Wenn aus Punkten Galaxien werden
22.09.2022 SissachZeitungskopf | Heute gestaltet von Kathryn Vogt-Häfelfinger, Künstlerin aus Sissach
Brigitte Keller
Kathryn Vogt-Häfelfinger liebt es, mit der Kamera ganz alltägliche Momente einzufangen. Als Kontrast zum Digitalen besinnt sie sich seit einiger ...
Zeitungskopf | Heute gestaltet von Kathryn Vogt-Häfelfinger, Künstlerin aus Sissach
Brigitte Keller
Kathryn Vogt-Häfelfinger liebt es, mit der Kamera ganz alltägliche Momente einzufangen. Als Kontrast zum Digitalen besinnt sie sich seit einiger Zeit aber auch wieder auf das Taktile, das Anfassbare, wie Papier und Tinte.
«Wann entsteht aus einzelnen Punkten etwas, wann wird aus der Fläche eine Gemeinschaft?» Solche Fragen und Gedanken begleiteten Kathryn Vogt-Häfelfinger während des Gestaltens ihres Schriftzugs für den «Volksstimme»-Zeitungskopf. «Wenn jeder Punkt für einen Menschen steht, sich diese bündeln und zur Stimme des Volkes werden, was kann damit ausgedrückt werden?»
Im Normalfall lässt die Künstlerin die Werke einfach entstehen, schaut, was daraus wird. Etwas auf Auftrag zu kreieren war deshalb eine spannende Herausforderung, die sie sehr gerne angenommen hat.
Die «Volksstimme» – für sie ganz einfach «Volksstimm» – lag immer auf dem Küchentisch und der bekannte Schriftzug weckt Erinnerungen an ihre Kindheit. «Als meine Mutter damals noch in der Schweiz lebte, war sie mit Yvonne Schaub, der Frau des einstigen Druckereichefs Peter Schaub, befreundet.» Obwohl es schon lange zurückliegt, erinnert sich Vogt-Häfelfinger gut an diese Zeit.
Die Künstlerin arbeitet aktuell hauptsächlich mit Papier und Tinte. Deshalb war klar, dass sie diese Technik auch für den Schriftzug verwenden würde. Damit war eine Frage beantwortet, aber noch längst nicht alle. Bis das Resultat ihren Ansprüchen gerecht wurde, brauchte es rund dreissig Entwürfe.
Zurück in der Schweiz
Dass Vogt-Häfelfinger zurzeit mit Papierblock und Tinte arbeitet, hat auch einen ganz pragmatischen Grund: Sie ist zusammen mit ihrer Familie erst vor rund zwei Monaten in das Haus in Sissach eingezogen. Der Grossteil ihrer Materialien befinden sich noch in Zügelkisten oder in einem Lager, ein Atelier konnte noch nicht bezogen werden. «Es ist schön, einfach einmal nur mit Papier und Tinte zu arbeiten, ohne viele Unterlagen haben zu müssen.»
Die letzten Jahre lebte Vogt-Häfelfinger mit Mann und Kindern in Kalifornien, der Heimat ihrer Mutter. Ihre Mutter war nach der Scheidung dorthin zurückgekehrt und so verbrachten Vogt-Häfelfinger und ihre Geschwister einen Teil ihrer Kindheit bereits in den Vereinigten Staaten. «Ich hatte immer einen Fuss dort und einen hier.» Als ihre Mutter vor ein paar Jahren krank wurde, wollte sie sie unterstützen und ihr nochmals möglichst nahe sein. Gleichzeitig wurde ein Umzug nach Kalifornien als Chance gesehen, den eigenen Kindern diesen Teil der Welt und diesen Zweig der Familie näherzubringen. Ursprünglich war ein Aufenthalt für ein Jahr geplant gewesen. Geworden sind daraus fünf Jahre. Anfang Jahr wurde entschieden, im Sommer von Los Angeles in die Schweiz zurückzukehren. Zurück in das Haus ihres Vaters, in dem sie aufgewachsen ist. «Es macht Sinn, jetzt wieder hier zu sein. Unter anderem auch, um meinen Vater wieder mehr zu sehen und ihm auf Wunsch auch mal unter die Arme greifen zu können.» Ihr Vater, Architekt Robert Häfelfinger senior, ist ebenfalls gerade mit Zügeln beschäftigt und noch voller Tatendrang. Die Liebe zur Fotografie und zum Video standen ganz zu Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn. Mit der Kamera fängt sie Momente des ganz normalen Alltags ein. Dinge, an denen man tagtäglich vorbeikommt. Dieser Leidenschaft ging sie auch in Los Angeles nach. Szenerien lösen Emotionen in ihr aus oder geben das Gefühl eines Déjà-vu. Andere Bilder könnten aus einem Hollywoodfilm stammen.
Neues entdecken
«Um etwas einfangen zu können, muss man unterwegs sein.» Der Lockdown während Corona setzte dem ein Ende und zwang sie – wie alle anderen auch –, das Leben neu zu organisieren und sich auf andere Art künstlerisch auszudrücken. So experimentierte sie beispielsweise mit Blöcken aus Bienenwachs und heissen Steinen. Schon früher schuf die Künstlerin Werke, die aus der Verbindung – oder besser gesagt der Nichtverbindung – von Honig und Acrylfarbe entstanden sind. Diese konnte sie beispielsweise an der «TonArt – TonWerk – Die Zweite» 2017 in Lausen zeigen.
Während ihres Aufenthalts in Los Angeles beteiligte sie sich mit derselben Grundtechnik an einem Projekt an der «Thomas Starr King Middle School». Dort zieren seit 2018 ihre beiden «Honey King» genannten Wandbilder das Schulgelände. Die Zeit und das Wetter hinterlassen ihre Spuren darauf. «Das finde ich auch ganz schön, es muss nicht für immer sein, nicht für ewig», sagt die Künstlerin.
Während Corona rückte das Taktile noch stärker in den Fokus. Berührungen in der Aussenwelt mussten eingeschränkt oder ganz vermieden werden. Also wurde das Fassbare in den eigenen Wänden umso wichtiger. So auch Papier. Sich auf Papier zu besinnen, machte für Vogt-Häfelfinger plötzlich Sinn. Sie fing wieder an zu zeichnen.
Vor ihrem Umzug nach Kalifornien konnte sie mehrmals an der trinationalen Kunstausstellung «Regionale» teilnehmen und war mit dabei an der Ausstellung «Aussichten – Kunst im Gelände» auf der Sissacher Fluh. Gerne möchte Vogt-Häfelfinger wieder an ihre Verbindungen zur hiesigen Kunstszene anknüpfen. Das Haus muss zwar noch fertig eingerichtet und ein Atelier noch installiert werden, aber für die Kunst nimmt sie sich immer gerne und überall Zeit.
Zur Person
Kathryn Vogt-Häfelfinger, Künstlerin
Biografisches: Sie ist in Basel geboren (1966) und in Sissach aufgewachsen, ist verheiratet und hat eine Tochter (16) und einen Sohn (14). Seit rund zwei Monaten wohnt die Familie wieder in Sissach im Haus, in dem sie aufgewachsen ist.
Wichtigste Ausstellungen: «TonArt – TonWerk» Lausen; mehrmals an der jährlich stattfindenden trinationalen Kunstausstellung «Regionale»; «Aussichten – Kunst im Gelände», Sissacher Fluh, 2015– 2016.
Ursprüngliche Ausbildung: Sie ist ausgebildete Kindergärtnerin; 1991–1993 besuchte sie die Schule für Gestaltung in Basel; danach bildete sie sich in den USA weiter und besuchte unter anderem in New York die Parsons School of Design; danach freischaffend.
Nächste Projekte: Ankommen, einrichten und anknüpfen. Sie hofft, wieder an Ausstellungen in der Region teilnehmen zu können.
Instagram: kathrynvogthaefelfinger
14 kreative Köpfe
vs. Im September 1882 kam die erste Ausgabe der «Volksstimme» aus der Druckpresse. Zum 140. Geburtstag unserer Zeitung haben wir 14 Künstlerinnen und Künstler aus unserer Region eingeladen, den Zeitungskopf jeweils einer unserer September-Ausgaben zu gestalten. Alle bisher erschienenen Kunstwerke finden Sie unter www.volksstimme.ch.
GALERIE
Wo sich Berührungspunkte verdichten
Ihre aktuellen Werke entstehen aus Ansammlungen von Punkten. Manchmal erinnern sie an die Körnung von Fotoabzügen. Es könnten einzelne Zellen sein oder ganze Galaxien. «Für mich ist es immer ein Entdecken, Wachsen und Entstehenlassen gestaltet. von Dreidimensionalität. Im Gegensatz zum Fotografieren, wo es mehr ums Einfangen und Reflektieren geht.»