Sander van Riemsdijk

In der 2-Zimmer-Wohnung des 99-jährigen Edgar Strub aus Liestal liegt weder eine Pistole herum noch hängt ein Foto von ihm in Schiesspose im Schützenhaus seines Vereins Schützengesellschaft Liestal an der Wand. Kein Hinweis auf sein Hobby, was im ersten Moment etwas erstaunt. Denn Strub betreibt das Sportschiessen seit 84 Jahren, mit grossem Engagement und Einsatz. Das Hobby bedeutet dem Liestaler sehr viel. Deshalb sei es für ihn selbstredend, dass er am Eidgenössischen Feldschiessen vom kommenden Wochenende teilnimmt, an einem der grössten Breitensportanlässe der Schweiz und einem der grössten Schützenfeste der Welt. «Aber nur, wenn es die Gesundheit zulässt», so Strub. Eine Aussage, die im Gespräch oft fallen wird.

Seit seine Frau vor 28 Jahren gestorben ist, wohnt Strub alleine und erledigt den Haushalt selbst. Es ist erstaunlich, in welch guter gesundheitlicher Verfassung der 99-Jährige ist. «Nur das Gehör lässt mich teils im Stich», sagt er fast entschuldigend. Via Zeitungen und Fernsehen verfolge er jeden Tag das Weltgeschehen. So könne er über die politischen Ereignisse, die sich auf nationaler oder globaler Ebene abspielen, mitreden und sich eine Meinung bilden. Nicht erst seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine stellt sich Strub als gläubiger Mensch – er besucht jeden Sonntag den Gottesdienst in der reformierten Kirche – immer wieder dieselbe Frage, ohne je eine Antwort zu erhalten: «Wie ist das Böse in den Menschen gekommen, während Gott ihn doch geschaffen hat?»

Feldschiessen begeisterte ihn früh
Nachdem Strub mit ruhiger Hand Kaffee, Wasser und Gipfeli («als Zeichen der Freundschaft») serviert hat, nimmt er verbal Fahrt auf. Mit einer inneren Ruhe und ohne nach Worten suchen zu müssen, blickt er auf sein langes Leben zurück und berichtet über seine Beziehung zum Feldschiessen: Als junger Mann habe er eine Lehre als Mechaniker bei der Schöpf AG absolviert und tagtäglich von seinem Wohnort Arisdorf mit dem Fahrrad nach Basel gependelt. Schon früh habe er sich nicht nur für das Feldschiessen, sondern auch für die Musik interessiert. Strub war jahrelang Mitglied der Musikgesellschaft Arisdorf und hat Flügelhorn gespielt. Das Feldschiessen faszinierte ihn aber noch mehr.

Angefangen hat die Begeisterung mit dem ersten Jungschützenkurs im Kanton Neuenburg im Jahr 1938. «In Val-de-Ruz habe ich meine erste Ehrenmeldung erhalten», erinnert sich Strub mit Stolz. Schützenmeister sei er noch heute. Wenn es die Gesundheit zulässt, übt der erfahrene Feldschütze zwei Mal in der Woche bei seinem Verein in Liestal auf der «Sichtern». Es ist nicht nur die Leidenschaft für den Schiesssport, die ihn ins Schützenhaus führt, sondern auch die Geselligkeit und die Kameradschaft. Strub hilft beim Unterhalt noch immer tatkräftig mit, wenn im Schützenhaus oder auf der Schiessbahn geputzt oder geflickt werden muss. Doch in jüngster Zeit muss auch der fast 100-Jährige manchmal aussetzen. «Ich spüre, wie die Kräfte langsam nachlassen.»

Das Eidgenössische Feldschiessen vom kommenden Wochenende will der Sportler aber nicht auslassen. «Ja, der alte Mann macht noch mit», lässt Strub mit Schalk in der Stimme verlauten. Der vielleicht älteste Feldschütze der Schweiz wird mit der Pistole auf der 25-Meter-Bahn anzutreffen sein. Bei der Treffsicherheit spiele die Gesundheit mit: «Teils geht es besser, teils schlechter.» Sein stolzes Alter hinderte ihn aber nicht daran, beim letzten Mal ein Kranzabzeichen zu erhalten. «Ans Aufhören denke ich nicht», so Strub mit Bestimmtheit, auch wenn es ihn störe, dass die Vorschriften immer strenger werden. «Meine Augen sind noch sehr gut, nur wackelt vermehrt meine Hand.» Deshalb nehme er sich beim Zielen mehr Zeit. «Ich drücke erst dann ab, wenn ich ruhig bin.»

1. August als doppelter Feiertag
Als er ein junger Mann war, sei in Liestal noch auf dem «Altmarkt» geschossen worden, blickt Strub zurück. Bis heute versteht er nicht, dass am Sonntag während des Gottesdienstes in der Kirche Lausen während einer Stunde nicht geschossen werden durfte. Ohnehin ist der Liestaler der Meinung, dass der Schiesssport zusammen mit der Armee an Stellenwert in der Gesellschaft verloren habe. «Irgendwann wird sich diese Einstellung rächen», meint er besorgt. «Spätestens, wenn Krieg herrscht und die meisten Leute nicht schiessen können, wird der Ruf nach der Armee laut.»

Schliesslich widmet er sich positiveren Dingen: Am Schweizer Nationalfeiertag wird Strub 100 Jahre alt. Im Kreis seiner Familie, mit seinen zwei Kindern, den drei Gross- und den drei Urgrosskindern, wird dieser Meilenstein seines langen Lebens im Restaurant Blüemlismatt oberhalb von Egerkingen gebührend gefeiert. Vielleicht sogar mit einem Kranzabzeichen des Eidgenössischen Feldschiessens 2022 im Gepäck.

«Ich drücke ab, wenn meine Hand ruhig ist»

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