«Eine Suspendierung wäre unverhältnismässig»
12.04.2023 Sport, TurnenNKL-Trainerin wird der Misshandlung beschuldigt
Zehn Jahre lang soll eine Cheftrainerin Turnerinnen und Turner des Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrums Liestal (NKL) misshandelt und beleidigt haben. Eine verfügte Suspendierung wurde innert Tagen wieder ...
NKL-Trainerin wird der Misshandlung beschuldigt
Zehn Jahre lang soll eine Cheftrainerin Turnerinnen und Turner des Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrums Liestal (NKL) misshandelt und beleidigt haben. Eine verfügte Suspendierung wurde innert Tagen wieder aufgehoben.
Luana Güntert
«Erneute Vorwürfe im Schweizer Turnsport», titelte das SRF am vergangenen Mittwochabend. Die Cheftrainerin des Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrums Liestal (NKL) soll Trampolin-Athletinnen und -Athleten zwischen 2012 und 2022 misshandelt, beschimpft und erniedrigt haben. Nach den 2020 in den «Magglingen-Protokollen» beschriebenen Misshandlungen von Athletinnen macht der Turnsport wieder negative Schlagzeilen.
Im SRF-Beitrag kommen einige ehemalige Trampolinspringerinnen und -springer zu Wort: «Sie hat sich auf unsere Knie gesetzt, damit sie besser gestreckt werden», sagt eine ehemalige Athletin. Eine weitere junge Frau sagt, dass sie ständig runtergemacht worden sei. Man habe ihr gesagt, dass sie nichts könne und dass Personen auf der Strasse sogar besser turnten. Ein ehemaliger Turner erzählt, dass die Trainerin ihn wegen seines Gewichts schikaniert habe. «Sie hat gesagt, dass sie Hitler spielen müsse, da wir ja keine normalen Kinder seien», sagt eine weitere ehemalige Oberbaselbieter Turnerin. Einige Ex-Athleten im Beitrag hätten Selbstmordgedanken gehabt und sich selber verletzt. Viele Athleten verliessen wegen der Trainerin das NKL oder kehrten dem Turnsport komplett den Rücken, heisst es im Beitrag.
Auch die Oberbaselbieter Schwestern Anja und Leonie, die früher am NKL trainierten, äussern sich im Beitrag. «Nach dem Wechsel zu einem anderen Verein wurde mir der Unterschied erst richtig bewusst», sagt Anja. Vorher sei es alltäglich gewesen, dass im Training rumgeschrien und beleidigt wird. Auch der Umgang mit dem Gewicht sei am NKL kritisch gewesen.
NKL meldet anonyme Vorwürfe
Obwohl die Cheftrainerin laut dem SRF-Beitrag seit 2012 negativ aufgefallen sei, wurden die Missstände erst viel später aufgedeckt. Wie kann das sein? «Am 20. Januar 2022 wurden uns die Vorwürfe erstmals in sieben Stichworten durch das Sportamt Baselland weitergeleitet, das die Hinweise anonym erhalten hat. Auch ich habe erst dann davon erfahren», sagt NKL-Präsident Erik Wassmer gegenüber der «Volksstimme». Danach wurden die Trainings beim Trampolin-Kader gestoppt. Das Nordwestschweizerische Kunstturn- und Trampolinzentrum erfuhr vom Sportamt auch, welcher Altersgruppe die betroffenen Nachwuchs-Athleten angehörten. Fünf Tage später gab es zwischen den Athleten, deren Eltern und dem NKL eine Aussprache. «Etwa die Hälfte der betroffenen Athleten, darunter Minderjährige und junge Erwachsene, wollte weiterhin von der Cheftrainerin betreut werden», sagt Wassmer und ergänzt: «Eine Suspendierung wäre somit unverhältnismässig gewesen.»
Am 28. Januar hat das NKL die Vorfälle an Swiss Sports Integrity (SSI), eine Stiftung, die ethisches Fehlverhalten und Missstände im Sport bekämpft, gemeldet, um die anonymen Vorwürfe abklären zu lassen. Da sich einige Athleten für ein Training mit der Cheftrainerin aussprachen, wurde der Trainingsbetrieb mit ihr am 31. Januar, also 11 Tage nach Eingang der anonymen Vorwürfe, wieder aufgenommen. Erst am 22. März erhielt das NKL eine Verfügung der SSI mit einer Suspendierung der Trainerin. Die Disziplinarkammer des Schweizer Sports hob diese aber am 25. März wieder auf, da mit dem neuen Schutzkonzept keine Gefährdung von Athletinnen und Athleten bestehe und der Ausgang der Untersuchung abgewartet werden solle.
Für den Trainingsbetrieb ab dem 31. Januar hat das NKL ein Sicherheitskonzept erstellt, was gemäss Wassmer neben der Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips und der Unschuldsvermutung ein Grund gewesen sei, alle provisorischen Verfügungen des SSI ersatzlos aufzuheben. Es regelt, dass die besagte Cheftrainerin jeweils nur mit einem weiteren Trainer in der Halle sein und nur die Jugendlichen betreuen darf, die explizit gewünscht haben, mit ihr zu trainieren.
Werden Gelder gestrichen?
Warum hat das NKL der Cheftrainerin im vergangenen Jahr nicht einfach gekündigt? «Das wäre unverhältnismässig gewesen, da einige Athleten noch immer mit ihr trainieren wollten und zudem auch für die Cheftrainerin vor Abschluss der Untersuchungen der SSI und dem Entscheid der Disziplinarkammer des Schweizer Sports die Unschuldsvermutung gilt», sagt Wassmer. Dazu liege in der Turnbranche ein Mangel an Trainern vor. Das NKL stand unmittelbar vor der Wettkampfsaison, weshalb nicht auf sie verzichtet werden konnte. Die betroffenen Athleten hätten vier Trainer gehabt, wobei sich viele bei schwierigen Übungen nur bei der beschuldigten Cheftrainerin sicher gefühlt hätten. «Man hätte wohl das ganze Trampolinkader auflösen müssen.» Wassmer betont jedoch auch, dass Gewalt in keinem Ausmass zu tolerieren sei, auch nicht verbal.
Alle Trainer am Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrum Liestal seien schon immer von pädagogischen Experten, die das Zentrum organisiert hat, überprüft worden, um den korrekten Umgang mit den Athletinnen und Athleten sicherzustellen. «Seit vergangenem Herbst kommt ein Experte regelmässiger und redet direkt mit den Trainern, sollte etwas nicht stimmen», sagt Wassmer. Weiter hätten die Ausbildner am NKL zwar viel Ahnung vom Turnsport und der Trainingsmethodik, das pädagogische Wissen müsse aber noch weiter entwickelt werden.
Gemäss Erik Wassmer hätten sich seit Erscheinen des SRF-Beitrags zahlreiche Athletinnen und Athleten wie auch Eltern gemeldet, welche die gegen die Cheftrainerin erhobenen Vorwürfe nicht verstünden. Eine entsprechende Beschwerde der Eltern einer Athletin an die Ombudsstelle der SRG liegt auch der «Volksstimme» vor.
Die Vorfälle könnten für das NKL Folgen haben. Einerseits droht ein Mitgliederschwund im Kader, was zu weniger Geld vom STV führen würde. Der STV könnte seine Zahlungen andererseits auch nur aufgrund der Vorfälle einschränken. «Damit müssen wir rechnen», sagt Wassmer.