Schwingen | «Der Ritter Edi» führte den Nationalsport im Kanton Tessin ein

Der Oberbaselbieter Edi Ritter hat in seiner eigentlichen Heimat, dem Tessin, das Schwingen eingeführt, den Kantonalverband gegründet und ist aktuell dessen Präsident. Der «Entwicklungshelfer», der einst auch den Baselbieter Verband präsidierte, wird in Pratteln als Fernsehkommentator im Einsatz stehen.

Jürg Gohl

«Lotta Svizzera» steht auf seinem Polo-Shirt. Im Logo sind der Schriftzug und die zwei Schwinger in Merlot-Rot gehalten, dazu zeigt es das Tessiner Kantonswappen. Edi Ritter ist sozusagen der personifizierte Schwingsport im Tessin. Er erteilte jungen, neugierigen Tessinern die ersten Trainingslektionen südlich des Gotthards, gründete «unter einer Pergola in Camorino» den Kantonalverband, organisiert das erste «Kantonale» und steht beim Tessiner Fernsehen, das auch auf den Geschmack gekommen ist, beim «Eidgenössischen» in Pratteln als Co-Kommentator im Einsatz.

Im Tessin konnten sich noch weniger Leute etwas unter «lotta svizzera» vorstellen als in der Romandie unter «lutte suisse». Doch das änderte sich schnell dank des Oberbaselbieters mit seinem vertrauten Markenzeichen, dem Kringelschnauz. Immer mehr beginnen sich im Tessin für das Schwingen zu interessieren.

Nicht alleine berufliche Gründe gaben den Ausschlag, dass Edi Ritter und seine Frau Astrid vor 21 Jahren Diepflingen verliessen und nach Gordola zogen. Ritters Mutter stammte aus der italienischen Schweiz. «Wir überliessen unser Haus den erwachsenen Kindern», sagt Edi Ritter, «in normalen Familien ziehen in diesem Alter die Kinder aus dem Elternhaus. Bei uns verhält es sich umgekehrt.» Sich «umgekehrt» zu verhalten, gehört zu den Ritters, obwohl gerade im Schwingen das Traditionelle zelebriert wird wie kaum sonst wo.

Baselbieter Sitz im Tessin
So betont Edi Ritter auch, dass sein offizieller Wohnsitz in Gordola bleibt und er und seine Frau zwischendurch in Sissach in ihrer Ferienwohnung leben. «Im Baselbiet besitzen viele eine Ferienwohnung im Tessin. Zeige mir jemanden, der es wie wir umgekehrt hält!», sagt er. Und ins Bild des Unkonventionellen passt auch, dass er beim Umzug Präsident des Basellandschaftlichen Kantonal-Schwingerverbands war. Weil gemäss Statuten der Sitz des Verbands jeweils dem Wohnort des Präsidenten entsprach, waren die Baselbieter vorübergehend im schwing-freien Tessin angesiedelt.

Unterdessen können sich dort immer mehr etwas unter der eigentümlichen Kampfsportart vorstellen. Das war damals noch anders, als sich junge Leistungssportlerinnen und -sportler aller Art im Sportzentrum Tenero trafen und dort an 45 verschiedenen Sportarten schnuppern konnten. Edi Ritter wurde gebeten, unterstützt von Freunden aus Erstfeld, einen Sägemehlring einzurichten. Als in den folgenden Jahren diese Aktion mit Kindern wiederholt wurde, blieben bald einmal die ersten stehen und erkundigten sich nach Trainingsmöglichkeiten. Seine Antwort: Die gebe es erst auf der anderen Seite des Gotthards.

Kantonalverband gegründet
So werden in Tenero bald ein Schwingkeller und ein Aussenplatz eingerichtet. Vor zehn Jahren mühen sich die ersten fünf jungen Tessiner mit «Brienzer», «Buur» und «Brüggli» ab. Bald wollen sie mehr, nämlich an Schwingfesten teilnehmen. Doch dazu bedarf es zuerst eines Kantonalverbands. Im August 2012 ist es so weit: Unter der Pergola der Sekretärin gründet ein Trio den Tessiner Kantonalverband. Am Tisch sitzt auch Edi Ritter, der das Präsidium übernimmt.

Im Jahr 2019 werden die Tessiner in den Innerschweizer Teilverband und damit in die mächtige Schweizer Schwingerfamilie integriert. Pech für den ISV, wie sich der Teilverband abkürzt, ist einzig, dass er 1993 auf der neuen Verbandsfahne das Wappen des inaktiven Kantons Tessin entfernte und sie nun erneuern muss. Natürlich ist im Tessin nicht plötzlich die grosse Euphorie ausgebrochen. Die Zahl der Aktiven liegt bei zehn, und die Corona-Pause brachte auch die Nachwuchsbewegung ins Stocken. Wie viele andere hoffen alle im Tessin auf den Werbeeffekt von «Pratteln».

Den weitaus grösseren Beitrag zur Entdeckung des Schwingens in seinem Wohnkanton leistet Edi Ritter aber, den der «Blick» mal als «Zwilchhosen-Missionar» bezeichnete, als Co-Kommentator beim Tessiner Fernsehen. Auch wenn es immer wieder Reklamationen gibt, weil er den «Schlungg» am Mikrofon eben «Schlungg» nennt – die Tessiner wünschen sich verständlichere Ausdrücke – so ist er mit seinem Fachwissen und seinen zahllosen Anekdoten im Südkanton längst das fleischgewordene Schwingen. Auch vom «Eidgenössischen» in Pratteln – dort ist er aufgewachsen – wird er für das Fernsehen im Einsatz stehen.

Dann aber will er kürzertreten. Inzwischen 71 Jahre alt, gibt er im November im Tessin zum zweiten Mal in seinem Leben ein Kantonalpräsidium ab. Technischer Leiter ist er bereits seit drei Jahren nicht mehr. Gut, da folgt im Herbst noch das erste Tessiner «Kantonale», bei dem er als Vizepräsident amtet und mit seinem Wissen und den Beziehungen an allen Fronten gefragt ist. Dieses «Kantonale» soll nur alle drei Jahre jeweils im Herbst nach dem «Eidgenössischen» stattfinden – ein weiteres Tessiner Kuriosum.

Sein Abschieds-Schwingfest als Funktionär? «Jein», sagt er. Kürzlich habe ihn ein befreundeter Bergbahndirektor angerufen, der nächstes Jahr ein kleines «Berg-Schwinget» auf dem Monte Generoso abhalten möchte. «Da konnte ich», sagt Edi Ritter, «doch nicht absagen.»

Neues und Traditionelles

jg. Edi Ritter legt beim Schwingen hohen Wert auf Traditionen. Er beharrt auch beim Training bei jedem Gang auf das Händeschütteln mit dem Blick in die Augen des Gegners, bevor es zur Sache geht, ebenso wie auf dem Abschütteln des Sägemehls vom Rücken des Unterlegenen danach. Als sich ein Tessiner Schnupper-Schwinger einmal weigerte, mit einem Mädchen zusammenzugreifen, war er bei «Edi» an der falschen Adresse. Er bemüht sich auch, dass im Keller der verschwindende Tessiner Dialekt und nicht die italienische Standardsprache gesprochen wird. Umgekehrt hinterfragt er den Sinn, den Siegern grosser Schwingfeste einen Muni oder ein Pferd als «Läbigpreis» abzugeben, zumal in den allermeisten Fällen der Festsieger den finanziellen Gegenwert vorzieht. Und als sich die Schwinger in den Schweizer Sportbetrieb integrierten, war Edi Ritter der erste Präsident der Antidoping-Kommission, bis dahin ein Tabuthema. Zudem ist er neben dem Läufelfinger Ferdinand Christen, Ruedi Handschin und Josef Krummenacher das vierte Baselbieter Ehrenmitglied des Eidgenössischen Verbands.

Der Signore des Schwingens

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