Es gibt sie noch, die Waffenläufe
28.04.2022 SportTraditionssportart hat sich hochgerappelt, seine Überlebenschance ist trotzdem gering
Der Waffenlauf hat sein Tief der vergangenen Jahre überwunden. Zum «harten Kern» von gut 100 Läufern gehören auch wenige Baselbieter, darunter Kurt Vogt aus Bretzwil und ...
Traditionssportart hat sich hochgerappelt, seine Überlebenschance ist trotzdem gering
Der Waffenlauf hat sein Tief der vergangenen Jahre überwunden. Zum «harten Kern» von gut 100 Läufern gehören auch wenige Baselbieter, darunter Kurt Vogt aus Bretzwil und Marcel Amport aus Bubendorf. Trotzdem ist sich Amport sicher: «Der Waffenlauf wird nicht überleben.»
Willi Wenger
Kurt Vogt aus Bretzwil und Marcel Amport aus Bubendorf bestreiten Waffenläufe, die immer noch regelmässig in der ganzen Schweiz stattfinden. Dies dokumentiert der aktuelle Jahreskalender: Zur Schweizermeisterschaft zählen elf Veranstaltungen. Fünf davon finden in der Hochburg des Waffenlaufs, im Kanton Aargau, statt; davon einer im fricktalerischen Kaisten.
Dennoch: Die Waffenläufe haben in der Vergangenheit gelitten. Sie sind mit jenen vor drei bis vier Jahrzehnten nicht mehr zu vergleichen. Waren damals in der Regel zwischen 500 und 1000 Teilnehmer am Start, schultern aktuell noch gut 100 Läuferinnen und Läufer pro Wettkampf die 6,2-Kilogramm-Packung, um ein Erlebnis der besonderen Art zu geniessen. Waffenlauf-Präsident Urs Vogel nennt Faktoren, welche die Läufer noch heute zu einer Teilnahme bewegen: «Die Kollegialität und die Wertschätzung der Leistung jedes Einzelnen werden grossgeschrieben», sagt der Rheinfelder, der seit dreissig Jahren fast alle Waffenläufe bestritten hat.
Vogt vorsichtig optimistisch
Ähnlich äussern sich auch die beiden Oberbaselbieter Amport und Vogt. Vogt, der 1988 am «Toggenburger» debütierte und unlängst in Wiedlisbach seinen 101. Waffenlauf bestritt, sagt, dass die Szene mit einer Familie zu vergleichen sei. «Es ist für mich ein richtig ‹geiler› Sport», sagt der 58-jährige Bretzwiler, der seit mehr als 1000 Wochen bei der Gemeinde Lauwil als Wegmacher, als «Mädchen für alles», wie er sagt, tätig ist. Er habe vor, noch lange dabeizubleiben. «Jedenfalls solange es meine Gesundheit erlaubt und solange es die Waffenläufe noch gibt.»
Vogt, der ab 1995 als Waffenläufer pausierte, ist seit 2013 wieder voll dabei. Er gibt sich optimistisch, dass der Waffenlauf überleben wird. «In den vergangenen zehn Jahren habe ich gesehen, was mir der Waffenlauf bringt. Ich bin nach wie vor fasziniert vom Wehrsport. Das war schon so, als ich in den 1990er-Jahren Armee- und Divisionsmeisterschaften bestritt.»
Amport eher kritisch
Eher kritisch beurteilt der 69-jährige Amport die Situation der Sportart: «Der Waffenlauf wird nicht überleben», ist der ehemalige Metallbaumeister und Wachtmeister der Armee überzeugt. Zwar sei die Kameradschaft super und nicht vergleichbar mit jener an zivilen Läufen, «aber das wird nicht reichen». Der Bubendörfer geht dabei auch mit der Armee hart ins Gericht. In Bezug auf die ausserdienstlichen Tätigkeiten habe sie den Auftrag nicht erfüllt. Der Support fehle heute ohne Wenn und Aber.
Amport sagt weiter, dass die wenigen «Chrampfer» im Vorstand des Waffenlauf-Vereins Schweiz auch schon weit im Seniorenalter seien. «Und der Nachwuchs ist ganz einfach nicht vorhanden, auch aufgrund der zahlreichen Armee-Reformen.»
Amport, der wie Vogt Dutzende Meisterschaften bestritten hat, bezeichnet den 4-Tage-Marsch in den Niederlanden als seinen grössten Erfolg. «Ich habe diesen 28 Mal bestritten und werde noch zweimal starten. Mit dem 30. Start wird für mich dann Schluss sein.»
Amport und Vogt haben vieles gemeinsam. So trainieren sie unter der Woche kaum. «Unser Training sind die Läufe», sagen beide, wenngleich Vogt ergänzt, dass seine täglichen Velofahrten zur Arbeit von Bretzwil nach Lauwil auch Training seien. Es habe letztlich immer so gepasst, das Ziel zu erreichen. Auch an bedeutenden zivilen Läufen, beispielsweise am legendären 100-Kilometer-Lauf von Biel. Amport erreichte dort zehnmal das Ziel, Vogt bestand diese Prüfung bisher einmal.
Der «Frauenfelder» hat überlebt
Vor 30 bis 40 Jahren waren nicht nur die Teilnehmerzahlen anders. Auch beim Tenü, den Schuhen, bei den Waffenläufen selbst gab es Änderungen. Von den einstigen Veranstaltungen gibt es nur noch den Frauenfelder Militärwettmarsch, der seit 1934 stattfindet. Dieser ist der Saisonhöhepunkt, was sich am Teilnehmerfeld zeigt. «Starten in der Regel rund 100 Männer und Frauen, sind es in der Thurgauer Hauptstadt doch noch mehr als 250», sagt Vogel. Er ergänzt, in Frauenfeld gehöre es zur Tradition, dass ausländische Armee-Delegationen diesen Marathon unter die Füsse nehmen.
Schliesslich sagt der einstige Fourier, es sei früher «völlig normal» gewesen, dass im «Sport am Wochenende» des Schweizer Fernsehens regelmässig über den Waffenlauf-Sport berichtet wurde.
Desinteresse erkennbar
Von den heutigen elf Meisterschaftsläufen sind zehn Nachfolgeveranstaltungen der einstigen Grossen. Diese sind seit rund 15 Jahren verschwunden oder «eingegangen», wie das im Laufsport gerne genannt wird. Dieser sei grundsätzlich nicht mehr so populär, kommentiert der 69-jährige Vogel. Auch zivile Läufe hätten Probleme, sei doch die Konkurrenz von einschlägigen Sportarten wie etwa Mountainbike, Duathlon oder Triathlon gross. Und bei den Waffenläufen schlage der Wandel der Armee mit zahlreichen Reformen inklusive des geltenden Waffenrechts durch. Das Herabsetzen des Dienstalters auf gut 30 Jahre sei auch nicht förderlich gewesen.
Zentral bei der Entwicklung von mehr als 9000 Teilnahmen pro Jahr in den 1980er-Jahren auf heute noch 1600 seien zudem das generelle Desinteresse am Wehrsport sowie das fraglos sehr breite Angebot von anderen Ausdauersportarten. Schliesslich stören sich gemäss Amport viele Athleten an den «zum Teil überrissenen» Startgeldern sowie den hohen Nachmeldegebühren. Auch dies trage zum Rückgang bei.
Den Rückgang freilich wenigstens etwas gebremst habe der sogenannte Hunderterverein. Es sei, so Amport, für manchen älteren Läufer eine Motivation, noch in diesen Klub aufgenommen zu werden, den der Basler Oberleutnant Ernst Flunser 1966 gegründet hat.
Der Waffenlauf-Verein Schweiz, der beim Verteidigungsdepartement (VBS) in Bern die Interessen der Szene vertritt, muss heuer im Speziellen die geltenden Bestimmungen des VBS durchsetzen. Mit dem Tarnanzug (TAZ) 90 dürfen nur noch Angehörige der Armee (AdA) und ehemalige AdAs starten. Nichtangehörige der Armee müssen im TAZ 83 starten. Dies sei aber zu bewältigen, relativiert Vogel dieses «nicht vorhandene Problem». Ebenfalls keine Sache sei es, das Waffengesetz strikt zu befolgen. «Mir ist jedenfalls kein Missbrauch bekannt», blickt Vogel zurück.
Die dieses Jahr noch anstehenden Schweizermeisterschaftsläufe: Domleschger Waffenlauf (1. Mai), Lenzburger Waffenlauf (21. Mai), Sprint-Waffenlauf Wohlen (5. Juni), Fricktaler Waffenlauf Kaisten (3. Juli), Murianer Waffenlauf (3. September), Herdener Waffenlauf (17. September), 5-Schlösser-Lauf Holderbank (24. September), Burgdorfer Waffenlauf (22. Oktober), Niederbipper Waffenlauf (6. November), Frauenfelder Militärwettmarsch (20. November)
Schwestern Vogt und Sprenger
en. Patricia Vogt (1994) aus Lausen, Michelle Vogt (1995) aus Bretzwil und Daniela Sprenger (1978) aus Häfelfingen sind gelegentlich an Waffenläufen unterwegs. Dies mit ordentlichem Erfolg. Sprenger klassierte sich unlängst in Wiedlisbach als Zweite in der Frauenklasse 20. Michelle Vogt wurde gleichentags 8., Schwester Patricia 10. Die «Vogt-Frauen», Töchter von Kurt Vogt, bestreiten seit einigen Jahren gelegentlich Waffenläufe aus Plausch. Sprenger ist da ambitionierter. Im vergangenen Jahr belegte sie den 1. Rang in ihrer Altersklasse in Niederbipp.
Georges Thüring, die Legende
en. In der Geschichte des Waffenlaufs haben hiesige Wehrmänner immer wieder gute bis sehr gute Erfolge erzielt. Legendär für den Kanton ist der ehemalige Landrat, ehemalige Gemeindepräsident von Grellingen und Präsident des Verbandes Basellandschaftlicher Bürgergemeinden, Georges Thüring. Er holte national, regional und kantonal Siege, so ab Mitte der 1960er-Jahre bis in die frühen 1980er-Jahre, als er als Waffenläufer acht Tagessiege errang. Am eindrücklichsten sind seine vier Tagessiege am Hans-Roth-Waffenlauf in Wiedlisbach oder sein Triumph am Frauenfelder Militärwettmarsch 1979, mit dem er seine grosse Waffenlauf-Karriere abschloss. Und: Er war zu jener Zeit dreimal Mannschaftssieger mit der Nati am internationalen Waffenlauf des CIMM (Comité international pour concours de marches militaires) um den römischen Legionsadler 1972, 1973 und 1975 in Deutschland. 1980 triumphierte Thüring am Bieler Hunderter in seiner Altersklasse in 7:16,23 Stunden und wurde Gesamtzweiter.