Dritte verwerten Verlustscheine
02.12.2022 Politik, WisenGemeinde gliedert Bewirtschaftung an Inkassobüro aus
Seit November lässt die Gemeinde Wisen ihre Verlustscheine aus Betreibungen durch einen Dienstleister bewirtschaften – gegen eine stattliche Provision. Im Baselbiet setzen ebenfalls mehrere Gemeinden auf eine externe ...
Gemeinde gliedert Bewirtschaftung an Inkassobüro aus
Seit November lässt die Gemeinde Wisen ihre Verlustscheine aus Betreibungen durch einen Dienstleister bewirtschaften – gegen eine stattliche Provision. Im Baselbiet setzen ebenfalls mehrere Gemeinden auf eine externe Lösung.
Paul Aenishänslin und Christian Horisberger
Die Solothurner Gemeinde Wisen mit ihren knapp 450 Einwohnern ist im Besitz von mehr als 100 Verlustscheinen aus Betreibungen von Steuer- und Gebührenschuldnern. Sollten diese neu zu Vermögen kommen oder ein Einkommen über dem Existenzminimum erzielen, ist eine neuerliche Betreibung durch die Gemeinde angezeigt. Dies sei den Einwohnern, die ihre Steuerrechnung anstandslos bezahlen, geschuldet, sagen die Wisner Gemeindeschreiberin Irma Looser und Finanzverwalterin Beatrice Huguenin. Allerdings sei der personelle und administrative Aufwand fürs Gemeindepersonal in Relation zum möglichen Ertrag aus erneuten Betreibungen der säumigen Zahler gross.
Nun hat der Gemeinderat beschlossen, mit externer Hilfe zu versuchen, die Verlustscheine zu Geld zu machen. Beauftragt wurde die «Imek» GmbH, eine Aargauer Inkassofirma. Das Unternehmen verlangt für seine Dienste im Gegensatz zu anderen Inkassobüros keine Grundgebühr. Nur wenn es der «Imek» gelingt, über eine erneute Betreibung säumiger Schuldner doch noch Geld einzutreiben, erhält sie eine Provision von 35 Prozent.
Dieser Auftrag an die Firma Imek läuft seit Anfang November. Es dürfte Ende 2023 werden, bis sich zeigt, ob sich die Auslagerung gelohnt hat. Die Erwartungen von Looser und Huguenin sind gering, deshalb wurden im Budget fürs kommende Jahr auch keine Einkünfte eingesetzt. Sollten einige Tausend Franken hereinkommen, wären sie schon zufrieden.
«Detektivarbeit»
Staat und Gemeinden entgehen jährlich Millionen Franken an Steuerund Gebührenforderungen oder Bussgeldern, weil die Schuldnerinnen und Schuldner zahlungsunfähig sind und nach einer Betreibung Verlustscheine ausgestellt werden. Diese Guthaben werden abgeschrieben und verschwinden aus den Rechnungen von Gemeinde und Kanton. Die Papiere werden jedoch aufbewahrt, um sie zu Geld zu machen, falls die Schuldner wieder solvent werden sollten.
Die aufwendige Überwachung wird zusätzlich erschwert, wenn ein Schuldner oder eine Schuldnerin den Wohnort wechselt oder gar das Land verlässt. Insbesondere kleinere Gemeinden hätten das Knowhow und die Ressourcen nicht, um die «Detektivarbeit» zu leisten, um wieder zahlungsfähigen Schuldnern nachzuspüren, sagt Caroline Rietschi, Präsidentin des Baselbieter Gemeindefachverbands und Verwalterin von Biel-Benken. «Sinnvoll wäre eine jährliche Kontrolle. Das ist aber enorm zeitaufwendig», bestätigt die Tecknauer Finanzverwalterin Sabrina Kopilovic.
Rietschi hält das Auslagern der Verlustscheinbewirtschaftung an ein spezialisiertes Inkassounternehmen für eine interessante Lösung. Ihre Gemeinde habe diese 2021 prüfen lassen, aber verzichtet, da der mögliche Ertrag als gering eingestuft worden sei. Stattdessen setze Biel-Benken nun auf eine «elektronische Lösung». Rietschi schliesst aber nicht aus, die Dienste eines Inkassobüros zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen. Denn die Gemeinden mit einem externen Schuldeneintreiber seien mit dessen Leistung zufrieden – obwohl die Inkassofirmen für ihre Dienste als Provision 30 Prozent und mehr des geschuldeten Betrags einstreichen. Die Erfolgsquote ist tief. In einem Beitrag des «Beobachters» schätzt sie ein Basler Spezialist auf 8 bis 12 Prozent.
Spezialisten beim Kanton
Laut Fachverbandspräsidentin Rietschi hat eine ganze Reihe von Baselbieter Gemeinden die Verlustscheinbewirtschaftung bereits an ein privates Unternehmen ausgelagert, unter anderem Reinach. Wie eine stichprobenmässige Umfrage der «Volksstimme» ergab, setzt auch Gelterkinden auf einen externen Dienstleister und Zunzgen will eine Auslagerung prüfen. Die Tecknauer Finanzverwalterin hält eine externe Lösung für interessant, hält sie aber aus datenschützerischer Sicht für problematisch. Rietschi zeigt sich darüber erstaunt: Auch bei Sozialhilfe, Kesb oder im Asylwesen würden sensible Daten an externe Dienstleister herausgegeben. Wie dort gelte auch für Finanzdaten Paragraf 32a des Gemeindegesetzes: «Dritte, die zur Erfüllung von Aufgaben beigezogen werden … unterliegen derselben Schweigepflicht wie die Gemeindeangestellten.»
Auf die dritte Möglichkeit, die Verlustscheine doch noch zu Geld zu machen, setzen 45 der 86 Baselbieter Gemeinden: mithilfe der Spezialisten der kantonalen Steuerverwaltung. Zusätzlich zum Steuerbezug und zum -inkasso betrauen sie den Kanton mit dieser Aufgabe. Die «Zentrale Verlustscheinbewirtschaftung» macht mit 550 Stellenprozenten abgeschriebene Steuerforderungen sowie Ausstände von kantonalen Dienststellen wieder zu Geld. Laut Donat Steiner, Geschäftsleitungsmitglied der Baselbieter Steuerverwaltung, wacht die Equipe über rund 60 000 Verlustscheine für Steuerforderungen im Wert von rund 190 Millionen Franken sowie über 28 000 Verlustscheine anderer Dienststellen (Kantonsspital, Motorfahrzeugkontrolle, Polizei, Gerichte) mit einem Forderungsbetrag von rund 83 Millionen Franken.
Und die Summe steigt: Alleine aus Steuerforderungen sind in den beiden vergangenen Jahren jeweils rund 7000 Verlustscheine im Wert von 15 bis 16 Millionen Franken hinzugekommen (Staats-, Gemeindeund Bundessteuern). Dagegen wirken die in Tecknau jährlich abgeschriebenen Steuerguthaben von 8000 bis 12 000 Franken bescheiden. In Zunzgen fallen jährlich um die 15 Verlustscheine im Wert von rund 25 000 Franken an. Insgesamt «sitzt» das Bücheldorf auf rund 150 Verlustscheinen aus den vergangenen 20 Jahren. 650 Verlustscheine mit einer Gesamtsumme von 1,1 Millionen Franken zählt man in Gelterkinden. Laut Angaben der Finanzverwaltung stammen diese zur Hauptsache aus Betreibungen von Steuerschuldnern. 2019 waren es 90 Scheine (Wert: 33 000 Franken), 2020 69 (23 000 Franken) und 2021 119 (90 000 Franken).
Verjährung verhindern
Die Verjährungsfrist für Verlustscheine beträgt seit 1997 20 Jahre, zuvor waren sie unverjährbar. Wird aber vor Ablauf der Verjährungsfrist wieder eine Betreibung eingeleitet, fängt die Uhr von Neuem an zu ticken. Laut Donat Steiner von der kantonalen Steuerbehörde werden diese Fristen speziell überwacht, damit es zu keiner Verjährung kommt.
Eine Ausgliederung der Verlustscheinbewirtschaftung hat gemäss Steiner auch die kantonale Steuerverwaltung geprüft – und verworfen. Dagegen hätten einerseits die fehlende gesetzliche Grundlage gesprochen, andererseits verfüge die Steuerverwaltung über das Knowhow und die entscheidenden Informationen für eine erfolgreiche Bewirtschaftung der Verlustscheine. Erfolg sieht in diesem Falle so aus: 2021 verzeichnete die Zentrale Verlustscheinbewirtschaftung des Kantons Einkünfte von 5,43 Millionen Franken, davon 3,98 Millionen aus abgeschriebenen Staatssteuerforderungen.