das ach so Biedere. Ein Schweizer erzählt mir die Geschichte von den Wendehälsen, die er partout nicht ausstehe. Sie wissen auch nicht, um welche Spezies es sich hier handelt? Um Zürcher und Preussen! Wenn diese vor dem Sesseli-Lift anstehen, sei deren Schnauze immer bereits im Sesseli. (Damit auch die Preussen die Geschichte kapieren: Ein Sesseli ist ein kleiner Sessel. So einfach geht das mit der eidgenössischen Verkleinerungsform.)

Ein ganzes Schiff schämt sich fremd! Nur von den Australiern, Neuseeländern, Kanadiern und Holländern hört man nichts. Zum Fremdschämen braucht’s – um es mit der Technik zu halten – eine kritische Masse, die in dem Fall auch eine kritische Menge sein kann.

Ich mag Tage auf See, sie sind so unglaublich entspannend. Das Frühstück essen wir auf dem Balkon, das Mittagessen lassen wir aus. Beim Nachtessen versuchen wir, neue Leute kennenzulernen. Etwas, das uns auch regelmässig gelingt: Monika hat ein gutes Auge für interessante Menschen!
Der Faszination von Bora Bora kann sich wohl kaum jemand entziehen. Von Weitem schon sind die Bergspitzen des Otemanu zu sehen. Sie scheinen aus dem Dunkelblau des Pazifiks, aus dem Türkis der Lagune herauszuwachsen. Zwischen dem offenen Meer und der Lagune liegt das Weiss der Brandung wie eine Halskrause, der glitzernde Sand der Atoll-Inseln rahmt das Gemälde ein.

Zum Wahnsinnigwerden schön

Ein Bild, gesprenkelt mit Palmen, mit den farbigen Klecksen des Hibiskus, den weissen Blüten der Tiare. Atemberaubend, sinnesberaubend, zum Wahnsinnigwerden schön. Nicht nur der Atem, auch die Sinne und der Verstand kommen abhanden. Es beraubt einen auch der Worte.

Heute sitze ich zu Hause in der Schweiz auf dem Balkon, mein Blick verfängt sich in einer kleinen weissen Wolke östlich der Berner Alpen, heute habe ich die Sprache wiedergefunden. Es sind nicht nur schöne Worte, wie folgende Zeilen befürchten lassen:

Am weissen Strand im Sommerland
Wir beiden gingen Hand in Hand
Die rote Sonn’ versank im blauen Meer.

Wir wissen bis heute nicht, mit wem der deutsche Sänger Tony Marshall Hand in Hand durchs Sommerland schritt. Als ich vor einigen Jahren in Vaitape auf der Insel Bora Bora das Plakat sah, das ein Konzert genau dieses Tony Marshall ankündigte, und genau in diesem Moment die angeblich rote Sonn’ im blauen Meer zu versinken drohte, wandte ich mich an eine belesene Mitreisende aus Berlin. «Frau Schmitz, was hatte dieser Mann in Bora Bora zu suchen?»

«Ja, wussten Sie denn nicht, dass der Herr Marshall das berühmte Lied ‹Bora Bora› gesungen hat? Ich dachte, sie seien Schriftsteller, ha! Und dann haben ihm die Eingeborenen 2008 das Ehrenbürgerrecht verliehen. Und dies dreissig Jahre, nachdem das Lied in der Hitparade war! Sie Ignorant!»

Bevor mich Frau Schmitz noch weiter beleidigen konnte, verliess ich das Schiff und machte mich auf die Suche nach den Schönen und Reichen. Denn Bora Bora gilt als einer der exklusivsten und luxuriösesten Urlaubsorte in der oberen Preisklasse und zählt zu den teuersten Reisezielen der Welt. Da mussten sie mit Sicherheit zu finden sein!

In der Ferne sind die Überwasser-Bungalows des «The St. Regis Bora Bora Resort» zu erkennen. Ein Freund meinte einmal zu mir: «Wenn du viel Geld ausgeben willst, dann kaufe dir eine grosse Villa und leiste dir eine anspruchsvolle Freundin. Wenn du noch mehr Geld ausgeben willst, kaufe zusätzlich einen Bugatti sowie eine Jacht. Wenn du dagegen unermesslich viel Geld ausgeben willst, dann mache Ferien auf Bora Bora.»

Damit hat er sicherlich recht. Da niemand auf Bora Bora in einem mittelmässigen Dreisternehotel in der achten Reihe logieren möchte, ist mit einem Budget von tausend Euro zu rechnen. Pro Tag. Pro Person. Ohne Transfer. Ohne Frühstück.

Während ich so vor mich hin sinniere, wandere ich auf der Suche nach einem kühlen Bier die Küstenstrasse entlang. Ein schwieriges Unterfangen. Denn die Insel scheint nur aus Perlen-Läden zu bestehen. Weit und breit ist im Hafen kein Restaurant und auch keine Bar zu finden. Ich zähle 35 Perlen-Shops und gebe auf. Da auch keine Lebensmittelläden zu sehen sind, befürchte ich, dass man auf Bora Bora die Perlen nicht nur verkauft, sondern sie gleich auffrisst.

Nach einem schweisstreibenden Marsch finden wir dank der Mithilfe einer einheimischen Freundin doch noch ein Restaurant. Bei einem kleinen Lunch und einem grossen Bier beobachte ich das Treiben im Hafen. Eben hat ein riesiges Kreuzfahrtschiff die Einfahrt in die Lagune geschafft. Andocken kann es nicht, es ist viel zu gross.

Und so werden die Passagiere «getendert», in Beibooten an die Hafenkante gebracht. Es ist 13 Uhr. Gruppenweise und in Einerkolonnen folgen sie roten, gelben oder grünen Fähnchen in die Perlenläden. Um etwas später wieder auf ihr Schiff gebracht zu werden. Es wird um 16 Uhr wieder ablegen.

Die Ladenbesitzer von Bora Bora haben letzte Woche beschlossen, grosse Kreuzfahrtschiffe zukünftig zu boykottieren. Sollten Schiffe mit mehr als 800 Passagieren anlanden, werden sie ihre Läden verbarrikadieren. Wir aber werden nach Huahine fliegen. Mehr dazu demnächst hier in der «Volksstimme».

In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die sechsteilige Serie «Immer wieder Südsee» zur Reise des Sissacher Schriftstellers Hanspeter Gsell von Papeete über Raiatea zu den Cookinseln und zurück nach Bora Bora und Huahine.

Auf der Suche nach der Perle

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