Autokratzer ist schuldunfähig
20.12.2022 Baselbiet, JustizMehr als 100 Autos beschädigt – trotzdem Freispruch
Unbestritten war, dass ein heute 38-jähriger Mann vor drei Jahren mehr als 100 Autos zerkratzt hatte. Das Strafgericht sprach den Mann nun frei, weil er wegen Schizophrenie schuldunfähig ist.
Thomas ...
Mehr als 100 Autos beschädigt – trotzdem Freispruch
Unbestritten war, dass ein heute 38-jähriger Mann vor drei Jahren mehr als 100 Autos zerkratzt hatte. Das Strafgericht sprach den Mann nun frei, weil er wegen Schizophrenie schuldunfähig ist.
Thomas Immoos
Die Taten ereigneten sich im Frühling 2019 und ausschliesslich in Niederdorf und Waldenburg. Mehr als 100 Fahrzeuge wurden in diesem Zeitraum zerkratzt; dabei entstand ein Sachschaden von über 180 000 Franken. Schliesslich wurde der Mann gefasst. An zwei Tagen stand er nun vor Gericht.
Bei der Gerichtsverhandlung wurde der Mann eingehend befragt. Dabei stritt er die Taten nicht ab, gab sie aber auch nicht zu. Er räumte lediglich ein, dass er es gewesen sein könnte. Die Taten ereigneten sich alle auf der Tour des Zeitungsverträgers und zu Zeiten, zu denen er Dienst hatte, oder aber rund um seinen Wohnort in Waldenburg.
Schwere Erkrankung
Die psychiatrische Gutachterin kam zum Schluss, dass der Mann wegen Schizophrenie nicht schuldfähig sei. Ein früheres Gutachten eines anderen Gutachters hatte eine falsche Diagnose gestellt. Zwar stellte auch jener eine schwere psychische Erkrankung fest, gegen die der Mann auch – allerdings erfolglos – behandelt wurde. Die neue Gutachterin kam nun zum Schluss, dass der Mann wegen der schweren Persönlichkeitsstörung weder einsichts- noch steuerungsfähig sei. Bleibe er untherapiert, bestehe eine grosse Rückfallgefahr, betonte sie weiter.
Minutiös schilderte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer die einzelnen Taten. Aber auch er kam zum Schluss, dass «das psychiatrische Gutachten schlüssig ist». Teilweise schuldfähig sei er lediglich in einem anderen Fall, bei dem der Mann an einer Baustelle eine Frau beschimpft und deren Fahrzeug beschädigt habe. Dabei entstand ein geringer Sachschaden. Auch die Missachtung eines Vortritts, bei dem ein Fussgänger verletzt wurde, sei unbestritten (siehe auch «Volksstimme» vom 6. Dezember). Er beantragte eine Geldstrafe von fünf Tagessätzen zu 30 Franken und eine Busse von 500 Franken. Allerdings müsse sich der Mann einer ambulanten psychiatrischen Behandlung unterziehen.
In seinem Urteil folgte Gerichtspräsident Daniel Schmid den Ausführungen der Gutachterin. Auch er befasste sich penibel mit den einzelnen Vorfällen. Da bei einigen Fällen die Täterschaft des Mannes nicht sicher sei, wurden sie ihm auch nicht angelastet. Zwar gebe es bei den gut hundert Fällen lediglich Indizien, dass der Angeklagte der Täter sei. Aber diese Indizien seien so plausibel, dass «nur dieser Mann diese Taten begangen haben kann». Auch das Tatvorgehen («Modus operandi») und der örtliche Bezug liessen keine begründeten Zweifel zu.
Prognose bei Behandlung ist gut
Da der Täter aber wegen Schizophrenie und postschizophrener Depression schuldunfähig ist, muss er freigesprochen werden. Das bedeutet, dass die geschädigten Autobesitzer leer ausgehen. Dies ist gemäss Obligationenrecht dann der Fall, wenn nachgewiesen ist, «dass dieser Zustand ohne sein Verschulden eingetreten ist». Das Strafgericht verurteilte den Täter wegen der Tätlichkeit und Beschimpfung gegen eine Frau für schuldig. Er wurde zu zwei Tagessätzen zu 30 Franken und einer Busse von 500 Franken verurteilt. Auch hat er diesen geringen Schaden zu begleichen. Zugunsten des Angeklagten hob der Richter hervor, dass dieser sich freiwillig in Therapie begeben habe.
Die Gerichts- und Verfahrenskosten sowie die Kosten für das Gutachten und den Verteidiger gehen zulasten der Staatskasse. Daniel Schmid auferlegte dem Mann zudem eine ambulante psychiatrische Behandlung. «Denn ohne diese ist die Prognose ungünstig», da dann das Risiko impulsiver Übergriffe weiterhin bestehe. Die zivilen Forderungen, auch jene nach Genugtuungszahlungen, wurden abgewiesen. Aufgrund der Schuldunfähigkeit «sind die Taten nicht genugtuungswürdig», befand Gerichtspräsident Daniel Schmid.