Wie bitte? Mick Jagger wird 80 – Happy Birthday!
25.07.2023 KulturMusik | Der Frontmann der «Rolling Stones» feiert morgen Mittwoch seinen runden Geburtstag
Lukas Müller
In der legendären T.A.M.I.-Show am US-Fernsehen rückten sich die «Rolling Stones» 1964 ein erstes Mal ins internationale Scheinwerferlicht. ...
Musik | Der Frontmann der «Rolling Stones» feiert morgen Mittwoch seinen runden Geburtstag
Lukas Müller
In der legendären T.A.M.I.-Show am US-Fernsehen rückten sich die «Rolling Stones» 1964 ein erstes Mal ins internationale Scheinwerferlicht. «Stones»- Sänger Mick Jagger eroberte in dieser stilprägenden Performance die Herzen der Fans im Sturm. Er tanzte subtil mit kleinen Schritten – und dann wieder absolut furios wie ein Derwisch. Dazu vollführte er rockige Luftsprünge und schüttelte seine Maracas.
Keith Richards neben ihm grinste frech in die Runde und bearbeitete seine Gitarre in jenem damals bereits unvergleichlichen Stil, den er später noch weiter veredeln sollte. Und der viel zu früh verstorbene Brian Jones setzte omnipräsent mit seiner legendären Gitarre, einer «Teardrop» von Vox, ganz besondere Akzente. Im Hintergrund sorgten Bill Wyman am Bass und Charlie Watts am Schlagzeug für den nötigen Drive.
Unterdessen ist die Band seit Jahrzehnten weltberühmt. Trotz Sex, Drugs und Rock’n’Roll hat sie sich allen Prophezeiungen der damaligen älteren Generation zum Trotz prächtig gehalten. Mehr noch: Die «Glimmer Twins» Jagger/Richards erreichen jetzt beziehungsweise Ende Jahr die Schwelle des achten Dezenniums. In all den wilden Zeiten bis heute haben sich die «Stones» nicht auf den Lorbeeren ausgeruht: Als wache Rockhelden und aufmerksame Beobachter des Zeitgeists haben sie stets in Clubs und Bars den vorherrschenden Musiktrends nachgespürt. Die anfänglich von der Erwachsenenwelt als «Bad Boys» apostrophierten Musiker waren immer auch als musikalische Transmissionsriemen unterwegs.
Aktuell zählen die «Rolling Stones» zur Crème de la Crème der weltweit aktiven Rockbands, gemeinsam mit «AC/ DC», Lenny Kravitz, «Red Hot Chili Peppers» und anderen Top-Acts. Ihr Schaffen ist rund um den Globus gefragt. Bezüglich verkaufter Tonträger, T-Shirts und anderem Merchandising haben sie längst sämtliche Rekorde gebrochen. Morgen wird Mick Jagger 80 Jahre alt. Sie werden mir zustimmen: Das ist ein biblisches Alter für einen Rockstar. Die «Volksstimme» hat aus diesem Anlass Menschen aus der Region um ihre Meinung zu Mick Jagger und seiner schillernden Equipe angefragt.
Mutig und riskant
Irgendeinmal in den frühen 1990ern muss es gewesen sein. Die «Stones» sollten auf Tournee gehen und Mick Jagger lud zur Pressekonferenz ins «Tabernacle», eine ausrangierte Kirche in Notting Hill in London. Nach einer fulminanten Einführung sprintete er endlich auf die Bühne – und fiel der Länge nach hin. Dieser Moment zeigte mir erst die volle, charismatische Kraft von Mick Jagger: Niemand lachte, kein Fotograf knipste die Szene, nirgends war danach ein Wort darüber zu lesen. Dabei war Jagger nie nur ein Showman oder ein mit unglaublich subtilem Timing gesegneter Sänger. Die aufwieglerische, brünstige Dringlichkeit, die er in Gesang und Erscheinung besonders in den ersten Jahren an den Tag legte, war nicht nur «of its time», sondern auch mutig und riskant: Er gab sich «camp» und lief mit Makeup herum, als Homosexualität in England noch strafbar war. Und selbst in den experimentellsten «Stones»-Momenten – die sträflich unterschätzte LP «Their Satanic Majesties Request» zum Beispiel – legt sich Jagger immer mit 100 Prozent Überzeugung ins Zeug.
Hanspeter «Düsi» Künzler, Journalist, London
Ein Getriebener
Mick Jagger wird 80. Während ich positiv überrascht bin, stelle ich mir vor, dass Keith Richards für diese Leistung nur ein müdes Lächeln übrig hat. Als Jugendliche konnte ich Mick Jagger und Steven Taylor von «Aerosmith» rein optisch nicht auseinanderhalten, was offensichtlich an der ihnen gemeinsamen, überdimensionalen Ausprägung der Mundpartie lag. Was bei Jagger wortwörtlich und zumindest musikalisch dabei herauskam, war bereits damals legendär. Und ganz offensichtlich konnte er bis heute sein Verlangen nicht stillen und schreit nach wie vor «(I Can\'t Get No) Satisfaction» in die Welt hinaus. Vielleicht – oder gerade deshalb – schafft er es, trotz derbsten Rockstar-Lebens, das man sich überhaupt vorstellen kann, 80 Jahre alt zu werden. Ein Getriebener halt. Ich gestehe, ich habe die Musik der «Rolling Stones» nie aktiv verfolgt. Aber wenn man Musik sofort erkennt, ohne sie bewusst zu kennen, handelt es sich entweder um einen unfassbar nervigen Ohrwurm der aktuellen Charts, oder um Musik, die über Dekaden Geschichte geschrieben hat. Welche Variante auf die «Stones» zutrifft, muss nicht diskutiert werden. Mittlerweile habe auch ich mit Jahrgang 1987 begriffen, dass früher alles besser war. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Song «Out of Time», der 1966 erschienen ist, empfehlen. Der hat mein eher zum Soul hin orientiertes Herz immer etwas höher schlagen lassen. Happy Birthday, Mick.
Ira May, Soul-Sängerin
Traue keinem über 30 …
Jagger/Richards oder Lennon/McCartney? Mitte der 1960er-Jahre gab es ein «Beatles»- und ein «Rolling-Stones»-Lager unter den Beat-Musik-Fans. Musikalisch überfordert, dafür ideologisch umso fundamentalistischer war dieser Teil des Publikums beider Bands der Meinung, sich zwischen diesen zwei so einzigartigen Bands entscheiden zu müssen. Ich selbst liess mich entspannt an einem Tag von «A Hard Day\'s Night» und am nächsten Tag von «Have You Seen Your Mother, Baby, Standing in the Shadow?» überwältigen und interessierte mich nur am Rande dafür, ob nun die Mitglieder der einen Band gemäss Nachrichtenmeldung wirklich auf einem öffentlichen Parkplatz ihre Notdurft verrichtet hatten, oder ob das ganz woanders war. John Lennon dürfte die Rivalität jedenfalls auch nicht so eng gesehen haben, schliesslich hatte er bei einer Fernsehshow von 1968 bei «Sympathy for the Devil» inbrünstig im Publikum mitgetanzt. Für mich beinhaltet das Live-Album «Get Yer Ya-Ya’s Out!» die von mir so geschätzte Essenz und die meisten meiner Lieblingstitel der «Stones». Offensichtlich hat der Jubilar das nun über 50-jährige Misstrauen ihm gegenüber, das er unter 30 gepredigt hatte («Traue keinem über 30»), rüstig überstanden. Ich wünsche ihm ein geruhsames Fest im Kreise seiner Unmengen von Kindern, Enkeln, Urenkeln und sonstigen aktuellen und ehemaligen Familienmitgliedern, und dass er das Alter gesund und munter erreichen wird, das wir ihm alle zutrauen.
Peter «Pek» Krattiger, ehemaliger Gitarrist von «Irrwisch»
Roll on!
Ich war 1982 dabei, als die grossen «Rolling Stones» ihr «Joggeli»-Konzert gaben, welches das kleine Basel nie vergisst. Mein ältester Bruder hatte mich und meinen anderen Bruder mitgenommen. Ewige Erinnerung! Auf dem Ticket prangte in obszönem Rot die «Stones»-Zunge und aufgedruckt war der Preis: 40 Franken! Das Konzert startete mit «Under My Thumb». Bei «Miss You» haben wir besonders laut mitgesungen. Und natürlich schmachtend bei «Angie». An Mick Jagger habe ich keine Erinnerung. Wir standen in der Muttenzer Kurve, 100 Meter weit weg von der Bühne … Jagger war damals 39 Jahre alt und in meinen 15-jährigen Augen längst ein Grufti. Wir alle waren überzeugt, dass die «Stones» altersbedingt bald aufhören werden. Ein 41-Jahre-Irrtum! «Rock’n’Roll Will Never Die», singt der weise Neil Young. Mit seinen 69 Jahren ist er immer noch auf Tour und live eine Wucht. Iggy Pop mit seinen 76 habe ich vor etwas mehr als einer Woche auf einer ganz grossen Bühne gesehen, das Konzert war der helle Wahnsinn! Bob Dylan ist 82 und zwei oder drei Mal will ich ihn ganz sicher noch erleben. Jagger und Co: Bitte rollt weiter! Etwas Besseres kommt sowieso nicht nach.
David Thommen, Chefredaktor «Volksstimme»
Unvergessliche Rockhymnen
Mick Jagger und die «Rolling Stones» begleiten mich eigentlich schon seit meiner Kindheit. Ich bin musikalisch mit den amerikanischen Bluesgrössen wie Willie Dixon, Muddy Waters, Albert und Freddie King, Albert Collins oder auch Chuck Berry aufgewachsen. Da die «Stones» anfänglich hauptsächlich Bluestitel coverten, und gerne auch mit ihren Idolen jammten, verfolgte ich Mick und seinen genialen Gitarristen Keith genau. Gemeinsam schufen Jagger/Richards unzählige, unvergessliche Rockhymnen. Micks unverkennbarer Gesang mit britischem Akzent, sein Charisma und seine Ausstrahlung auf und neben der Bühne haben den «Stones» immer den Extra-Glamourfaktor gebracht. Sein Tanzstil wurde vor über 10 Jahren von «Maroon 5» mit Christina Aguilera sogar in einem erfolgreichen Chart-Hit besungen: «Moves Like Jagger». Wer hätte vor 40 Jahren gedacht, dass Mick Jagger mit 80 Jahren noch auf der Bühne steht? Wahrscheinlich am wenigsten er selber.
Steff Müller, Gitarrist und Sänger «Groovepack»
Aus dem Pantheon der Rockmusik
In sehr jungen Jahren, als etwa 15-Jähriger, bin ich auf die «Rolling Stones» aufmerksam geworden. Dies vor allem durch meinen Bruder, der sämtliche Titel der Glimmer Twins Jagger/Richards in- und auswendig kannte. Bei mir wurde in dieser Zeit parallel zu den rollenden Steinen aber auch Udo Lindenberg wichtig. Ich weiss sehr viel von Udo und habe ihn in Hamburg persönlich kennengelernt. Stücke wie «Kleiner Junge» und «Wozu sind Kriege da?» begleiten mich bis heute. Doch kommen wir zurück zu den «Rolling Stones»: In ihrem Schaffen produzieren sie keine stromlinienförmige Happy Music, sondern sie sprechen auch dunkle, traurige Dinge an. «Dead Flowers», «Honky Tonk Woman», «Brown Sugar», «Angie» – bei dieser Band muss man ganz genau hinhören. In solchen Stücken steckt unglaubliche Poesie. Das sind Songs aus dem Pantheon der Rockmusik. Im Prinzip ist es Musik für die Ewigkeit. Zum Geburtstag möchte ich folgende Glückwünsche formulieren: «Dear Mick, I wish you all the best!»
«Hammond» Weber, Tastenkünstler in verschiedenen Bands
Seelenverwandter
Die Karriere der «Rolling Stones» beginnt anno 1963, als die «Beatles» den «Stones» den Song «I Wanna Be Your Man» ausliehen. Mit diesem Titel landeten die auf Dirty-Beat-Sound abonnierten Musiker einen ersten Hit (UK Charts Nr. 12 UK). Richtig populär wurden Mick Jagger & Co. bei uns aber erst 1965. Damals landeten sie einen Knaller, der mich persönlich richtig vom Hocker riss – «(I Can’t Get No) Satisfaction». Es folgte Hit um Hit: «Get Off of My Cloud», «Paint It Black», «Jumpin’ Jack Flash». Spätestens nach «It’s Only Rock’n’Roll» stürmten sie den Rock-Olymp. Für mich wurde die Rockmusik auch zu meinem Beruf. Ab 1983 wurde ich Schallplattenhändler im Atlantis Records, das derzeit sein 40-Jahre-Jubiläum feiert. Später rief ich meine Garagen-Rock-Band «The Glorias» ins Leben. Gemeinsam mit meinen Bandkumpeln und meiner Stammkundschaft gratuliere ich als Seelenverwandter Mick Jagger herzlich zum grossen Wiegenfest.
Bernie Rotzinger, LP- und CD-Spezialist
Das ist «Volksmusik»
Corin Curschellas (67) und Mick Jagger (80). Die Schweizer Liedermacherin und der geadelte Sir Michael Philip Jagger sind in mehrerer Hinsicht buchstäblich Welten auseinander. Sie ist die Volksmusikantin und Sängerin, er ist der Rocker. Gemeinsam ist ihnen: Sie werden älter, stehen aber noch immer auf der Bühne. «Mit der Volksmusik kann man in Würde alt werden», sagt Corin Curschellas im Buch «Alles bleibt anders» über die Berner Musikerin und Jodlerin Christine Lauterburg. Curschellas sagt noch mehr: «Die ‹Stones› können noch lange ‹I Can’t Get No Satisfaction› spielen, aber ich denke: Oh jehminee, immer noch nicht?» Und Jagger könne «noch lange fit wie ein Wiesel über die Bühne turnen, aber er sieht trotzdem sehr gruftig und unpassend aus. Wir hingegen können ganz entspannt und stimmig alt werden, weil die Lieder noch viel älter sind als wir». Ob sie recht hat mit dieser Beurteilung, müssen wir wohl alle für uns selber beurteilen. Für mich ist Jagger ein Phänomen: Welcher 80-Jährige kann noch derart gelenkig wie ein junger Gymnasiast die Bühne bespielen wie er? Welcher 80-Jährige kann seine Stimme noch so mit Biss einsetzen wie ein halb so alter Sänger? Eben. Und, liebe Corin: Viele «Stones»-Songs sind auch schon «alt» – und gehören so gesehen zur «Volksmusik».
Robert Bösiger, Autor