«Das Baselbiet ist ins Hintertreffen geraten»
15.06.2023 Wirtschaft, Bezirk LiestalBau- und Umweltschutzdirektor Isaac Reber plädiert für mehr erneuerbare Energien und damit mehr Klimasch e Energien und damit mehr Klimaschutz
Die Bürgerlichen im Baselbiet befürchten, dass die von der Regierung vorgeschlagenen Klimaschutzmassnahmen die ...
Bau- und Umweltschutzdirektor Isaac Reber plädiert für mehr erneuerbare Energien und damit mehr Klimasch e Energien und damit mehr Klimaschutz
Die Bürgerlichen im Baselbiet befürchten, dass die von der Regierung vorgeschlagenen Klimaschutzmassnahmen die Energieversorgung gefährden und den Strom teurer machen. Vor der neuen Legislaturperiode nimmt Bau- und Umweltschutzdirektor Isaac Reber (Grüne) Stellung zu dieser Kritik. Eine Ausbauoffensive bei den erneuerbaren Energien sei unabdingbar, meint er.
Janis Erne
Herr Reber, am 1. Juli beginnt die neue Legislaturperiode. Der Landrat ist neu zusammengesetzt, wobei die Grünliberalen erstmals Fraktionsstärke haben. Gibt das dem Klimaschutz Auftrieb?
Isaac Reber: Es ist parteiübergreifend unbestritten, dass es Handlungsbedarf gibt. Die Streitfrage ist, welches die richtigen Massnahmen sind. Dass die GLP nun eine eigene Fraktion stellt, finde ich persönlich erfreulich. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich zum liberalen Flügel der Grünen gehöre. Ich hoffe und denke, dass die GLP eine fortschrittliche Klimapolitik unterstützen wird. Allerdings haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Landrat nicht fundamental verändert.
Zuletzt ist die Baselbieter Klimapolitik ins Stocken geraten. Eine bürgerliche Mehrheit im Landrat hat das Energiegesetz, das verschiedene Massnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaneutralität bis 2050 vorsieht, gestoppt. Das Gesetz wurde Ende April an die Umweltschutz- und Energiekommission zurückgewiesen. Nun muss diese nochmals über die Bücher.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als klar wurde, dass die Bürgerlichen das Energiegesetz zurückweisen?
Die Vorlage war in der Kommission zuvor ausführlich diskutiert und dem Landrat mit einer deutlichen Mehrheit zur Annahme empfohlen worden. Die Zurückweisung durch den Landrat überraschte mich deshalb schon ein wenig. Gleichzeitig war mir bewusst, dass es noch zu Diskussionen kommen wird. Es gab dann auch viele Anträge aus dem Landrat – darum ist es wohl besser, dass das Gesetz in der Kommission nochmals diskutiert wird. Denn am Ende wollen wir ein mehrheitsfähiges Gesetz. Der Kern soll aber beibehalten werden.
Worin besteht dieser?
Zu den wesentlichen Punkten zählen die Photovoltaikpflicht bei Neubauten und das erneuerbare Heizen. Also, dass eine fossile Heizung durch eine erneuerbare ersetzt werden muss, wenn sie ihr Lebensende erreicht hat. Die Zeit für diese Veränderungen ist reif, zumal viele Kantone weiter sind als wir. Allerdings muss man es immer auch pragmatisch sehen: Zum Schluss muss die Vorlage mehrheitsfähig sein, möglicherweise auch vor dem Stimmvolk.
Sie sprechen es an: Es gibt deutlich konservativere Kantone als Baselland wie Appenzell Innerrhoden oder Obwalden, die eine Photovoltaikpflicht bei Neubauten bereits kennen. Wieso haben es die erneuerbaren Energien bei uns so schwer?
Diese Frage stelle ich mir, offen gesagt, auch. Das Baselbiet ist mittlerweile ins Hintertreffen geraten. Darum mein Appell: Wir müssen beim Klimaschutz einen Schritt vorwärts machen! Hoffentlich ringt sich der Landrat im zweiten Anlauf dazu durch, die Photovoltaikpflicht bei Neubauten einzuführen.
Braucht es neue Kompromisse?
Das Energiegesetz, das der Regierungsrat dem Landrat überwiesen hat, ist schon recht gut austariert. Das wurde offensichtlich, als im Landrat über den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 diskutiert wurde. Die beiden Anträge, den Wert bei tieferen 60 respektive bei höheren 80 Prozent festzusetzen, wurden abgelehnt. Am Schluss kam eben doch der 70-Prozent-Vorschlag der Regierung durch.
Zum einen ist Wahljahr, zum anderen wird die SVP ab Juli in der «Oppositionsrolle» sein. Kommt das Energiegesetz zu einem ungünstigen Zeitpunkt in den Landrat?
Über den Klimaschutz und über die Energiefrage müssen wir jetzt diskutieren, den «idealen» Zeitpunkt gibt es ohnehin nicht. Eine gewisse Wirkung erwarte ich vom Abstimmungsergebnis über das eidgenössische Klimaschutzgesetz am Sonntag: Bei einem Ja bekommt der Klimaschutz im Baselbiet vermutlich Auftrieb, bei einem Nein wird es schwieriger, entsprechende Anliegen durchzubringen. Falls selbst das Klimaschutzgesetz, das ohne Verbote auskommt, nicht mehrheitsfähig wäre, müssten wir nochmals darüber nachdenken, was überhaupt möglich ist.
Wie beurteilen Sie es, dass die Kantonalpräsidenten der FDP, der «Mitte» und der GLP offiziell für ein Ja zum nationalen Klimaschutzgesetz werben, ihre Parteien im Baselbiet aber den Klimaschutz verzögern und womöglich abschwächen?
Ich bin nicht sicher, ob man das in einen Zusammenhang stellen kann. Die Rückweisung des Energiegesetzes hat wohl eher mit den Mehrheitsverhältnissen im Landrat und in der Kommission zu tun. Ich setze auf die GLP, die «Mitte» und die FDP, dass sie auf eine fortschrittliche Energiepolitik hinarbeiten. Das wäre im Interesse der Baselbieter Bevölkerung. Dazu gehören erneuerbares Heizen und eine Photovoltaikpflicht bei Neubauten. Das sind beileibe keine extremen Vorschläge. Extrem wäre eher eine Photovoltaikpflicht für bestehende Bauten oder ein Ablaufdatum für funktionierende Heizungen – das haben wir im Baselbiet beides nicht vorgesehen.
Die SVP als führende bürgerliche Kraft warnt davor, dass die Klimaschutzmassnahmen im Energiegesetz die Stromversorgung gefährden und dass höhere Kosten auf die Bürger zukommen. Wurden die Anliegen der wählerstärksten Partei zu wenig ernst genommen?
Dass die Stromversorgung ein Sorgenkind ist und eine Knappheit preisliche Folgen haben könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Das hat sich im vergangenen Herbst und Winter gezeigt – ohne das Energiegesetz notabene. Die Bedrohung kommt aus einer anderen Richtung. Wir sind relativ stark von älteren AKWs in Frankreich abhängig und auf Gas-Importe angewiesen. Zudem fehlt ein Stromabkommen mit der EU. Das sind die wahren Risiken. Mit den Massnahmen im Energiegesetz würden wir selber mehr Strom produzieren und unabhängiger vom Ausland werden. Das müsste eigentlich im Sinne der SVP sein.
Die Schweiz kann selbst kaum genügend Strom produzieren.
Es gibt eine Stromlücke im Winter, das ist unbestritten. Diese müssen wir schliessen. Sogar SVP-Bundesrat Albert Rösti spricht sich für eine Ausbauoffensive bei den erneuerbaren Energien aus. Diese Sicht teile ich vollumfänglich – wir sollten vom Reden ins Handeln übergehen.
Die Stromproduktion ist das eine, die Speicherung das andere. Im Energiegesetz ist das Speichern von Strom nicht erwähnt. Verlässt sich der Kanton hier zu stark auf den Bund?
Solche Vorbehalte sind berechtigt. Beispielsweise mit der Zunahme von E-Autos gibt es aber immer mehr Speicher, die den Strom kurzfristig speichern können. Eine Fahrzeugbatterie kann auch überschüssigen Solarstrom speichern. Zwar können wir solche Möglichkeiten heute noch nicht vernünftig nutzen, doch in den nächsten 20 Jahren wird bei der Batterie- und Speichertechnologie viel passieren. Damit beschäftigt sich die ganze Welt. Ich glaube an die Innovationskraft der Wirtschaft.
Sie setzen bei der Stromspeicherung also voll auf Innovationen?
Es braucht auch die Politik. Um saisonal Strom speichern zu können, müssen grosse Speicher gebaut und ausgebaut werden. Darum spreche ich mich seit bald 20 Jahren für den Ausbau der Grimselstaumauer oder nun für den Triftstausee aus. Es braucht in der Energiepolitik eine gewisse Konsequenz, und wenn wir den Wandel zu einem neuen Energieversorgungsystem schaffen wollen, müssen wir Kompromisse eingehen.
Sie sind ein Verfechter der Geothermie und Tiefengeothermie. Welche Rolle können diese beiden Verfahren zur Energiegewinnung künftig spielen?
Mit Erdsonden, mitteltiefer, hydrothermaler Geothermie und der Tiefengeothermie haben wir ein fast unerschöpfliches Potenzial an erneuerbarer Energie. Und das Beste daran ist, dass sie hier gewonnen werden kann. Wärme wird in der Energiediskussion ohnehin unterschätzt oder vergessen: Bei der Wärmepumpe zum Beispiel reden alle vom Strom, doch der Clou ist, dass sie vor allem mit Umweltwärme entweder aus dem Boden oder aus der Luft arbeitet.
Isaac Reber kommt auf verschiedene Projekte zu sprechen: Auf die Heisswassernutzung und die Heisswassersuche in Riehen, die 2022 auf Baselbieter Gemeinden ausgeweitet worden ist, auf die zwei Wärmepumpen in der ARA Birs in Birsfelden, die neuerdings das Basler Lehenmatt-Quartier heizen, auf den Wärmeverbund Birsstadt mit seiner neuen Rohrleitungsbrücke über der A18, auf die neue Fernwärmezentrale in Liestal und auf das Erdsondenfeld auf dem «BaseLink-Areal» in Allschwil – eines der grössten in der Schweiz. Er greift zum Stift und skizziert, wie die Erdwärmenutzung auf dem «BaseLink-Areal» (das «florierendste Wirtschaftsgebiet im Kanton») funktioniert:
Mit dem Erdsondenfeld können die Gebäude im Winter geheizt und im Sommer gekühlt werden. Das Erdreich wird dabei als thermische Batterie genutzt. Gerade das Kühlen von Gebäuden wird in der Zukunft noch wichtiger. Es ist eine geniale und intelligente Technologie.
Zu den «intelligenten Technologien» zählt der Bau- und Umweltschutzdirektor auch die Tiefengeothermie, die bis zu fünf Kilometer in den Boden hineinreicht. Obwohl 2007 ein solches Projekt in Basel wegen Erdbebengefahr abgebrochen wurde, findet Isaac Reber:
Wir sollten den Mut haben, auch das Thema Tiefengeothermie nochmals aufzunehmen. Dort findet sich fast unbeschränkt Bandenergie, direkt unter unseren Füssen.
Ihre Ausführungen zeigen: Es gibt bereits viele Projekte für mehr erneuerbare Energien. Auch die Zahl der Wärmepumpen, Solaranlagen und E-Autos steigt stark. Braucht es überhaupt noch Zielvorgaben von der Politik, um bis 2050 klimaneutral zu werden – oder regelt das der Markt von alleine?
Es braucht beides: Verbote und Fördermassnahmen. Wobei unser Fokus ganz klar auf den Fördermassnahmen liegt. Wir wollen den Umbau des Energiesystems mit Anreizen fördern. Mit dem Energiepaket sind wir auf einem guten Weg. Ich betone nochmals: Eine funktionierende fossile Heizung muss im Baselbiet nicht herausgerissen werden, sie muss erst dann durch ein erneuerbares Modell ersetzt werden, wenn sie ihr Lebensende erreicht hat. Trotzdem empfehle ich niemandem, jetzt noch eine Öl- oder Gasheizung einzubauen.
Die Wirtschaft hat bereits jetzt Schwierigkeiten, mit dem Umbau des Energiesystems Schritt zu halten. Es gebe zu wenig Fachkräfte und Lieferprobleme, warnen bürgerliche Politikerinnen und Politiker.
Eigentlich erlebe ich die Wirtschaft vielerorts eher dynamischer als die Politik, und ich habe Mühe damit, wenn man sich grundsätzlich einem Wandel verschliesst. Der Wechsel auf erneuerbare Systeme passiert – auch ohne unser Zutun im Baselbiet oder in der Schweiz. Wir können ihn weder bestimmen noch steuern. Darum ist es nötig, dass wir uns zumindest darauf vorbereiten. Ob sich zum Beispiel die E-Mobilität durchsetzen wird, bestimmen nicht wir, sondern die Automobilindustrie – und diese befindet sich nicht in unserem Land.
Im Umkehrschluss kann man argumentieren, dass auch der Klimaschutz nicht vom Baselbiet abhängt, sondern von den Chinesen, den Indern und so weiter.
Dem widerspreche ich vehement. Erstens ist dieses Argument ein unehrliches Schwarzpeterspiel und eine zu billige Ausrede: Europa und Nordamerika stossen pro Kopf am meisten Treibhausgase aus. Wenn nicht einmal wir unseren Konsum reduzieren oder auf erneuerbare Energien umsteigen, von wem kann man es dann verlangen? Zweitens ist es für unsere Wirtschaft nicht gut, wenn wir die Führung bei den erneuerbaren Technologien China überlassen. Diese Technologien sollen hierbleiben. Wir dürfen nicht noch einmal den Fehler machen wie bei der Photovoltaik, die ganze Industrie nach Fernost abwandern zu lassen.
Bei der Photovoltaik haben wir uns in eine neue Abhängigkeit begeben …
Im Vergleich zu Erdöl und Erdgas gibt es aber einen wichtigen Unterschied: Bei einer Photovoltaikzelle ist man nur bei der Investition abhängig, später bei der Energieproduktion eben nicht mehr: Die Sonne scheint ja überall, und das kostenlos. Vor 20 bis 30 Jahren war Europa führend in der Produktion von Solartechnologie, auch Schweizer Unternehmen mischten vorne mit. Die erneuerbaren Energien werden in diesem Jahrhundert eine grosse Rolle spielen. Wir hätten die finanziellen Mittel, das industrielle Know-how und dank hervorragender Hochschulen auch die Innovationsfähigkeit, um diese Technologien herzustellen. Es ist falsch, die Fachkompetenzen bei uns zu entwickeln, sie dann aber von anderen Ländern nutzen und monetarisieren zu lassen.
Dennoch steht gerade die Wirtschaftskammer der Baselbieter Klimapolitik sehr kritisch gegenüber. Konnte der Regierungsrat der Wirtschaft zu wenig aufzeigen, dass auch sie von der Umstellung auf erneuerbare Energien profitieren könnte? Stichwort Cleantech-Industrie.
Wir müssen diese Zusammenhänge tatsächlich noch besser aufzeigen: Dass auch die Wirtschaft von den erneuerbaren Energien profitieren kann. Ich bin zuversichtlich, dass das auch im Baselbiet gelingt.
Und wie wollen Sie das tun?
Derzeit wird die Vernehmlassung zur Klimastrategie ausgewertet. Danach werden wir das Gespräch mit Wirtschaftsvertretern suchen und die Punkte, die vielfach kritisiert wurden, gemeinsam anschauen.
Eine mehrheitsfähige Strategie zu beschliessen, scheint nicht einfach. Die Pole stehen sich diametral gegenüber: Die SP will schneller mehr Klimaschutz, die SVP lehnt die Strategie weitgehend ab.
Anders als beim Energiegesetz, über das der Landrat oder allenfalls die Bevölkerung entscheidet, wird die Klimastrategie von der Regierung beschlossen. Der Regierungsrat hat die Klimacharta der Nordwestschweizer Regierungskonferenz initiiert und mitunterzeichnet, wir wollen also entschieden handeln. Zu den daraus abzuleitenden Aufgaben zählt eine kantonale Klimastrategie. Wir können da hoffentlich die beiden Pole zusammenbringen.
Die Klimastrategie steht programmatisch über dem Energiegesetz. Trotzdem ist sie erst in der Vernehmlassung und hinkt damit dem Energiegesetz hinterher. Das ist einer geordneten Klimaschutzdiskussion kaum zuträglich …
Klar, wäre es mir lieber, wenn wir bereits eine beschlossene Strategie hätten. Doch bei der Klimastrategie geht es um die nächsten 25 Jahre und nicht um das Hier und Jetzt. Das Energiegesetz von 2017 beinhaltet zudem den Auftrag des Regierungsrats, dass wir periodisch überprüfen müssen, ob wir auf Kurs sind. Wir können also nicht einfach abwarten. Ausserdem kennt der Landrat die Leitplanken der Klimastrategie bereits heute.
Treiben Sie weiterhin den Klimaschutz im Baselbiet voran oder sitzen Sie bald im Bundesrat?
Das ist Spekulation. Für mich ist allerdings klar: Unabhängig davon, was in diesem Jahr passiert, ist ein Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz rein numerisch schon länger gegeben. Die Grünen, die Grünliberalen und weitere Kräfte im Parlament – zusammen etwa ein Drittel – sind heute im Bundesrat nicht vertreten. Es ist Zeit, dass sich das ändert. Grüne Themen gehören auch in die Landesregierung.
Als liberaler Grüner, wie Sie sich zu Beginn des Gesprächs bezeichnet haben, wären Sie demnach prädestiniert für den Bundesrat.
Ich will nicht über hypothetische Fragen spekulieren. Ich freue mich auf die neue Legislaturperiode als Regierungsrat. Die Wiederwahl Anfang Jahr freute mich sehr und ich sehe es als schönen Auftrag an, mich für weitere vier Jahre als Regierungsrat und Bau- und Umweltschutzdirektor für unseren Kanton zu engagieren. Alles andere wird die Zukunft zeigen.