Virus, Fernsehen und fehlende Schrauben
22.04.2022 Eishockey, SportDer Läufelfinger Willi Vögtlin reist mit dem Pokal zum Final
Ganz gelassen und mit dem Meisterpokal im Gepäck könnte Willi Vögtlin den Play-off-Final im Eishockey zwischen Zug und Zürich geniessen. Doch die Gedanken des 65-jährigen Läufelfingers kreisen längst um die nächste ...
Der Läufelfinger Willi Vögtlin reist mit dem Pokal zum Final
Ganz gelassen und mit dem Meisterpokal im Gepäck könnte Willi Vögtlin den Play-off-Final im Eishockey zwischen Zug und Zürich geniessen. Doch die Gedanken des 65-jährigen Läufelfingers kreisen längst um die nächste Saison.
Jürg Gohl
Nur kurz kann sich Willi Vögtlin über das neue Eishockey-Stadion in Zürich freuen. Die ZSC Lions, die aktuell den Play-off-Final gegen Qualifikationsmeister Zug bestreiten, verlassen das legendäre Hallenstadion in Oerlikon und ziehen für die nächste Saison in den neuen Spielort namens «Swiss Life Arena» in Altstetten ein. Für den Oberbaselbieter, der seit Jahren den Spielplan für die oberste Spielklasse zusammenstellt, bedeutet das eine riesige Erleichterung: Die Heimspiele der Zürcher muss er dann nicht länger an den zahlreichen anderen Anlässen und Konzerten im Hallenstadion vorbeiorganisieren. Es bereitet ihm seit 27 Jahren regelmässig Kopfzerbrechen. So lange ist er schon für den Spielplan in der obersten Schweizer Liga zuständig.
Doch vor einem Monat kam aus Zürich die Kunde, welche die Basler Fasnächtler inspiriert, aber den Oberbaselbieter Spielplangestalter frustriert: Im Dach des neuen Stadions haben die Zürcher 18 000 Schrauben locker. Diese müssen allesamt ersetzt werden. Das erste Heimspiel wird erst am 19. November möglich sein, wenn die neue Meisterschaft bereits über zwei Monate alt ist.
Seit über einem Vierteljahrhundert muss Vögtlin beim Planen sogenannten Sperrdaten ausweichen. Für ihn bedeutet das, dass er 16 Prozent der Spiele «von Hand» planen muss, wie er es in einer Mischung von Oberbaselbieter und Berner Mundart ausdrückt. Willi Vögtlin ist in Läufelfingen aufgewachsen und hat in Sissach Eishockey gespielt, ehe er nach einer Rückenoperation jung zu den Schiedsrichtern wechselte.
Olympia- und WM-Finals
Im Zebra-Leibchen ging es rasant aufwärts. Er leitete an Olympischen Spielen (1988) und an A-Weltmeisterschaften (1989 und 1990) die Finals, arbitrierte am legendären Iswestija-Cup in Moskau und leitete neben vielen anderen internationalen Einsätzen 1989 zwei Spiele der NHL-Sowjet-Serie. Höher geht’s nicht. In der Schweiz war er für «heisse» Partien fix gebucht.
Inzwischen lebt er in Goldiwil bei Thun und betreibt in Kirchberg, mit seiner Frau Rita, einer Sissacherin, das Weinhaus Kirchberg. «Genau genommen erledigt sie das vor allem während der intensiven Play-off-Zeit mehr oder weniger alleine», gibt Vögtlin zu. Seine Aufgaben für die höchste Eishockey-Liga des Landes, die National League, lassen ihm kaum Zeit für anderes.
Denn weit mehr als die gewohnten Sperrdaten machten ihm in der vergangenen sowie in der noch laufenden Saison die Spielverschiebungen wegen Corona zu schaffen. In der Spielzeit 2020/21 mussten 96 Spiele neu angesetzt werden, in der Qualifikation 2021/22 kamen im dichten Spielplan erneut 28 Absagen hinzu. Diese forderten Vögtlin aus zwei Gründen weit mehr als das Umorganisieren im Jahr davor. Denn für ihn gelten zwei eiserne Regeln: Wegen der Zuschauer gilt für Doppelrunden immer «away/home» (oder umgekehrt), zweitens gibt es kein Spiel ohne Fernsehen.
Der erste Vorsatz trat im Vorjahr ausser Kraft, weil ohne Publikum gespielt wurde. «Da konnte ich heuen», sagt er. Aber in der zurückliegenden Qualifikation, als die Zuschauer wieder erschienen, galt die alte Regel wieder. Das Planen wurde zusätzlich erschwert, weil die Fernseh-Equipen im Frühling für längere Zeit an den Olympischen Winterspielen in Peking im Einsatz standen. Dass es neben dem OK der beiden Teams und des Fernsehens auch noch vier Schiedsrichter und dazu genügend Vorlaufzeit für den gastgebenden Verein benötigt, erwähnt Willi Vögtlin nur am Rand. So verpasste er in dieser Qualifikation tatsächlich das Ziel, dass alle 13 Mannschaften alle ihre 52 Partien bestreiten konnten. 4 der total 338 Spiele fehlten zum Happy End.
Pokal im Handgepäck
In dieser hektischen Phase zählte er gemäss «Blick» einmal 122 Anrufe innerhalb von zehn Stunden. Jeweils fünf Minuten bis zum nächsten Klingeln. «Du bist 24 Stunden dran, und plötzlich fällt dir im Bett eine Lösung ein», erzählt er. Nach 50 Jahren im Dienst des Eishockeys denkt er gleichwohl nicht ans Aufhören. Er weiss, dass die Vereine seine Arbeit sehr schätzen. Die Nachfolge ist bereits geregelt. Pascal, einer seiner beiden Söhne, steht ebenfalls im Dienst der National League und unterstützt ihn schon heute. Er könnte nahtlos übernehmen, «sollte ich unters Trämli geraten», sagt er.
Während des Play-off-Finals mit seinen fixen Daten könnte er sich im Stadion gelassen zurücklehnen und sich auf seinen zweite, weit weniger anstrengende Aufgabe in der Liga konzentrieren: Er führt den Meisterpokal mit und trägt ihn nach der Entscheidung in weissen Handschuhen aufs Eis. «Für mich ist das eher eine Pflicht als ein Dank für meine Planungsarbeit», relativiert er. Denn seine Gedanken drehen sich, wenn es auf dem Eis unten hart auf hart geht, längst um 18 000 Schrauben – und um den neuen Spielplan: 14 Mannschaften tragen 52 Qualifikationspartien aus. Das ergibt 364 Partien.
Junioren-WM in Basel?
jg. Basel hat Interesse daran, im April nächsten Jahres Hauptaustragungsort der Weltmeisterschaft der U18-Junioren zu sein. Das heisst: In der Basler St.-Jakob-Arena würden neben Gruppenspielen auch die Finalspiele ausgetragen. Im Hinblick darauf wurde an Ostern auch das Länderspiel der Schweiz gegen Frankreich in Basel ausgetragen. Allerdings muss die Kandidatur der Schweiz vom internationalen Verband am IIHF-Kongress im Mai in Helsinki noch bestätigt werden. Neben Basel haben sich Biel, Langnau, Porrentruy und Winterthur als Austragungsorte beworben. Als lokale Organisatoren stehen Bruno Schallberger und Peter Tschudin bereit, die bereits die WM 1998 in Basel aufgleisten. Sie wollen diese Herausforderung annehmen – gemeinsam mit Willi Vögtlin.