Bringt das neue «Waldenburgerli» wirtschaftlichen und politischen Aufschwung?
01.12.2022 Hölstein, WaldenburgDie Gemeindepräsidentinnen Andrea Heger und Andrea Kaufmann sinnieren über die Entwicklung im Tal
Die neue Waldenburgerbahn ist für das Oberbaselbiet ein Jahrhundertbauwerk. Wird sie dem Waldenburgertal in den nächsten Jahren einen politischen und wirtschaftlichen ...
Die Gemeindepräsidentinnen Andrea Heger und Andrea Kaufmann sinnieren über die Entwicklung im Tal
Die neue Waldenburgerbahn ist für das Oberbaselbiet ein Jahrhundertbauwerk. Wird sie dem Waldenburgertal in den nächsten Jahren einen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungsschub ermöglichen? Dazu äussern sich die Gemeindepräsidentinnen von Hölstein und Waldenburg, Andrea Heger und Andrea Kaufmann.
André Frauchiger
Frau Heger, Frau Kaufmann, was bedeutet die neue Waldenburgerbahn (WB) für Sie persönlich?
Andrea Kaufmann: Ich freue mich sehr auf die Eröffnung am 10. Dezember. Ich habe gelesen, dass wir nun die modernste Bahn Europas hätten.
Andrea Heger: Auch ich verspüre eine grosse Freude. Der Bus als Provisorium hat eine unruhigere Fahrt als die WB – als Passagierin kann ich dabei kaum lesen. In Hölstein hatten wir während der Bauarbeiten viele Rotlichter mit Staus. Das gehört nun bald der Vergangenheit an. Für mich persönlich ist die neue Bahn leider auch eine Einbusse, denn «meine» Haltestelle Weidbächli wird gestrichen. Ich hatte bisher von zu Hause aus nur zwei, drei Minuten zur Bahn.
Was erhoffen Sie sich für Ihre Gemeinde und das ganze Tal? Kaufmann: Ich glaube, es gibt einen Aufschwung. Die Bevölkerung wird hoffentlich vermehrt die WB und weniger das Auto benutzen. Im Landrat haben wir den 15-Minuten-Takt durchgebracht, was eine markante Angebotsverbesserung darstellt.
Heger: Ich hoffe, dass die Bahn bei den mehr als 11 000 Bewohnerinnen und Bewohnern im Tal gut ankommt – und auch weit darüber hinaus. Ich hoffe, dass wieder mehr Ausflügler hierher kommen. Rollstuhlfahrende und Kinderwagen erhalten mit den niveaugleichen Ein- und Ausstiegen eine Verbesserung. Zu hoffen ist auch, dass das Gewerbe dank der modernen Bahn wieder einfacher Fachkräfte finden kann. Der Viertelstundentakt dürfte hilfreich sein, dass sie wieder vermehrt von Basel ins Waldenburgertal kommen.
Kaufmann: Ich habe mit Gewerbetreibenden gesprochen. Sie sagen, es sei utopisch zu meinen, dass Fachkräfte nur wegen der neuen Bahn zum Arbeiten ins Waldenburgertal kommen. Die Entwicklung, so wird befürchtet, dürfte weiterhin eher in die umgekehrte Richtung gehen.
Haben Sie während des WB-Neubaus viele Reklamationen wegen Lärm und Hindernissen erhalten?
Kaufmann: Bei uns in Waldenburg war es ziemlich ruhig. Der Abriss des alten und der Bau des neuen Bahnhofs erfolgten etwas ausserhalb des «Stedtli». Die Bevölkerung trägt den Neubau mit. Der Ersatzbetrieb mit Bussen während der Bauarbeiten hat sich bewährt. Der 7½-Minuten-Takt in den Stosszeiten war ein «Zückerchen» für die Bevölkerung.
Heger: Beachtlich ist, dass trotz Corona-Zeit und Bus-Provisorium die WB-Linie in den vergangenen zwei Jahren Passagiere dazugewonnen hat. Dies im Unterschied zu anderen Linien des öffentlichen Verkehrs.
Kaufmann: Ich ziehe den Hut vor der Leistung der Bauleute und Sicherheitsdienste. Und die Führung der BLT war schlicht grossartig.
Heger: Zu Beginn der Bauarbeiten existierten einige Ängste. Doch sie lösten sich, dank der BLT. Unsicherheiten ergaben sich in Hölstein bei der Umfahrung über die Alte Landstrasse. Die Zusammenarbeit mit den Bauverantwortlichen war sehr gut. Das kam in der Bevölkerung an. Wir erhielten nicht viele Reklamationen.
Kaufmann: Auch die Info-Hotline der BLT hat bestens funktioniert.
Sie sind voll des Lobes …
Heger: Ja, die BLT hat die Bauabwicklung wirklich sehr gut gemacht. Das Hochwasser während des Baus war eine spezielle Herausforderung. Es ist gut, dass wir an vielen Orten im Tal bauliche Massnahmen für den Hochwasserschutz zusammen mit der neuen WB realisieren konnten.
Kaufmann: Wir sind alle froh, dass das Bauen vorbei ist und dass das «Waldenburgerli» und die Autos wieder normal fahren können.
Wie steht es mit dem wirtschaftlichen Impuls der neuen WB für die Unternehmen im Tal?
Heger: Die neue WB hat eine positive Auswirkung auf die Firmen. Das gilt auch für die Gemeinden, wenn sie Personal suchen – für die Gemeindeverwaltung oder die Schulen.
Kaufmann: Auf jeden Fall kann nun niemand mehr behaupten, wir befänden uns hier am Ende der Welt.
Heger: Gemeinden wie Lampenberg, Liedertswil und Ramlinsburg sind immer noch etwas abgelegen. Auch dort braucht es bessere Anbindungen an den öffentlichen Verkehr. Die zeitliche Ausdehnung des Viertelstundentakts der WB tagsüber, nicht nur zu den Stosszeiten, ist ein grosses Plus für alle – auch für die Wirtschaft. Und unsere Gemeinden werden als Wohnort attraktiver.
Gibt es schon Firmen, die sich wegen der neuen Bahn für einen Standort im Waldenburgertal interessieren? Heger: Bisher weiss ich erst von einer.
Kaufmann: Ich habe noch nichts dergleichen gehört, das kann aber noch werden.
Heger: In Hölstein verzeichnen wir unabhängig vom Bahnumbau seit rund zehn Jahren ein beachtliches Bevölkerungswachstum.
Werden Sie künftig als Gemeinden gemeinsam Werbung für das Waldenburgertal mit seinem Gewerbe machen?
Heger: Wir haben vorgesehen, dass sich das ansässige Gewerbe auf der Gemeindewebsite vorstellen und so Werbung für sich machen kann.
Kaufmann: Wir haben einzelne Anfragen von Gewerbebetrieben, die sich für das Tal und für Waldenburg als Standort interessieren. Wir geben dabei Unterlagen ab, zum Beispiel zur Nutzungsstrategie.
Nochmals gefragt: Spannen die Gemeinden zusammen, insbesondere bei der Werbung?
Kaufmann: Bisher nicht. Ein gemeinsames Marketingkonzept für das Waldenburgertal wäre aber eine denkbare Massnahme.
Heger: Wir können damit bei der neuen WB beginnen: Jede Gemeinde im Tal erhält – wie früher – einen Wagen mit ihrem Gemeindewappen. Die Taufe der einzelnen Wagen findet unter Betrieb am 13. Mai kommenden Jahres statt. An diesem Tag wollen wir auf das Waldenburgertal und seine Gemeinden aufmerksam machen. Überall im Tal wird es dann einen Taufakt geben.
Was sind die grössten Unterschiede zwischen Ihren Gemeinden? Kaufmann: Spontan gesagt: Hölstein hat mehr Einkaufsmöglichkeiten als Waldenburg.
Heger: Das stimmt, wir haben zwei Einkaufsläden. Traurig bei uns ist die Situation mit den Restaurants …
Kaufmann: In Waldenburg haben wir mehrere gute Restaurants. In Hölstein gibt es dafür mehr Gewerbe. Und wir wiederum haben schöne Ausflugsziele wie die «Waldweid».
Heger: Bei den Steuern und den Finanzen geht es uns noch besser – auf jeden Fall besser als Waldenburg.
Kaufmann: Das stimmt. Aber wir sind immerhin ein Städtchen …
Wie sieht es mit dem Tourismus aus?
Kaufmann: Das Naturwandergebiet ist für Waldenburg ein grosses Plus. Wir wollen es bekannter machen. Da hilft uns die WB sehr, denn im engen Städtchen hat es für viele Autos nicht genug Platz. Derzeit wird in und für Waldenburg ein Marketingkonzept erarbeitet. Ich hoffe, dass dieses im ersten Quartal 2023 verabschiedet werden kann. Die Kunstausstellung im ganzen Dorf hat uns viel gebracht. Die Besucherinnen und Besucher schwärmten vom besonderen Flair der Gemeinde.
Heger: Der Tourismus wird nach dem Baustellenende wohl wieder zunehmen – zum Beispiel mit Wandernden, die Hölstein Richtung Lampenberg passieren, und mit Velofahrenden. Wir hoffen, dass der Tagungsort Leuenberg bald wieder eröffnet wird und dass der Betrieb der Stiftung Holdenweid Fahrt aufnehmen kann.
Kaufmann: Ein Manko haben wir im Waldenburgertal: Es gibt zu wenige Übernachtungsmöglichkeiten. Das Hotel Restaurant Bad Bubendorf und die Hotels in Langenbruck gehören zu den wenigen Optionen.
Mehr Einwohnerinnen und Einwohner zu erhalten – ist dies mittel- bis langfristig ein Ziel?
Heger: In Hölstein wollen wir kontinuierlich, nicht abrupt, wachsen. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel Schulkinder bekommen; viel mehr als im kantonalen Durchschnitt. Wir brauchten jedes Jahr einen Kindergarten respektive ein Schulzimmer mehr. Wir haben mehr Kinder, weil es auch vermehrt Häuser und Wohnungen für Familien gibt. Zwei- oder Dreizimmerwohnungen standen bei einer Bevölkerungsumfrage unter Seniorinnen und Senioren auf der Wunschliste. Es gilt auch zu überlegen, wo vermehrt betreutes Wohnen in kleineren Wohnungen stattfinden kann.
Kaufmann: Grosse Häuser können für ältere Menschen wegen des Pflegeaufwands eine Belastung sein. Es braucht Alterswohnungen – und auch für ältere Menschen einen gut ausgebauten öffentlichen Verkehr. Stark wachsen können wir in Waldenburg wegen fehlender Bauflächen nicht, aber es gibt trotzdem immer wieder neue Wohnungen. Im Schulhaus und im Kindergarten könnten wir noch mehr Kinder aufnehmen. Wir haben nur rund 60 Schulkinder.
Heger: Wir dagegen haben rund 250 Schulkinder. Kleinere Bauvorhaben stehen bei uns an, wie auch der Bau von Mehrfamilienhäusern. Das Wachstum ist gegeben und zeigt: Hölstein ist ein attraktiver Wohnort.
Wo stehen Ihre Gemeinden in 10 bis 20 Jahren?
Heger: In 20 Jahren pflegen wir bestimmt eine engere Zusammenarbeit unter den Gemeinden im Tal. Es gibt dann vielleicht die «Gemeinde Waldenburgertal». Bis es so weit ist, kann es aber noch dauern. Es braucht entsprechende Anregungen aus der Bevölkerung. Die Identifikation mit der eigenen bisherigen Gemeinde sollte auch bei einer Gesamtgemeinde vorhanden sein – vielleicht ähnlich wie Quartiere in einer Stadt.
Mit einer gemeinsamen Gemeindeverwaltung?
Kaufmann: Ja, sodass an einem Ort etwa die Gemeinde- und die Bauverwaltung ist. Werkhöfe wird es wohl weiterhin in jeder Gemeinde geben.
Heger: Es ist klar: Eine gute Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr, wie wir sie nun haben, ermöglicht ein vermehrtes Zusammenwachsen und Zusammenarbeiten der Gemeinden.
Kaufmann: Es gibt auf jeden Fall noch Potenzial, dass besser zusammengearbeitet werden kann.
Bei den Werkhöfen ist noch viel Potenzial vorhanden, oder?
Kaufmann: Die Beurteilung der Werkhöfe muss differenziert angegangen werden. Bei der Schneeräumung etwa braucht jede Gemeinde ein eigenes Fahrzeug. Ich hoffe, dass Waldenburg mittel- bis langfristig wieder mehr den Glanz von früher bekommt – mit entsprechenden Einkaufsmöglichkeiten im «Stedtli». Ich hoffe auch, dass wir in 20 Jahren noch unser Schwimmbad haben. Bei diesem gibt es noch Potenzial zur Zusammenarbeit. Vielleicht gibt es in ein paar Jahren auch ein Parkhaus und dafür ein autofreies Städtchen wie Zermatt.
Heger: Ich wünsche mir einen Wohnort, in dem sich alle Einwohnerinnen und Einwohner wohlfühlen. Ich hoffe, dass in Hölstein bis in 10 Jahren eine neue Turnhalle steht. Schule und Vereine brauchen sie.
Kaufmann: Utopisch ist es, aber wer weiss: Vielleicht gehört auch Waldenburg irgendwann zu den Gebergemeinden. Wenn sich etwa eine Firma mit 500 Arbeitsplätzen niederliesse. Das würde allen guttun.
Heger: Chancen hierfür gibt es. Die weltbekannte Uhrenfirma Oris ist auf gutem Wege. Und der «Leuenberg» ist ein bekannter, attraktiver Anziehungspunkt.
Kaufmann: Ich hoffe, dass uns auch unsere heutigen grösseren Firmen wie Rero und Tschudi + Heid erhalten bleiben.