Szenische Lesung aus den Erinnerungen von Brigitte Muschg

Sie studierte Musik, hat aber immer auch geschrieben, aus tiefstem Bedürfnis, aber nie zum Geldverdienen, wie sie sagt: Brigitte Muschg ist die Nichte von Adolf Muschg. Das Talent zum Schreiben reicht zurück bis zum Grossvater, ebenfalls mit Namen Adolf Muschg.

Brigitte Keller

«Liebe Trix, denke bitte ja nicht, ich hätte es vergessen, dass du dir gewünscht hast, ich solle die Erinnerungen an mein Elternhaus aufschreiben. Nichts tue ich lieber als das und habe schon lange möglichst viele diesbezügliche Notizen gesammelt. So viele, dass ich das Wichtigste herauspicken muss. Was aber noch wichtiger ist: Ich habe begriffen, dass meine Erinnerungen eine Mischung sind aus selbst Erlebtem und aus Geschichten, die man mir erzählt hat. Oft so lebendig, dass es schwierig ist, das eine vom andern zu unterscheiden.»

Mit diesen Worten, vorgetragen von Schauspielerin Meret Bodamer, begann am vergangenen Donnerstag im Kulturhaus «Cheesmeyer» in Sissach ein Abend mit szenischer Lesung. Aufgeschrieben hat die Worte Brigitte Muschg. Die Musikerin aus Rodersdorf, vor Kurzem 90-jährig geworden, hat sie im August 2019 notiert. Mittlerweile sind sie Bestandteil ihrer umfangreichen «Erinnerungen an mein Elternhaus – aufgeschrieben für meine Cousine Trix».

Dass die Anwesenden daraus vorgelesen bekamen, war eine Premiere. Denn die Erinnerungen von Brigitte Muschg sind «nur» als Manuskript vorhanden, im wahrsten Sinne des Wortes: Das gesamte Werk ist fein säuberlich von Hand geschrieben. Daraus vorlesen zu lassen, war die Idee von Kaspar Geiger, Theatermacher und Präsident des Trägervereins Kulturhaus «Cheesmeyer», und dem ebenfalls anwesenden Hansjörg Stalder, langjähriger Lehrerkollege von Brigitte Muschg. Beide waren beeindruckt von den Aufzeichnungen und sich einig, dass dieses «Universum an Erinnerungen» unbedingt mit weiteren Personen geteilt werden sollte.

«Es ist einfach phänomenal, wie Brigitte Muschg erzählen kann», meinte Geiger zur Begrüssung am Abend. Und an die anwesende Autorin direkt gewandt: «Ich bin schwer beeindruckt, mit welcher Präzision du aus dem Erleben, aus dem Erinnern, diese unglaubliche Gedächtnisarbeit machst.» Das erzählerische und schriftstellerische Talent wurde der Autorin offenbar mit in die Wiege gelegt.

Eintauchen in die Vergangenheit
Die Aufzeichnungen beginnen fast ein Jahrhundert zurückliegend mit Geschichten, «die ich nur vom Hörensagen kenne», wie die Autorin dazu notiert hat. Und schon tauchten die Anwesenden ein in die Zeiten der Grosseltern Muschgs. Die Ahnen mütterlicherseits hatten eine adelige Vergangenheit. Trotzdem – oder genau deswegen – wurde Elli, die Mutter der Autorin, offenbar eine glühende Sozialistin. Ganz anders die Herkunft väterlicherseits. Die Vorfahren waren arme Bauern im Zürcher Hinterland. Der Name des Grossvaters war Adolf Muschg. Er machte eine Ausbildung zum Lehrer und betätigte sich auch schriftstellerisch, genau wie der bekannte Schriftsteller mit gleichem Namen, der berühmte Onkel von Brigitte Muschg.

Brigitte Muschgs Vater, Walter Muschg, studierte Sprachwissenschaften, Literatur und Psychologie. Die Autorin schrieb an einer Stelle über ihn: «Papi hielt Vorlesungen an einer Volkshochschule, wo Max Frisch ein begeisterter Zuhörer war. Es gibt einen Ausspruch von Frisch, ungefähr folgenden Inhalts: ‹(Walter) Muschg redet nicht über Kafka, er ist Kafka; Muschg redet nicht über Gottfried Keller, er ist Keller.›»

Verschiedene Menschen, darunter Musiker, Schauspieler und Schriftsteller, prägten im weiteren Verlauf das Leben der Familie Muschg auf die eine oder andere Weise. Darunter Namen wie Sigmund Freud, Hans Henny Jahnn, Niklaus Bolt oder Gottlieb Duttweiler.

Auch die verschiedenen Wohnorte hinterliessen ihre Spuren. Hier noch ein Bonmot aus der Zeit in Sigriswil: «Ich war jetzt siebenjährig, durfte also in Sigriswil zur Schule gehen und konnte den ersten Schultag fast nicht erwarten. Die Kinder waren alle sehr schüchtern und redeten kaum. Mami hatte mich ermahnt, nicht zu viel zu reden. Aber das war sehr anstrengend. Es war Osterzeit und wir lernten als ersten Buchstaben das ‹O›. Und Frau Zink erzählte uns die Geschichte vom ‹Osterhas auf Reisen›. Ich hatte das Buch auch. Aber ich brachte es fertig, das nicht zu erzählen. War es schön in der Schule, fragte mich Mami daheim. Ja, sehr schön, aber ich habe leider nichts neues gelernt.»

Kino im Kopf

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