Nachforschungen zu einem kontroversen Fresko

Im Jahr 1957 erhielt die katholische Kirche in Gelterkinden ein monumentales Wandbild. Das Werk missfiel manchen Gläubigen. Der Kunsthistoriker Heinrich Thommen untersuchte, wie es dazu kam.

Martin Stohler

Im Jahr 1956 bekamen die Gelterkinder Katholikinnen und Katholiken erstmals eine eigene Kirche. Zuvor hatte ihnen ab 1942 lediglich der zu einer Kapelle umgebaute frühere Tanzsaal des Restaurants Hofmatt zur Verfügung gestanden. Treibende Kraft hinter dem Kirchenbau war der aus dem Fricktal stammende Priester Fridolin Beck. Mit zahlreichen Bettelpredigten in katholischen Gemeinden der Deutschschweiz und dank privater Spenden brachte er rund 460 000 Franken für den Kirchenbau zusammen. Als die Kirche am 19. August 1956 «Maria Mittlerin» geweiht wurde, zierte noch ein einfaches Holzkreuz mit einem Christuskorpus die Wand, vor welcher der Altar stand.

Dies sollte sich bald ändern. Denn offenbar gelang es Beck, einen Stifter für ein grosses, wandfüllendes Werk zu finden. Dabei sollten neben «Maria Mittlerin» als Kirchenpatronin auch vier «moderne» Heilige zu sehen sein. Den Auftrag für das Bild erhielt der Künstler Jakob Häne (1913–1978), der sich auf das Malen von Madonnenbildern spezialisiert hatte. Häne hatte nach einem längeren Augenschein in der Kirche zwei Entwürfe vorgelegt, die, wie Fridolin Beck im «Pfarrblatt» schrieb, «allgemeines Wohlgefallen und hohe Anerkennung von Einheimischen und Fremden» gefunden hätten.

Der Punkt, von dem auf Hänes Bild alles ausgeht und auf den sich alles zubewegt, ist Christus am Kreuz. Er ist das Zentrum der «Dreieinigkeit Gottes», zu der Gottvater, der mit seinen Händen das Kreuz hält, sowie die Taube, die den Heiligen Geist symbolisiert, gehören. Die Rolle von Maria als Mittlerin zwischen Jesus und den Gläubigen wird durch den Flug der Taube in der Richtung der Gottesmutter und durch die auffallend betonten Augen von Mutter und Sohn unterstrichen. Die vier Zeichen der Evangelisten sind in eine dynamische Komposition eingebettet und intensivieren das Bildgeschehen. Bluttropfen rufen den Betrachtern in Erinnerung, dass Jesus sein Blut für die Rettung der Gläubigen hingegeben hat. Abgesehen von den vier Heiligen ist das Bild in einem Stil und einer Technik gemalt, die den Eindruck einer Vision vermitteln.

Nach der Fertigstellung des Bildes äusserten Kirchgemeindemitglieder ihr Befremden. Der Gelterkinder Kunsthistoriker Heinrich Thommen, der sich in der neusten Nummer der «Baselbieter Heimatblätter» eingehend mit Hänes Fresko und seiner Geschichte befasst, sagt: «Es scheint, dass dieses Wandbild seit Anbeginn ein Stein des Anstosses war und eine unterschwellige Antipathie ausgelöst hat.»

Befremden
Kritisiert wurde sowohl Fridolin Becks Vorgehen, das von einem Teil der katholischen Gläubigen als intransparent und eigenmächtig empfunden wurde, wie auch das Fresko selbst. In Gesprächen, die Heinrich Thommen mit einer Reihe von Gewährspersonen geführt hat, ergab sich Folgendes: Kirchgemeindemitglieder bezeichneten das Wandbild als Kitsch. Unzufrieden war man auch mit der Wahl der vier Heiligen, bei denen man einen Bezug zur Gegenwart vermisste. Einige sprachen von einem Gefühl der Schauer, das sie vor diesem monumentalen Bild überkomme. Jemand sagte gar: «Dieses Bild erschlägt mich fast. Mir erscheinen diese tiefroten Tropfen, die aus der Seite des Corpus Christi quellen, wie Granateinschüsse, die noch frisches Blut zeigen.» Der Akzeptanz des Bildes war auch die Art und Weise, in der Beck das Fresko verteidigte, nicht sehr förderlich. Im «Pfarrblatt» schrieb er unter anderem: «Nur ein schlechter Mensch, ein mit Gott innerlich zerfallener Mensch könnte darüber abfällig urteilen.» Heinrich Thommen bemerkt dazu: «Ein schneidendes Wort, von dem sich jemand noch 2020 verletzt fühlte.»

Im Übrigen waren Becks Tage auf Erden gezählt. Nur wenige Monate nach der Einweihung des Freskos erlitt er einen Schlaganfall. Er musste die Pfarrei Gelterkinden aufgeben und starb schliesslich am 2. September 1958.

Subtile Änderungen
In seinem Beitrag in den «Heimatblättern» beleuchtet Thommen auch den theologischen Hintergrund von Becks Wirken als Priester und zeigt, mit welchen Herausforderungen er sich im stark reformiert geprägten Gelterkinden konfrontiert sah. Dabei kommt er auch auf das Bild «Maria Mittlerin», das August Meinrad Bächtiger 1942/43 für die Gelterkinder Kapelle schuf, zu sprechen. Darauf teilen die sitzende Maria und ihr Kind Rosen als Sinnbild für Gnadengaben aus. Als Assistenzfiguren verwendete Bächtiger lebende Mitglieder der hiesigen Kirchgemeinde. Vor der «Gelben Fabrik», die für die Seidenbandindustrie steht, erkennt man Dominik Kälin, der als Sigrist wirkte, und hinter ihm seinen Vater, der eine kleine Sägerei betrieb. Auf der anderen Bildseite sieht man Dominik Kälins Ehefrau in der Baselbieter Tracht. Dies erleichterte den Gläubigen sicher die Identifikation mit dem Dargestellten. Im Vergleich dazu musste Hänes visionäres, apokalyptisch grundiertes Wandbild, mit dessen mittelalterlichen Bild-Mystik die Gelterkinder Gläubigen nicht vertraut waren, auf diese eher befremdlich wirken.

Als in den 1990er-Jahren eine Renovation der Kirche anstand, brach die Diskussion über das Fresko wieder aus. Schliesslich einigte man sich darauf, das Bild zu lassen und lediglich das farblich Herausstechende abzudämpfen. Dabei wurden die stechenden Augen Christi etwas mit Kreidestaub reversibel überpudert und so weicher gemacht. Gleiches gilt offensichtlich auch für die Blutstropfen. Im grossen Ganzen blieb das einzigartige Bild aber bis heute erhalten.

Zur Person

sto. Heinrich Thommen wurde 1948 in Gelterkinden geboren. Seit seiner Kindheit ist er an Kunst und künstlerischem Ausdruck interessiert. Er arbeitete zunächst als Lehrer in Aesch. Nach einem anschliessenden Jurastudium war er in der eidgenössischen Verwaltung im Bereich Berufsbildung tätig. In den 1980er-Jahren studierte er Kunstgeschichte. 1990 verliess er die Schweiz und wohnte während vier Jahren in Paris. Als er eine Anstellung als Ausbildner für Schuldirektoren in Haiti fand, zog er mit seiner Frau für sechs Jahre dorthin. Seit 2001 leben die beiden nun in Gelterkinden. Nach einer Ausbildung zum Pflegehelfer wirkte er in diesem Beruf in Liestal bis zu seiner Rente.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die sogenannten Nazarener sowie Historienmaler des 19. Jahrhunderts. Seine Begegnung mit Kunst in Haiti und seine entsprechenden Publikationen haben ihm neue Perspektiven auf unbekannte Malerei und Spiritualität geöffnet.

Baselbieter Heimatblätter

sto. Die «Baselbieter Heimatblätter» sind das Organ der «Gesellschaft für Regionale Kulturgeschichte BL» (GRK-BL). Die neuste Nummer enthält neben dem Beitrag von Heinrich Thommen über das Fresko in der katholischen Kirche von Gelterkinden unter anderem eine Würdigung des kürzlich verstorbenen Baselbieter Kulturwissenschaftlers René Salathé durch Roger Blum. Diese wird abgerundet durch ein Verzeichnis der Veröffentlichungen Salathés, das Dominik Wunderlin zusammengestellt hat. Ferner teilt Hans Utz Beobachtungen mit, die er bei der Transkription der Landratsprotokolle 1832–1920 gemacht hat.

Bezug einzelner Nummern oder Abonnement: Schaub Medien AG, Tel. 061 976 10 10 oder abo@schaubmedien.ch. Website der GRK-BL: www.grk-bl.ch

Ein Wandbild weckt Emotionen

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