Zu Besuch bei den Damhirschen

Familie Rudin aus Wintersingen züchtet seit vier Jahrzehnten Damhirsche. Die Herde umfasst derzeit 24 Tiere. Schon die Römer schätzten diese Hirschart wegen ihres schmackhaften Fleisches.

Brigitte Keller

Wenn in Wintersingen von Oktober bis November ein lautes «Gorpsen» zu vernehmen ist, dann hat das nichts mit den Nachwirkungen eines Gelages zu tun. Wahrscheinlicher ist, dass es sich dabei um den Brunftruf des Damhirsches auf dem Hof der Familie Rudin in Wintersingen handelt. Der Ruf der Tiere sei im Gegensatz zum charakteristischen Röhren des Rothirsches nicht sonderlich schön anzuhören, war von Züchter Simon Rudin bei einer Führung auf der Anlage zu erfahren. Interessierte statteten den Damhirschen der Rudins bei einem der «im Dorf unterwegs»-Rundgänge des Spitex-Vereins Wintersingen einen Besuch ab.

Die Erläuterungen zur Haltung der nicht alltäglichen Tiere stiessen bei den Anwesenden auf grosses Interesse. Simon Rudin, seines Zeichens auch Jäger und Jagdaufseher in Wintersingen, erzählte, dass sich sein Vater Manfred früh für die Zucht von Damhirschen interessiert hatte und 1982 die Bewilligung erhielt, um mit der Haltung zu beginnen. Die Auflagen zur Wildtierhaltung seien umfangreich, so Rudin weiter. Sie umfassten beispielsweise die Höhe der Zäune, die Grösse und Beschaffenheit der Weide, die Art und Grösse des Unterstandes sowie die Auflage, einen separaten Kälberunterschlupf zu bieten. Auch brauche es einen Brunnen, und der Boden beim Futterstand müsse besondere Bedingungen erfüllen.

Schaufelgeweih und Flecken
Das schaufelförmige Geweih und das meist rotbraune Fell mit weissen Punkten unterscheiden den Damhirsch von den anderen Hirscharten. Es gibt aber auch Linien mit fast schwarzer Fellfarbe, auf die sich die Rudins spezialisiert haben. Das Geweih der männlichen Tiere wird jährlich im April abgeworfen und wächst dann bis August wieder nach, geschützt und genährt durch die pelzige Basthaut, die ab September abgefegt wird. Die mittelgrosse Hirschart stammt ursprünglich aus Kleinasien. Spätestens durch die Römer gelangten die wegen ihres zarten und schmackhaften Fleisches sehr geschätzten Tiere auch nach Mitteleuropa und in die Schweiz.

Von Natur aus sind Damhirsche sehr scheu, aber auch sehr anpassungsfähig. Exemplare, die in einem Tierpark mit viel Publikumsaufmarsch gehalten werden, gewöhnen sich an Menschen und verlieren dadurch ihre Scheu. Die Tiere auf dem Hof der Rudins bleiben da zurückhaltender und lassen sich nur aus der Ferne betrachten. Einzig der achtjährige «Platzhirsch» liess sich in seinem Unterstand selbst dann nicht aus der Ruhe bringen, als die Besucherinnen und Besucher sich ihm auf der anderen Seite des Zauns näherten.

Abschuss auf der Weide
Seit Rudins Vater Manfred vor rund zehn Jahren verstorben ist, kümmern sich seine Frau Susi und die beiden Söhne Markus und Simon um die Zucht. Sie teilen sich die Aufgaben: «Die Tiere gehören unserer Mutter, Zuständigkeitsperson ist mein Bruder Markus und ich trage die Verantwortung für Bestandeskontrollen und das Schiessen der Tiere», erklärt Simon Rudin. Seine Dienste werden Mitte September wieder gefragt. Auch diese Aufgabe und das damit verbundene Vorgehen sind stark reglementiert. Die ausgewählten Tiere müssen von einem Hochstand aus ganz präzise geschossen werden, sodass sie minimalen Stress erleiden. Danach werden sie ganz oder als Hälften zur weiteren Verarbeitung an regelmässige Abnehmer verkauft.

Immer im März wird der untere Teil der Weide abgetrennt, damit das Gras dort wachsen kann. Denn dort kommen im Juni jeweils die Kälber zur Welt und können sich dann im hohen Gras verstecken. Normalerweise bringt eine Kuh ein einzelnes Kalb zur Welt. In jüngster Zeit kämen aber auch immer häufiger Zwillingsgeburten vor, so der Züchter.

Ein Hirsch und acht Kühe
Die Herde der Rudins umfasst aktuell 24 Tiere. Ein Hirsch, acht Kühe im Alter von zweieinhalb bis sechs Jahren, drei Spiesser, wie die jungen männlichen Tiere genannt werden, die im letztjährigen Sommer geboren wurden, acht Schmaltiere, das die Bezeichnung für die gleichaltrigen weiblichen Tiere, sowie sechs Kälber aus diesem Sommer.

Nach ergänzenden Informationen von Markus Rudin zur Futterherstellung und zum Bauernbetrieb allgemein rundete ein Imbiss auf dem Hofplatz den spannenden Ausflug ab.

Scheu, neugierig und anpassungsfähig

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