"Niemand kommt mehr auf die Idee, einen Dampfer abzubrechen
18.07.2023 SchweizEin neues Buch über historische Schiffe auf Schweizer Gewässern
Sommerzeit – Zeit, um sich in und an Gewässern zu tummeln. Die Schwyzer Autorin Yvonne Scheiwiller hat ein Buch über die historischen Schiffe der Schweiz verfasst. In unserem Interview blickt sie auch ...
Ein neues Buch über historische Schiffe auf Schweizer Gewässern
Sommerzeit – Zeit, um sich in und an Gewässern zu tummeln. Die Schwyzer Autorin Yvonne Scheiwiller hat ein Buch über die historischen Schiffe der Schweiz verfasst. In unserem Interview blickt sie auch nach Basel, das für Schiffsfreunde allerdings eher enttäuschend sei.
Lorenz Degen
Frau Scheiwiller, wie sind Sie auf das Thema der historischen Schiffe gekommen?
Yvonne Scheiwiller: Ich hatte Anfang Januar 2020 bei der Firma Kibag in Wollishofen in der Grundbuchstelle zu arbeiten begonnen. Schnell waren mir die zum Teil schon historischen Ledischiffe und Nauen dieser bekannten Baufirma aufgefallen. Das älteste Boot – die «Möve» – ist sogar ein ehemaliges Dampfboot aus dem 19. Jahrhundert. Dann brach die Covid-19-Pandemie aus und versetzte uns in Lockdowns und behinderte Auslandreisen. Ich reise sehr gerne, sah aber die Chance der Reisebeschränkungen: Reisen zu historischen Schiffen in der Schweiz. Durch die Arbeit bei der Kibag wurde ich auch auf die Betreiber von Lastschiffen aufmerksam, die üblicherweise nicht im Fokus stehen.
War Ihnen schon von Anfang an klar, worüber genau Sie schreiben wollen?
Das Thema entwickelte sich langsam. Während einer Weiterbildung in Denkmalpflege und Umnutzung hatte ich einiges über Baudenkmäler gelernt – Originalsubstanz, Weiterbauen und wann etwas historisch ist. Ich musste dieses Wissen adaptieren und auf praktische Anwendbarkeit herunterbrechen. Ich realisierte bald einmal, dass ich die 1960er-Jahre nicht berücksichtigen kann, denn damals wurden sehr viele Schiffe in Betrieb genommen. Das hätte den Rahmen gesprengt. Auch die «Schweizer Gewässer» mussten definiert werden; ich habe auch deutsche und österreichische Schiffe auf dem Bodensee berücksichtigt, weil diese eine so ausserordentliche Geschichte haben. Als ich schon weit fortgeschritten war, tauchte das «Schiff des Theseus» auf; das ist eine philosophische Frage bereits aus der Zeit der alten Griechen: Wie stark darf ein altes Schiff umgebaut werden, bis daraus etwas Neues geworden ist? Die Frage kann nicht präzise beantwortet werden und alle angefragten Personen sehen es verschieden. Meine Antwort auf die Frage nach dem «Schiff des Theseus» ist, dass es das gleiche Schiff bleibt, solange eine plausible Geschichte zu den Änderungen und Umbauten erzählt werden kann.
War es schwierig, an Informationen zu kommen?
Die meisten Schiffseigner waren sehr offen und zeigten mir stolz ihre Schätze. Natürlich gehörte auch das Studium von Literatur und Quellen dazu. Ich bin mit einigen Schiffshistorikern befreundet, die mir wertvolle Tipps gaben oder sogar das Schlusslektorat machten.
Wie gestaltete sich die Recherche?
Die interessantesten Geschichten habe ich am Genfersee erlebt. Hanspeter Arnold von der Firma Sagrave zeigte mir nicht nur die vielen Lastschiffe, sondern auch zwei seltene Schiffe, die in seinem Eigentum sind: das ehemalige Dampflastschiff «Mercure» und ein Patrouillenboot der Schweizer Armee aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Dieses «Risch» genannte Boot stellte sich als Produkt eines Ingenieurs Risch heraus, der in der Roten Fabrik in Wollishofen Patrouillenboote hergestellt hatte. Auch interessant war die edle Jacht «Walkyrie», die heute einem bekannten Genfer Bankier gehört. Sie war früher eine Dampf-Jacht, die von Gustave Eiffel betrieben wurde. Leider verschwand die Dampfmaschine schon vor 100 Jahren. Das Boot hat aber viel Originalsubstanz aus der Zeit von Gustave Eiffel. Ausserordentlich sind auch die zwei originalen Segelbarken «Vaudoise» und «Neptune», die sogenannte Lateinersegel haben und quasi Symbole des Genfersees darstellen.
Und in der Deutschschweiz?
Eine fantastische Geschichte erlebt hat auch das Dampfboot «Greif» auf dem Greifensee: Es verlor im Laufe der Zeit seine Dampfmaschine. Die Dampfmaschine kam in einen Dampfbagger der Kibag. Als der Dampfbagger sein Lebensende erreicht hatte, wurde die Maschine ausgebaut und kam auf Umwegen wieder auf die «Greif» zurück. Die «Greif» gehört heute zu den wertvollsten historischen Schiffen der Schweiz.
Wie ist die Situation der historischen Schiffe auf dem Rhein?
Der Rhein ist ein langer Grenzfluss und auf verschiedenen Abschnitten unterschiedlich nutzbar: Wenig bekannt ist die «Kreuzfahrt» auf dem Alpenrhein, die von Rorschach aus über den Bodensee zum Alten Rhein und bis nach Rheineck führt. Der Neue Rhein wird auf österreichischer Seite hauptsächlich von Steinschiffen befahren. Ab Kreuzlingen respekive Konstanz beginnt die mehrstündige Schifffahrt nach Schaffhausen. In Schaffhausen kann man im Oldtimerschiff «Konstanz» übernachten. Nach Schaffhausen verhindert bekanntlich der Rheinfall die Schifffahrt, aber gleich nach dem Rheinfall kann man mit grossen und bewirteten Weidlingen bis nach Eglisau fahren. Die Überwindung der diversen Flusswehren ist abenteuerlich, weil die Weidlinge über die Wehre gezogen werden, während die Passagiere nach dem Ausschiffen zu Fuss gehen. Bekannter ist die Rheinschifffahrt ab Rheinfelden, das auch mit etwas grösseren Schiffen erreichbar ist und regelmässig durch die Schleusenfahrten von Basel aus angefahren wird. In Kaiseraugst wartet die 1955 bei Lais gebaute Fähre Kaiseraugst–Herten auf seine Passagiere.
Gibt es besondere Schiffe in Basel und Umgebung?
Basel ist für Schiffsfreunde, die durch Hafenstädte wie Hamburg oder Bremerhaven verwöhnt sind, etwas enttäuschend: Grundsätzlich wäre Basel durch die meisten Binnenschiffe Europas erreichbar, doch die historischen Schiffe kommen nur selten nach Basel. Es scheint keinen Grund dafür zu geben. Das «Baslerdybli» sieht auf den ersten Blick wie ein alter Dampfer aus, erweist sich auf den zweiten Blick als Rekonstruktion von 1980 und auf den dritten Blick ist es doch voller historischer Elemente: Zum Beispiel einem Teil des Salons des abgewrackten Vierwaldstättersee-Dampfers «Pilatus», der andere Salonteil ist übrigens das Entrée des «Nautiramas» im Luzerner Verkehrshaus. Aber auch dieses semi-historische Schiff scheint ungeliebt zu sein und wird nur selten fahrplanmässig eingesetzt. Klassiker der europäischen Kanalschifffahrt sind die «Evolutie» und die «Willi» – Letztere ist meistens unterwegs. Die Basler Fähren in der Form von Holzweidlingen haben das Problem, dass sie nie richtig historisch sind – im Sinn von mindestens 60 Jahre alt werden. Holzweidlinge werden meistens nur 20 bis 30 Jahre alt, dann ist das Holz morsch und die Fähre muss ersetzt werden. Die älteste Basler Fähre «Vogel Gryff» befindet sich denn auch im Verkehrshaus Luzern und datiert von 1962. Sie war bis 1983 in Betrieb gewesen. Das ehemalige Feuerschiff «Gannet» hat Basel mitten in der Pandemie erreicht und bietet sich als Kulturschiff auf dem Trockenen an.
Was ist sonst zu Basel zu sagen?
Weitere historische Schiffe, die manchmal in Basel ankern, sind die «Froschkönig», ein ehemaliger Rheinschlepper von 1926, die «Leo» – eine ehemalige holländische Ark von 1906 –, oder zufällig in Basel verkehrende Frachtschiffe älteren Datums. Nicht historisch, aber trotzdem hochinteressant sind die verschiedenen Arbeitsschiffe, Kiestransporter und Wasserbau-Spezialboote, die auch heute mithelfen, die Flussinfrastruktur zu erhalten. Gerne vergessen geht, dass Basel auch ein bedeutender Kreuzfahrthafen ist. Empfehlen kann man immer einen Besuch in einem der aktuell zwei Hafenbecken oder einen Spaziergang entlang des Rheins, um die Schiffe zu beobachten.
Was ist Ihr Fazit zu den historischen Schiffen auf Schweizer Gewässern? Wie ist es um sie bestellt?
Das alte Schiff hat immer dann ein Problem, wenn eine Unterwassersanierung ansteht. Diese ist teuer und aufwendig und der Eigner fragt sich, ob sich die Sanierung lohnt. Wenn der Eigner ein Schiffsfreund ist, wird er die Sanierung machen, wenn er nur ausfahren will, wird er auf ein Plastikboot wechseln und das Holzboot entsorgen. Meines Erachtens geht es den historischen Schiffen heute besser als vor ein paar Jahren: Man hat deren Wert erkannt, zeigt seine Schätze stolz, weil sie im Meer von Plastikbooten herausstechen. Niemand kommt heute mehr auf die Idee, einen Dampfer abzubrechen oder zu einem Dieselschiff umzubauen. Ganz im Gegenteil: Es gibt Studien, welche die Revaporisierung der «Helvetie» auf dem Genfersee prüfen.
Was soll Ihr Buch bewirken?
Das Buch soll eine Tugend fördern, die wir während der Pandemie üben mussten: Das Gute in der Nähe zu suchen; Ferien in der Schweiz zu machen und auch hier Neues und Aufregendes zu entdecken. Wie wäre es mit einer Ruderfahrt auf einem der vielen bunten Holzboote auf dem Pfäffikersee? Ein Besuch des Bootsmuseums am Silsersee? Mit einem Motorschiff aus den 1930er-Jahren auf dem Schwäbischen Meer eine Kreuzfahrt machen? Die Dreiseenfahrt auf den Juragewässern und dabei den Lastschiffen im Zihlkanal bei der Arbeit zuschauen? Oder sogar eine mehrtägige Kreuzfahrt auf einem ehemaligen Lastschiff? Die «Attila» bietet neun komfortable Kabinen in der Form von Containern an. Dabei kann man die prähistorischen Schiffe in den ausgezeichneten Museen der Juragewässer besuchen. Weitere Schiffs-, Dampfmaschinen- und Verkehrsmuseen am Genfer- und Bodensee, in Basel, Winterthur oder natürlich das Luzerner Verkehrshaus mit seinem Aussenlager in Rain lohnen den Besuch. Ich will darauf «gluschtig» machen.
Arbeiten Sie schon an einem neuen Buch?
Nein. Ich schreibe aktuell an Artikeln für die Zeitschrift «Industriekultur» und über das 700-jährige Haus, in dem ich wohne. Die mittelalterlichen Häuser von Steinen sollen bekannter gemacht werden. Parallel halte ich Ausschau nach Themen, die noch nicht so bekannt sind, zum Beispiel über die Dampfmaschinen in der Schweiz – in erster Linie die noch bestehenden stationären Dampfmaschinen. Das Winterthurer Dampfzentrum hat davon eine schöne Sammlung, aber es gibt noch viel mehr davon. Gerne nehme ich Hinweise aus der Leserschaft entgegen.
Zur Person
ld. Yvonne Scheiwiller (59) wohnt in Steinen (SZ). Die studierte Juristin mit Nachdiplomstudien in Denkmalpflege und Museumspraxis arbeitete meistens im Bereich Grundbuch; aktuell für Grundbuchbereinigungen für den Kanton Zug. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und vieler Artikel, unter anderen zur Schwyzer Industriekultur und zum Erhalt historischer Bausubstanz. Als Hobbys pflegt sie das Reisen und Fotografieren.
Yvonne Scheiwiller: «Historische Schiffe auf Schweizer Gewässern», Triner Verlag. www.triner.ch/verlag