Frontex-Frage wird zum Schengen-Referendum
28.04.2022 SchweizEidgenössische Abstimmung über die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache
Die Stärkung von Frontex garantiere die Sicherheit und Freiheit der Schweiz. Werde die Vorlage an der Urne abgelehnt, bestehe die Gefahr, aus dem Schengen-Dublin-System zu ...
Eidgenössische Abstimmung über die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache
Die Stärkung von Frontex garantiere die Sicherheit und Freiheit der Schweiz. Werde die Vorlage an der Urne abgelehnt, bestehe die Gefahr, aus dem Schengen-Dublin-System zu fallen: Dieses Argument führt der Bundesrat für die Referendumsabstimmung vom 15. Mai ins Feld.
sda. Bundesrat Ueli Maurer (SVP) warnte beim Auftakt zum Abstimmungskampf, dass bei einem Nein zur Frontex-Vorlage die Schweiz aus dem Schengen-Raum verbannt würde. Das hätte gravierende Konsequenzen für die Kriminalitätsverhinderung und das Asylwesen.
Der Kern der Vorlage ist der Ausbau einer Reserve von 10 000 Einsatzkräften für flexible Einsätze der Europäischen Agentur für die Grenzund Küstenwache (Frontex) an den Aussengrenzen der 23 Schengen-Staaten. Die Schweiz soll 40 speziell ausgebildete Grenzbeamte beisteuern. Zum Zweiten geht es laut Bundesrat um Rückschaffungen. Mit der Frontex-Weiterentwicklung würde erreicht, dass Ausreisepflichtige nicht einfach im Schengen-Raum untertauchen. Und drittens verbessere sich der Schutz der Grundrechte, unter anderem durch das Verhindern von illegalen Abweisungen von Asylsuchenden. Das korrekte Verhalten der Frontex-Beamten werde künftig von 40 internationalen Beobachtern kontrolliert. Die Frontex war in der Vergangenheit mehrfach wegen sogenannter «Pushbacks» (illegales Zurückdrängen von Migranten von den Grenzen ihres Ziel- oder Transitlandes) in die Schlagzeilen geraten.
Maurer räumte Skandale und Fehler bei der Frontex ein. Mit einem Ja zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands könne die Schweiz aber mitbestimmen und sich für ihre Werte einsetzen. Zudem hob Maurer die Relevanz des Schengen-Systems für den Tourismus hervor.
Durch die Teilnahme am Schengen-Raum brauche es nur noch ein Schengen-Visum. Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) warnte vor den Konsequenzen eines Neins: Die Kriminalitätsbekämpfung und das Management des Asylwesens würden schwer beeinträchtigt. Die Schweiz müsse das EU-Recht im Schengen-Raum dynamisch übernehmen, sonst könne sie nicht mehr am Schengen- und Dublin-System teilnehmen.
Die Schweiz stelle täglich 300 000 Anfragen an das Schengen-Informationssystem. Dieses System habe die Polizeiarbeit revolutioniert. Die Reisefreiheit im Schengen-Raum sei nicht mehr wegzudenken, unter 30-Jährige könnten sich kaum mehr an Grenzkontrollen erinnern.
Keller-Sutter sagte weiter, Frontex helfe bei der Ausschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden. Die Schweiz beteilige sich an Sammelflügen dieser Behörde. Dass Frontex die «Festung Europa» schütze, liess die Bundesrätin nicht gelten. Gerade im Ukraine-Krieg zeige sich, dass die europäischen Länder bereit seien, in Notlagen Flüchtlinge aufzunehmen.
Höherer Schweizer Beitrag
Das Parlament hatte den Nachvollzug der Änderung des Gesetzes für Frontex im Herbst gutgeheissen und den jährlichen Beitrag von aktuell 24 Millionen Franken bis zum Jahr 2027 auf 61 Millionen aufgestockt. Nach der Verabschiedung durch das Parlament ebbte der Widerstand gegen die Vorlage nicht ab. Mitte Januar wurden über 62 000 Unterschriften für ein Referendum eingereicht. Deshalb hat das Volk das letzte Wort.
Das Wichtigste zu Frontex
sda. Am 15. Mai entscheiden die Stimmberechtigten in der Schweiz über den erhöhten Schweizer Beitrag an die EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Nachfolgend das Wichtigste zur Vorlage:
Die Ausgangslage: Die Schweiz arbeitet seit 2011 mit der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex zusammen; diese wurde 2004 gegründet. Im Durchschnitt leisten Mitarbeitende des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) jährlich rund 1400 Einsatztage für Frontex. Die Schweiz beteiligte sich bisher hauptsächlich an Einsätzen in Griechenland, Italien, Bulgarien, Spanien und Kroatien. Schweizer Experten arbeiten vorwiegend als Befrager, Dokumentenspezialisten, Hundeführer oder Beobachter.
Das bringt die Vorlage: Die EU rüstet Frontex seit 2016 mit mehr Personal und technischer Ausrüstung auf, damit die Agentur ihre Aufgaben im Grenz- und Rückkehrbereich besser wahrnehmen kann. An diesem Ausbau muss sich auch die Schweiz beteiligen, weil es sich um eine Schengen-Weiterentwicklung handelt. Der finanzielle Beitrag der Schweiz steigt deshalb von ursprünglich 14 auf rund 61 Millionen Franken pro Jahr bis 2027. Zudem soll die Schweiz Frontex auch mehr Personal zur Verfügung stellen. In der Herbstsession 2021 bewilligte das Parlament die Aufstockung des Beitrags. Die Schlussabstimmung im Nationalrat fiel mit 88 zu 80 Stimmen bei 28 Enthaltungen knapp aus. Die Nein-Stimmen kamen von der SP-, Grünen- und vereinzelt von der SVP-Fraktion. Zahlreiche weitere SVP-Vertreterinnen und -Vertreter enthielten sich der Stimme. Im Ständerat wurde das stärkere Schweizer Engagement mit 30 zu 14 Stimmen gutgeheissen.
Das sagen die Befürworter: Für sie steht fest: Frontex ist wichtig für die Kontrolle der Aussengrenzen und die Sicherheit im Schengen-Raum. Das liege auch im Interesse der Schweiz. Mit ihrer Teilnahme an Frontex übernehme sie Verantwortung und gestalte mit. Bei einem Nein riskiere die Schweiz ihren Ausschluss aus Schengen/Dublin, warnt der Bundesrat – es sei denn, die EU-Staaten und die EU-Kommission kommen der Schweiz entgegen.
Das sagen die Gegner: Das Referendum gegen den Parlamentsentscheid ergriff das «Migrant Solidarity Network», ein Aktivistennetzwerk, das nach eigenen Angaben die Stimme von Flüchtlingen auf politischer Ebene besser zur Geltung bringen will. Eine Allianz von Basiskollektiven, linken Organisationen, Parteien und Kirchen warnt vor dem höheren Beitrag an Frontex. Sie befürchten, dass mit dem zusätzlichen Geld die europäischen Aussengrenzen noch stärker abgeschottet und europaweit Sonderflüge für Zwangsausschaffungen beschleunigt würden. Frontex spiele eine zentrale Rolle bei der «Entwürdigung von Flüchtlingen durch Abschiebungen», halten sie fest.