200 Jahre voll im Schuss – die Sissacher dürfen jubilieren
14.04.2022 SportSchiessen | Die Schützengesellschaft feiert heute einen runden Geburtstag
Genau heute vor 200 Jahren wurde die Schützengesellschaft Sissach gegründet. Seither gab es verschiedene Abspaltungen, Neugründungen und Fusionen, bis die Vereine 2006 eine ...
Schiessen | Die Schützengesellschaft feiert heute einen runden Geburtstag
Genau heute vor 200 Jahren wurde die Schützengesellschaft Sissach gegründet. Seither gab es verschiedene Abspaltungen, Neugründungen und Fusionen, bis die Vereine 2006 eine gemeinsame Zukunft beschlossen.
Ueli Oberli
Heute kann die «Schützengesellschaft Sissach 1822» Geburtstag feiern. Vor 200 Jahren, am 14. April, wurde die 23 Artikel zählende Schützenordnung, so etwas wie ein «Grundgesetz», von 19 Mitgliedern beschlossen und unterzeichnet. Die Schützengesellschaft war damit gegründet. Das Gesuch für diese Gründung wurde am 18. Februar an die zuständigen Behörden eingereicht.
Bereits am 24.Februar erteilte «der E-E. und wohlweise Rath MHGaHH» (Meine Hochgeachteten Herren) einigen Bürgern von Sissach die Bewilligung, eine Schützengesellschaft zu gründen. Das war vermutlich so rasch nur möglich, weil die «damahls sich vorgefundenen Zihlschützen der Anfang zu einer Schützen Gesellschaft gemacht und bey einem E. u. Wohl Weisen Rath die Bewilligung dazu ausgewirkt», das heisst vorbesprochen haben.
Die Schiesskunst wurde gepflegt, lange bevor es in Sissach die erste Schützengesellschaft gab. Grundlage dafür war die Schützenordnung von 1600, erneuert am 30. Mai 1711. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand auf der Kleinen Allmend «ein Standhäuslein, das an den Schopf beim Schützenhaus angebracht ist, und ein Zeigerhäuslein, das dem Einsturz nahe war, abgebrochen und neuerbaut und mit Ziegeln bedeckt worden ist». Auf dem hiesigen Schiessplatz mussten sich auch die Schützen der Gemeinden Böckten, Zunzgen und Itingen einfinden.
Die Standschützengesellschaft
1841 fasste die Gesellschaft den schweren Beschluss, auf der Allmend vor der Schützenmatt ein neues Schützenhaus zu erbauen. Die Ansprache bei der Einweihung von Hauptmann Gerster, dem Müller, gipfelte in folgendem Satz: «Möge dieses Schützenhaus eine Pflanzstätte treuer Bürger und entschlossener Verteidiger des Vaterlandes werden.»
Die Einführung der weittragenden kleinkalibrigen Waffe mit erhöhter Durchschlagskraft ihrer Geschosse zwang die alten Sissacher Schützen zur Aufgabe ihrer heimeligen Schiessstätte auf der Kleinen Allmend. Die Frage des neuen Schiessplatzes war lange Zeit heiss umstritten, niemand wollte aus Furcht vor dem Schiessen das nötige Land abtreten. Im Gebiet Eichhölzli/Letten konnte dann der neue Schiessplatz erstellt werden. Dieser hatte aber bei den Schützen aus dem ganzen Kanton einen schlechten Ruf. Das Schützenhaus war als Holzkonstruktion auf Stelzen gebaut und wackelte ständig.
Die Feldschützengesellschaft
Mit der Einführung der neuen Waffen in den 1860er-Jahren gab es unter den Mitgliedern der Schützengesellschaft Unstimmigkeiten. Die Waffen waren leichter, präziser und den Stutzern, den Jagdgewehren mit kurzem Lauf, ebenbürtig oder sogar überlegen. Die Schützen haben sich getrennt und es wurde ein Verein unter dem Namen «Feldschützen» gegründet. Dieser löste sich aber 1869 wieder auf. Am 1. Juli 1871 kam es dann zur Gründung der Feldschützengesellschaft. Der neue Verein hat vom aufgelösten Verein eine Fahne mit Jahrgang 1865 und ein Signalhorn für 17 Franken übernommen. Zur besseren Unterscheidung änderte die Schützengesellschaft in den Siebzigerjahren ihren Namen offiziell in «Standschützengesellschaft».
Die Stand- und die Feldschützen erwarben nach 1900 im «Sagenacker» klammheimlich rund zwei Hektaren Land und erstellten 1902 die neue Schiessanlage mit 16 Scheiben. Zusammen mit dem später erstellten Schützenhaus der Freischützen stand für Jahrzehnte eine moderne und grosszügige Anlage zur Verfügung. Wegen des Baus der Autobahn musste jedoch die Anlage weichen, das gemeinsame «Endefeuer im Sagenacker» war am 31. August 1968.
Die Ausmärsche gehörten seit der Gründung neben Endschiessen und Jahresprogramm zu den beliebtesten Veranstaltungen der Feldschützengesellschaft. Und da wurde tüchtig marschiert. So etwa 1878 nach Bad Ramsach. Um 3.30 Uhr morgens machte der Tambour Tagwache. Noch 1905 zogen die Schützen um 6 Uhr morgens nach Bad Lostorf. Von Anfang an war die «Nebenhöflermusik» und später der Musikverein mit dabei.
Nach dem Marsch auf einen Schiessplatz irgendwo in der näheren Umgebung massen sich die Schützen und Musikantinnen respektive Musikanten untereinander in friedlichem Wettkampf. Ein Konzert im besuchten Dorf durfte nicht fehlen. Als gemeinsames Essen gab es seit mehr als 130 Jahren das Einheitsmenü «Rippli mit Chrut».
Für die Ausmärsche wurde die Montur von der Militärdirektion vorgeschrieben, so 1872 mit blauer Hose, grauer Bluse und Patronentaschen. Später wurde neben weisser Bluse der Gurt vorgeschrieben und 1891 fiel der Tenüzwang.
Freischützengesellschaft – Grütlischützen
1838 wurde in Genf der «Schweizerische Grütliverein» gegründet. Ursprünglich als Diskussionsverein für Handwerksgesellen gedacht, spielte der «Grütliverein» eine wichtige Rolle in der Schweizer Arbeiterbewegung. Ein Ableger war auch in Sissach aktiv. Gemäss Protokoll der Sitzung vom 23. März 1888 wurden die Statuten genehmigt und der erste Vorstand gewählt.
Am Jahresende bestand der «Grütlischiessverein» aus 13 Mitgliedern, 6 davon oder fast die Hälfte waren «abtrünnige» Feldschützen. Wiederum vier der sechs waren im ersten Jahr im Vorstand. Der neue Verein war somit vermutlich wieder eine Abspaltung wie 1871 von der Schützengesellschaft, diesmal jedoch von der Feldschützengesellschaft.
Sehr komplizierte Regelungen in den Statuten brachten schon in den ersten Jahren Probleme bei der Zusammensetzung des Vorstands. Eine grosse Statutenrevision erfolgte an der Generalversammlung am 31. Oktober 1892. In §16 erklärt sich der Verein ganz unabhängig vom politischen Verein. Damit traten die Schützen aus dem «Grütliverein» aus und änderten den Namen in «Freischützengesellschaft Sissach».
Im Jahr 1923 erschien ein neuer, vierter Schützenverein auf der Landkarte, der Freischützenbund. Den Kern dieses Vereins bilden vermutlich die zehn Schützen, die in diesem Jahr die Freischützen verlassen haben. Somit erfolgte wieder eine Abspaltung, diesmal von den Freischützen. An der Vereinssitzung vom 29. Januar 1944 fusionieren die Freischützengesellschaft und der Freischützenbund. Damit nicht noch einmal ein vierter Verein entstehen konnte, verpflichteten sich die Freischützen vor dem Bau der Schiessanlage Limperg, die Kategorie der «Mussschützen» beizubehalten, also Wehrpflichtige, die zu Schiessübungen verpflichtet waren. Dieser Entscheid war wegen der Raumaufteilung für die Planung wichtig und ein Meilenstein in der Zusammenarbeit.
Die Freischützen absolvierten ihre Schiessübungen in den 1890er-Jahren mehrheitlich auf dem Schiessplatz der Feldschützen hinter dem Bahnhof. 1902 erhielt die Gesellschaft von den Feldschützen die Offerte, diesen Schiessplatz zu übernehmen oder den neuen Stand im «Sagenacker» gemeinsam zu benutzen oder sich eventuell sogar zu vereinen. Alle Offerten wurden abgelehnt und es wurde wieder im «Alpbad» geschossen, bis dieser Stand zerfiel. Zusammen mit der Gemeinde wurde die Schiessanlage im «Sagenacker» 1911 um acht Scheiben erweitert.
Pistolenklub
Das Protokollbuch des Pistolenklubs beginnt 1908 mit einem Vorbericht zur Situation des Pistolenschiessens im Vorfeld der Gründung, der auszugsweise wortwörtlich lautet:
In der Schweiz, selbst in unserem Kanton existieren eine grosse Anzahl diesbezl. Clubs, und gestützt hierauf wurde im Schosse unseres Vereins öfter die Frage betr. Pflege des Pistolenschiessens aufgeworfen. Der Vorstand der Feldschützengesellschaft prüfte diese Frage & beschloss, falls sich genügend Teilnehmer zur Gründung eines diesbezl. Club’s zeigen, die nötigen Anordnungen hiezu zu treffen.
Da nun ein Zustandekommen eines solchen Club’s immer mehr der Möglichkeit entgegenging, wurde an Amb. Oberer & Paul Meier der Auftrag erteilt, ein Cirkular zur Gründung dieses Clubs aufzustellen und bei den Mitgliedern der Feldschützengesellschaft cirkulieren zu lassen. … Die diesbezl. Sitzung wurde auf Sonntag, den 23. Februar 1908 im «Bären» angeordnet, wo die betr. Traktanden, resp. alles Weitere zur Verhandlung gelangte.
Die Versammlung leitete der Präsident der Feldschützengesellschaft, Gotthold Widmer. Auf seinen Antrag, es sei ein Pistolenklub zu gründen, machte sich keine gegenteilige Meinung geltend, sodass die Gründung als beschlossen betrachtet wurde. Die Statuten wurden an der Vereinssitzung vom 31. März 1908 genehmigt. §1 lautet: «Der Pistolenclub der Feldschützengesellschaft Sissach bezweckt, den Pistolen- & Revolvertragenden Militärs und den Liebhabern des Pistolen- & Revolverschiessens Gelegenheit zur Einübung im sichern Gebrauch der Handfeuerwaffe zu bieten.»
Ende 1913 kam von den Standschützen der Vorschlag, die Pistolenschützen der beiden Gesellschaften sollten sich zusammentun und den bestehenden Stand der Standschützen benutzen.
Um die Sache nicht auf die lange Bank zu schieben schlägt Wirz vor auf die Anregung des Herrn Tschudi einzugehen u. einige Mitglieder zu bestimmen die mit den Standschützen in Unterhandlungen treten sollen.
An der Sitzung vom 6. März 1915 wurde den anwesenden 11 Mitgliedern die Totalrevision der Statuten und ein Mietvertrag betreffend den Pistolenstand der Standschützen vorgelegt. In der Schlussabstimmung wurden die Statuten einstimmig genehmigt. Der Name lautete neu nur noch «Pistolenklub Sissach» und die Bestimmung, dass nur Mitglieder der Feldschützen beitreten können, wurde gestrichen. Somit gilt der 6. März 1915 als Gründungsdatum des Pistolenklubs.
Sportschützen
Die Tradition des Kleinkaliberschiessens hat in Sissach eine lange Tradition. Ein Flobertklub mit eigenem Stand hat schon 1908 existiert. 1950 fand in Sissach ein Kantonales Kleinkaliberschützenfest statt. Das Fest ging finanziell in die Hosen, auch wegen der notwendigen teuren Bauarbeiten. Als Zeitzeuge steht heute noch im «Himmelrain» auf Zunzger Boden an der Grenze zu Sissach der Scheibenstand einsam und verlassen im Feld.
Mitte der 70er-Jahre kränkelten die Sportschützen Känerkinden und wollten den Schiessbetrieb auf Ende 1977 einstellen. Einige Sissacher Schützen haben bereits einen Kleinkaliber-Stutzer angeschafft und im «Limperg» wurden beim Bau im Pistolenstand auf zwölf Scheiben die Läger zum Kleinkaliberschiessen eingerichtet.
Vorabklärungen führten zur Gründungsversammlung am 6. Mai 1977 im «Löwen» in Sissach. Insgesamt 12 A-Mitglieder, 11 B-Mitglieder und 1 Passivmitglied trugen sich in der Mitgliederliste ein, worauf Tagespräsident Karl Degen die Gründung der Sportschützen als vollzogen bekannt gab.
Zur Sicherung der Finanzen wurde das Herbstmärtschiessen durchgeführt, erstmals 1980, letztmals 2002. Der Anlass wurde zu einem grossen Erfolg. Mit Erfolg nahm der Verein auch an vielen Anlässen der Nachbarsektionen, an vielen Verbandsanlässen, kantonalen Festen und auch an vielen Anlässen im Ausland teil. Bereits am Familienabend im November 1980 wurde die Standarte eingeweiht. Patensektion waren die Pistolenschützen Sissach.
Der Verein war äusserst erfolgreich. Regelmässig figurieren im Tätigkeitsprogramm die Gruppenmeisterschaft, die Mannschaftsmeisterschaft und der Grenzlandcup. Ein «Kantonales» findet man auch praktisch jährlich. Dazu kommt der Besuch von bis zu 25 Schiessanlässen in der näheren und weiteren Umgebung. 2002 wurde zum 25-jährigen Bestehen eine Vereinsreise in die Ostschweiz durchgeführt und den Mitgliedern wie auch den Begleitpersonen durch den Verein offeriert.
Schützengesellschaft Sissach 1822
Am 28. Januar 2006 wurde durch den Zusammenschluss der bisherigen Vereine die «Schützengesellschaft Sissach 1822» gegründet. In seiner Begrüssung stellte Ruedi Schaffner als Tagespräsident die Frage: «Was heisst denn Gründungsversammlung?» Er gab sich und allen anwesenden Schützinnen und Schützen die Antwort gleich selber:
«Wenn wir am Schluss dieser Versammlung den Saal verlassen, so ist das Vereinsgebilde der Sissacher Schützen wieder eine Einheit wie 1822. Dieser Schritt zurück zu den Wurzeln – von fünf an und für sich gesunden und lebensfähigen Vereinen – geschieht nicht zuletzt auf Grund der geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Wohlstand hat den Gemeinschaftssinn arg in den Hintergrund gedrängt, es wird immer schwieriger, Menschen für die ‹Freiwilligenarbeit› – auch für Vereinsvorstände – zu finden.
Unsere Armee hatte vor nicht allzu langer Zeit noch 600 000 Angehörige – jetzt ist wohl das Fortbestehen der ‹Obligatorischen Übung› nur noch eine Frage von wenigen Jahren. Die Schiessanlagen im Besitz der Gemeinden – und noch mehr die Unterstützung des Gemeinwesens an diese – werden wohl bald in Frage gestellt.
Somit haben die Sissacher Schützen nicht einen Rückschritt gemacht, sondern agiert und weitsichtig die Zukunft geplant – bei einem späteren Reagieren könnte es für viele Opportunitäten zu spät sein. Wir läuten also am heutigen Tag die Zukunft ein».
Ueli Oberli ist Ehrenmitglied der «Schützengesellschaft Sissach 1822».