Sozialliberalismus im Gegenwind
28.04.2023 SissachPodium im «Cheesmeyer» glaubt nicht an eine baldige Renaissance
Könnte es zu einer Renaissance des Sozialliberalismus in der Schweiz kommen? Das war die Leitfrage einer Podiumsdiskussion vom Mittwoch im «Cheesmeyer». Die ehemaligen Ständeratsmitglieder ...
Podium im «Cheesmeyer» glaubt nicht an eine baldige Renaissance
Könnte es zu einer Renaissance des Sozialliberalismus in der Schweiz kommen? Das war die Leitfrage einer Podiumsdiskussion vom Mittwoch im «Cheesmeyer». Die ehemaligen Ständeratsmitglieder René Rhinow und Anita Fetz waren beide wenig optimistisch.
Paul Aenishänslin
Um die 40 Personen haben sich Mittwochabend im Estrich des «Cheesmeyers» eingefunden, um an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen, die der Frage gewidmet war, ob es in der Schweiz zu einer Renaissance des Sozialliberalismus kommen könnte. Nach einer Begrüssung durch alt Regierungsrat Peter Schmid führte Urs Bieri, Co-Geschäftsführer der «gfs. bern», in das Thema ein und erklärte auch den Sozialliberalismus genauer. Dieser verbindet gemäss Bieri Liberalismus mit sozialer Gerechtigkeit. Die individuelle Freiheit bleibt erhalten, zugleich werden aber der Wohlfahrtsstaat, die öffentliche Bildung und Gesundheit zu vorrangigen Zielen.
Bieri ging auch auf die Besonderheiten der Schweizer Sozialdemokratie ein, in der die Freiheitsrechte, der Wohlfahrtsstaat, die Ökologie, das Ziel der gerechten Gesellschaft und die direkte Demokratie eine grosse Rolle spielen. Der Staat hat eine wichtige Funktion, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Weiter stellte Bieri fest, dass die stark dem wirtschaftsliberalen Gedankengut verpflichtete FDP und die Sozialdemokraten (SP) mehr gemeinsam haben könnten, als die Parteien selbst glauben. So stellte Bieri fest, dass die beiden Parteien in jüngster Zeit bei den Schlussabstimmungen in 80 Prozent der Fälle gleich gestimmt haben, während die Übereinstimmung zwischen FDP und SVP nur bei 60 Prozent lag.
Aktuell keine Konjunktur
Die 1990er-Jahre seien, so Bieri, die grosse Zeit des Sozialliberalismus in der Schweiz gewesen, denn in diesem Jahrzehnt hätten FDP und SP gut zusammengearbeitet. Diese Entente begünstigte jedoch den starken Aufstieg der SVP zur heute stärksten Kraft.
Moderiert von «Tages Anzeiger»- Redaktor Philipp Loser diskutierten anschliessend alt Ständerat René Rhinow (FDP) und alt Ständerätin Anita Fetz (SP). Beide waren sich einig, dass momentan der Sozialliberalismus in der Schweiz einen schweren Stand hat. Besonders Fetz ging darauf ein, dass gegenwärtig die Polarisierung Trumpf ist. Ein sozialliberales Zusammengehen von SP und FDP habe, bei gleichzeitigem Dauerwahlkampf der Rechtsaussenpartei SVP, keine Konjunktur. Eine derartige Kooperation wäre gerade beim Europadossier, das zurzeit keinerlei Dynamik aufweist, jedoch bitter nötig.
Für Fetz stellen die flankierenden Massnahmen, vereinbart zwischen der SP und der FDP nach dem EWR-Abstimmungsdebakel 1992 zur Sicherung der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU, den bisherigen Höhepunkt des Sozialliberalismus dar. Im Fall des Rahmenvertrags zwischen der Schweiz und der EU, der vor zwei Jahren bereits am Nein des Bundesrats scheiterte, konnte von einer sozialliberalen Zusammenarbeit SP-FDP nicht mehr die Rede sein.
René Rhinow ging seinerseits hart mit der aktuellen Schweizer Europapolitik ins Gericht, die infolge der permanenten Oppositionspolitik der SVP auf der Stelle trete. Dies, indem dem Trugbild einer vermeintlichen Souveränität unseres Landes nachgeeifert werde, die Realität aber eine ganz andere sei, und indem die Schweiz sehr abhängig sei von geregelten Beziehungen mit namentlich der EU.
Wunsch ist vorhanden
Grosse und drängende Herausforderungen entziehen sich gemäss Rhinow dem Links-Rechts-Schema, etwa die Stellung der Schweiz in Europa und in der Welt, ebenso progressive und konservative Grundhaltungen. Das Soziale des Liberalismus könne nicht auf alle Probleme Antworten finden. Derart sei eine Renaissance des Sozialliberalismus in der Schweiz momentan überhaupt nicht festzustellen, was auch mit der Polarisierung, der mangelnden Kompromissbereitschaft und dem aufgehetzten medialen Umfeld zu tun habe. Ein Befund, den Anita Fetz auch teilte.
Dies schliesse aber nicht aus, so Fetz und Rhinow, dass es viele Menschen gibt, die sich eine neue Ära eines erfolgreichen Sozialliberalismus wünschten und dass dieser künftig wieder einmal Konjunktur haben könnte.