«Zu Abschaltungen dürfte es nicht kommen»
28.10.2022 Baselbiet, WirtschaftPrimeo-Energie-CEO Conrad Ammann zur möglichen Strommangellage
Conrad Ammann, der CEO der Primeo Energie, beruhigt: Persönlich ist er überzeugt davon, dass mit Sparappellen, Geboten und Verboten und notfalls der Anordnung von Kontingentierungen bei Grosskunden die weitaus gravierenderen ...
Primeo-Energie-CEO Conrad Ammann zur möglichen Strommangellage
Conrad Ammann, der CEO der Primeo Energie, beruhigt: Persönlich ist er überzeugt davon, dass mit Sparappellen, Geboten und Verboten und notfalls der Anordnung von Kontingentierungen bei Grosskunden die weitaus gravierenderen Stromabschaltungen vermieden werden können.
Paul Aenishänslin
Herr Ammann, kurz zusammengefasst: Warum könnte es im Winter in der Schweiz zeitweise zu einer Strommangellage kommen?
Conrad Ammann: Weil die Versorgungssituation angespannt ist. Falls der Winter sehr kalt wird und grosse Kraftwerke in der Schweiz oder die üblicherweise nötigen Stromimporte aus Frankreich und Deutschland plötzlich ausfallen, könnten wir in eine Mangellage geraten.
Warum besteht die Gefahr, dass die Stromimporte stark reduziert werden oder sogar ausfallen?
Eine Strommangellage kann eintreten, wenn durch tiefe Wasserstände in Flüssen und Stauseen die inländische Stromproduktion eingeschränkt ist und das Defizit nicht durch zusätzliche Importe gedeckt werden kann. Problematisch ist, dass in Frankreich momentan viele Kernkraftwerke revidiert werden. Nur etwa die Hälfte der 62 Werke sind am Netz. In Deutschland wird zurzeit rund 25 Prozent des Strombedarfs mit Erdgas produziert, das knapp und teuer ist. Damit fehlt in Europa Strom für den Export.
nFalls eine Mangellage während des Winters tatsächlich eintrifft: Was passiert dann konkret?
Dann kommt es in der Schweiz zur dritten Massnahme von Instrumenten zur Verbrauchslenkung, nämlich zur Kontingentierung (siehe Kasten). Alle Grossverbraucher werden dann verpflichtet, eine bestimmte Strommenge einzusparen.
Wie würde sich das im Versorgungsgebiet von Primeo Energie, das sich vorwiegend im unteren Baselbiet befindet, auswirken?
Wir versorgen rund 700 Unternehmen in unserem Netzgebiet mit Strom, die von einer Kontingentierung betroffen wären. Sie beziehen alle mehr als 100 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Der Verbrauch dieser Firmen macht zusammen rund 70 Prozent des gesamten Strombedarfs aus. Unsere Gespräche mit insbesondere den grössten Kunden zeigen, dass die Industrie gewillt und bereit ist, die Kontingentierung mit Einsparungen von beispielsweise bis zu 15 Prozent zu erfüllen. Dies mit dem Ziel, eine weitaus einschränkendere rollierende Stromabschaltung zu vermeiden, von welcher alle Verbraucherinnen und Verbraucher betroffen wären.
Wie wirkt sich diese mögliche Reduktion von 15 Prozent auf die Grossbezüger aus?
Die Unternehmen müssen beispielsweise die Laufzeiten ihrer Maschinen und Prozesse reduzieren, sie werden also ihre Produktion zurückfahren und Prioritäten setzen müssen. Im öffentlichen Verkehr könnte es zu einer Ausdünnung der Fahrpläne kommen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Kontingentierung sind erheblich, aber viel geringer als bei Stromabschaltungen.
Riskieren wir in diesem Winter tatsächlich, dass Gemeinden oder. ganzen Quartieren einer Stadt während Stunden der Strom ganz abgestellt wird?
Ich erwarte das nicht. Dies wäre die vierte Massnahme zur Verbrauchslenkung. Die rollierenden Abschaltungen dürften meines Erachtens nicht zum Tragen kommen. Die Massnahmen eins bis drei der Verbrauchslenkung, also die Stromsparmassnahmen, dürften ausreichend sein.
Trotz dieser relativen Entwarnung Ihrerseits bleibt es dabei, dass viele Firmen und Private Mühe haben dürften, im Jahr 2023 die viel höheren Strompreise zu bezahlen. Warum steigen diese so stark, zum Beispiel für Haushalte im Primeo-Netzgebiet um 45 Prozent?
Der Strompreisanstieg ist von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich. Die Differenzen hängen wesentlich davon ab, ob Strom mehrheitlich über Eigenproduktion hergestellt oder am Markt eingekauft wird. Wie die meisten Energieversorgungsunternehmen beschafft auch Primeo Energie den Strom mehrheitlich am Markt. Als Folge der rekordhohen Grosshandelspreise, welche unter anderem durch den Ausfall von grossen Kraftwerken in Frankreich und durch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges bedingt sind, muss Primeo Energie den Strompreis deutlich anheben.
Firmen, die nicht in der Grundversorgung sind und mehr als 100 000 kWh pro Jahr beziehen, haben in den vergangenen Jahren von sehr tiefen Strompreisen profitiert. Jetzt sind sie mit Erhöhungen von bis zum Zehnfachen konfrontiert. Was raten Sie diesen?
Auch bei Primeo Energie kennen wir diese Situation. Wir versuchen, den betroffenen Kunden im Rahmen unserer Möglichkeiten Lösungen anzubieten. Firmenkunden in unserem Versorgungsgebiet bieten wir den Abschluss von mehrjährigen Verträgen mit einem über die gesamte Vertragsdauer tieferen Börsen-Mischpreis an. Dieser wird einheitlich über die gesamte Vertragsdauer gewährt. Bedingung ist der Abschluss eines mehrjährigen Vertrags und ein ausreichend robustes Risikoprofil der Kunden. Wir haben die Kundinnen und Kunden auch motiviert, ihren Stromverbrauch nach Möglichkeit zu senken.
Ist anzunehmen, dass wieder mit viel tieferen Strompreisen zu rechnen ist, sobald der französische AKW-Park wieder voll in Betrieb und der Ukraine-Konflikt zu Ende ist?
Derzeit wird in der Branche von einer Erholung der Marktpreise nach dem Winter 2023/24 ausgegangen. Allerdings dürfte das Preisniveau deutlich über demjenigen der vergangenen Jahre bleiben. Die Strom-Marktpreise sind stark abhängig von den Preisen für wichtige Energieträger wie zum Beispiel Gas. In Zukunft wird vermehrt auf den Import von Flüssiggas gesetzt – und dieses ist deutlich teurer als das Billiggas aus Russland.
Vier Massnahmen zur Verbrauchslenkung
pae. Diese vier Massnahmen sind stufenweise bei einer sich verschärfenden Situation bei der Stromversorgung vorgesehen:
1. Sparappelle: Diese richten sich an die Bevölkerung und sollen auf freiwilliger Basis eingehalten werden. Entsprechende Werbekampagnen laufen derzeit.
2. Verbrauchseinschränkungen: Sie verbieten den Betrieb von nicht absolut notwendigen energieintensiven Geräten und Einrichtungen wie beispielsweise Beleuchtungen zu Werbezwecken, Rolltreppen oder Komfortheizungen im Aussenbereich.
3. Kontingentierung: Alle Grossverbraucher werden verpflichtet, eine bestimmte Strommenge einzusparen. Als Grossverbraucher gelten Stromkunden mit einem Jahresverbrauch von mehr als 100 000 kWh.
4. Netzabschaltungen: Für einzelne Bereiche eines Verteilnetzgebiets wird die Stromversorgung jeweils für mehrere Stunden unterbrochen. Die Unterbrechungen finden rotierend statt und betreffen alle Bereiche des Verteilnetzes gleichermassen. Netzabschaltungen dienen als Ultima Ratio.
Zur Person
pae. Dr. sc. techn. Conrad Ammann ist seit dem Jahr 2012 CEO der Primeo-Energie-Gruppe (vormals Elektra Birseck Münchenstein, EBM). Er ist 1959 geboren und wohnt in Zürich und Birsfelden. Bereits angekündigt ist, dass Ammann nach der Delegiertenversammlung vom 19. April 2023 von Cédric Christmann, dem heutigen Geschäftsführer der Primeo Energie AG, abgelöst wird. Ammann wird dann als Senior Advisor mit reduziertem Pensum weiterhin ausgewählte Mandate für Primeo Energie betreuen.