Talent in zwei Sportarten
23.02.2023 Leichtathletik, SportLynn Grossmann will Profisportlerin werden
Sie lebt für den Sport. Ob im Leichtathletik- oder im Unihockeytraining, täglich gibt Lynn Grossmann alles für ihre zwei grössten Leidenschaften – mit Erfolg.
David Schneider
Zehn Prozent, dreissig Prozent, ...
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Sie lebt für den Sport. Ob im Leichtathletik- oder im Unihockeytraining, täglich gibt Lynn Grossmann alles für ihre zwei grössten Leidenschaften – mit Erfolg.
David Schneider
Zehn Prozent, dreissig Prozent, fünfzig Prozent. In ihr rechnet es ständig. Sie weiss, dass jemand hinter ihr ist. Fünfundsiebzig Prozent. Die Strecke ist bald geschafft. Sie hört die Rufe der Mutter und der Schwester. Sie geben ihr Kraft und spornen sie an, durchzuhalten. Neunzig Prozent. Schon kann sie das Ziel sehen, auf das sie so lange hingearbeitet und wofür sie trainiert hat.
Vor vier Jahren war für Lynn Grossmann klar, dass sie Profisportlerin werden will. Damals stand ihr der Übertritt von der Primar- in die Sekundarschule bevor. Heute besucht sie das Sportgymnasium und kann ihrer Leidenschaft für den Sport vollkommen nachgehen. Doch Grossmann betreibt nicht nur Leichtathletik: Sie spielt auch Unihockey und trainiert insgesamt sieben Mal pro Woche. Beide Sportarten absolviert sie auf Spitzenniveau.
Derzeit hat Grossmann doppelt so oft die Laufschuhe an den Füssen als den Unihockeystock in den Händen. Die Begeisterung für die Leichtathletik hat die Hölsteinerin durch ein Probetraining in der Primarschulzeit entdeckt. Mit ihrer Liebe zum Sport wuchs über die Jahre auch der Trainingsaufwand. Die 16-Jährige läuft Mitteldistanzen, was in ihrer Altersklasse einer Strecke von 400 oder 2000 Metern entspricht. Das Training absolviert sie im Verein LV Frenke Fortuna und seit 2021 wird sie zudem von ihrer Mutter trainiert.
Edelmetalle und Niederlagen
Grossmann darf auf beachtliche Erfolge in ihrer Leichtathletikkarriere zurückblicken. Je einmal holte sie sich die Bronze- und Silbermedaille an den Staffel-Schweizermeisterschaften. Hinzu kommt je ein Sieg in der U16-Regionalmeisterschaft Zentralschweiz über 600 Meter und der kantonalen U18-Meisterschaft beider Basel über 800 Meter im vergangenen Jahr. Insgesamt stand sie dreimal auf dem Podest des Schweizer Finals über 1000 Meter. Zweimal erkämpfte sie sich die Silbermedaille, ein weiteres Mal reichte es für Bronze. So zum Beispiel 2018. Der Lauf fand in Langenthal statt, nahe des Heimatorts ihrer Grossmutter. Diese fieberte beim Lauf mit, genauso wie Grossmanns Mutter, Vater und die zwei Jahre jüngere Schwester. Damals schlug sie eine harte Konkurrentin, gegen die sie sich seit jeher immer einmal wieder behaupten muss. An diesem Tag war Grossmann schneller und die Freude daher gross. «Am Abend bin ich im Bett gelegen und war einfach glücklich», erinnert sie sich.
Doch nicht immer triumphierte die Läuferin und einmal brachte eine Niederlage sie beinahe dazu, die Laufschuhe für immer an den Nagel zu hängen. Vor drei Jahren war das, Grossmann war mit dem Ziel nach Lugano gefahren, das Podest zu besteigen. Beim Einlaufen schien diesem Plan nichts im Weg zu stehen. «Ich habe mich super gefühlt», sagt Grossmann. Doch dann der Schock: Beim Start verliess sie die Kraft, der zu laufende Kilometer war so lang wie noch nie, taktische Fehler kamen hinzu und sie erreichte das Ziel in einer schlechteren Zeit als im Vorjahr. Die Erinnerung an diese Enttäuschung war für Grossmann auch nach vielen Monaten noch schwierig. «Ich bin in eine mentale Krise abgerutscht», sagt sie. In solchen Situationen lernte sie, Fehler als etwas Menschliches zu erachten, zu reflektieren und Positives bewusst zu suchen und zu sehen.
Überraschung im Sand
Lange stellte das wöchentliche Unihockeytraining einen Ausgleich zur Leichtathletik dar. Doch vor rund einem Jahr witterte die Trainerin der SV Waldenburg Eagles die Chance, die junge Athletin zu fördern. So wurde Grossmann für die Selektion des U17-Nationalteams angemeldet. Hunderte Anwärterinnen durchliefen eine erste Selektion, die fünfzig Besten wurden zur weiteren Selektion eingeladen. Nur die zwanzig Besten sollten es ins Team schaffen.
Beinahe einen Monat musste die passionierte Flügel- und Centerspielerin auf den Entscheid warten. Erlöst wurde sie schliesslich in den Sommerferien. Sie genoss den Strand und das Meer auf Sardinien und war gerade dabei, mit ihrer Familie Beachvolleyball zu spielen, als das Eintreffen einer E-Mail sie zu ihrem Handy rennen liess. Hastig überflog sie die Nachricht und klickte auf den Anhang. Es war eine Liste mit rot und blau gefärbten Namen. Blau bedeutete nicht aufgenommen, rot bedeutete aufgenommen. Mit angehaltener Luft suchte sie nach ihrem Namen und fand ihn schliesslich. Er war rot.
Seither spielt Grossmann also in der Schweizer U17-Nati und hat alle zwei Monate einen Zusammenzug und Testspiele. Dann trainiert sie drei Tage am Stück im Team, daneben spielt sie bei den Eagles in Waldenburg und den Tigers in Trimbach. Der Teamsport, das taktische Verstehen des Spiels und das Toreschiessen – das alles begeistert Grossmann für das Unihockey.
Zum Leben einer ambitionierten Sportlerin gehört auch der Verzicht – etwa auf lange Nächte im Ausgang, auf Party und Alkohol. Gerade als Jugendliche kann das manchmal hart sein. Es sind Erfahrungen, die Grossmann nicht oder nur beschränkt machen kann. Manchmal denkt sie daran und wünscht sich etwas mehr Zeit für Freunde. Aber: «Der Reiz ist niemals gross genug, um aufzuhören», sagt Grossmann bestimmt.
Zwei Sportarten gleichzeitig auf hohem Niveau zu betreiben, bedeutet immer wieder Terminüberschneidungen. Dann muss sich Grossmann entscheiden und die jeweiligen Events gegeneinander abwägen. Der als wichtiger eingestufte Wettkampf hat dann Priorität. Die Trainingskoordination mit allen Trainerinnen und Trainern stellt eine weitere Herausforderung dar. Das parallele Betreiben zweier Sportarten bringt aber auch Vorteile mit sich. «Die eine Sportart profitiert von der anderen», erklärt die Hölsteinerin. So nimmt sie die Ausdauer und Kraft aus der Leichtathletik ins Unihockey mit. Die Schnelligkeit und Wendigkeit aus dem Unihockey wiederum nützen ihr für die Leichtathletik.
Und trotzdem: In den nächsten ein bis zwei Jahren wird Grossmann wohl eine Entscheidung treffen müssen. Leichtathletik oder Unihockey. Ein harter Entscheid, zumal sie beide Sportarten ins Herz geschlossen hat. «Das macht mir manchmal etwas Angst», gibt Grossmann zu.
Bis es aber so weit ist, betreibt sie weiterhin beide Sportarten mit viel Freude und Fleiss. Denn der Wille und der Ehrgeiz sind es, die sie Tag für Tag antreiben. Und hinter allem steht ein Traum, der Traum davon, Profisportlerin zu werden.