Zwischen Corona-Tests und Therapieliegen
18.02.2022 Buus, SportLuana Güntert
Grosse und kleine Halfpipes, Sprungschanzen, flache und steile Skipisten, Eishallen und Eiskanäle. Athletinnen und Athleten aus aller Welt, aus grossen Ländern wie Deutschland oder Kanada, aber auch aus kleinen Ländern wie den Amerikanischen ...
Luana Güntert
Grosse und kleine Halfpipes, Sprungschanzen, flache und steile Skipisten, Eishallen und Eiskanäle. Athletinnen und Athleten aus aller Welt, aus grossen Ländern wie Deutschland oder Kanada, aber auch aus kleinen Ländern wie den Amerikanischen Jungferninseln, Osttimor oder Andorra. Seit dem 4. Februar sind praktisch den ganzen Tag am Fernseher die Olympischen Winterspiele in Peking zu sehen. Mit dabei und doch immer im Hintergrund: ein Oberbaselbieter. Felix Zimmermann aus Buus begleitet die Schweizer Bobdelegation als Physiotherapeut.
Viele Medien berichteten im Vorfeld der Spiele über die mühsame Einreise nach China. Bilder von mit Fiebermessern «bewaffneten» Stewardessen und Flughafenangestellten in Ganzkörperanzügen, Schutzbrillen und Gummistiefeln gingen um die Welt. Doch ist die Einreise nach China wirklich so schlimm?
«Dieses Flughafenpersonal in Peking hat auf mich einen surrealen Eindruck gemacht. Es wirkte sehr futuristisch, da man das in der Schweiz so nicht kennt», sagt Felix Zimmermann am Telefon. Trotzdem fand er die Reise nicht schlimm, da er sich das Reisen gewohnt ist und mit den Schweizer Bobfahrern bereits im Oktober ein erstes Mal nach China geflogen war, um die Bahn zu besichtigen und Trainingsläufe zu absolvieren. Die vielen Informationen vom Verband im Voraus halfen, dass sich alle gut darauf einstellen konnten. «Trotz des etwas verstörenden ersten Eindrucks in China lief alles reibungslos ab, es gab nur kurze Wartezeiten, und die Abläufe am Flughafen waren super organisiert», sagt er.
Militärkarriere
Zu seinem Job bei Swiss Sliding, dem Schweizer Dachverband für Bob, Rodeln, Skeleton und Hornschlitten, kam der 48-Jährige über das Militär. «Das ist eine lustige, etwas komplizierte Geschichte», sagt er. Er arbeitete damals als Physiotherapeut in der Merian-Iselin-Klinik in Basel und absolvierte im Militär die Offiziersschule. Als Grenadier Oberleutnant wurde er vor zwölf Jahren von einem befreundeten Ski-Athleten angefragt, ob er nicht als Trainer bei Swiss Ski, dem Schweizer Dachverband der Skifahrer, mitwirken möchte. So rutschte er damals in die Skiszene hinein. Bald behandelte und trainierte er als Physiotherapeut neben Spitzenskifahrern auch einige Schwinger, unter anderem den erfolgreichen und kürzlich zurückgetretenen Nordwestschweizer Schwinger David Schmid aus Wittnau.
Ein Arbeitskollege von Zimmermann hatte den Bobverband unter sich und fragte ihn ein paar Jahre später, ob er nicht Lust hätte, etwas Bobluft zu schnuppern. «Mir hat es sofort den Ärmel reingezogen», sagt er. Ihn fasziniert die Kombination aus Kraft, Schnellkraft, Material und Technik. Also wechselte er damals die Sportart und begleitet seither die Bob-Athleten im Weltcup und ist ebenso im Nordwestschweizer Schwingerverband engagiert. Seinen obligatorischen Militärdienst hat er beendet, doch aufgrund der freiwilligen Dienstverlängerung im Spitzensportbereich ist es ihm möglich, seiner Aufgabe als Physiotherapeut bei Swiss Sliding immer noch nachzukommen. Geschäftlich gesehen ist dieser Status ideal für alle Beteiligten, denn so ist sein Lohnausfall der Erwerbsersatzordnung unterstellt.
Verbrennungsgefahr
Auch privat durfte er den Arbeitgeber wechseln. Nachdem er die Merian-Iselin-Klinik verlassen hat, arbeitete er ein paar Jahre in der Rennbahnklinik. 2015 war er Mitgründer der Altius-Klinik in Rheinfelden und ist nun Leiter der Physiotherapie sowie der Leistungsdiagnostik und Biomechanik. Da diese Klinik auf Sportmedizin spezialisiert ist, profitieren auch die Bobfahrer. «Die Verletzungen im Bobsport sind jenen in der Leichtathletik sehr ähnlich, also oft durch Beschleunigung ausgelöst», sagt er. Zerrungen an den Waden und am hinteren Oberschenkel oder Muskelfaserrisse am Oberschenkel sind am häufigsten. Trotzdem gibt es auch ganz typische Bob-Verletzungen: «Hautverbrennungen kommen leider auch vor, wenn die Athleten im Eiskanal stürzen und nicht gut geschützt sind.» Er betont auch die Gefährlichkeit von Stürzen mit ungenügendem Schutz, die sehr unschön enden können, da die Schlitten mit über 100 km/h den Eiskanal hinunterdonnern.
Vielfältige Speisen
Sein Tagesablauf in China sieht immer anders aus. «Wir haben die Bobbahn zu unterschiedlichen Uhrzeiten für Trainingsläufe zur Verfügung», sagt er. Wenn das Bahntraining zum Beispiel am Nachmittag stattfindet, stehen er und die Athleten trotzdem früh auf. Nach einem ausgiebigen Frühstück in der ‹Dining Hall› behandelt er Athleten in seinem Physioraum, und die Athleten, die keine Behandlung brauchen, trainieren individuell. An so einem Tag geht es nach dem Mittagessen für alle auf die Bahn. «Entweder gehe ich direkt mit oder trainiere noch kurz individuell im Kraftraum mit einem Athleten, der ein Problem hat. Später gehen wir dann zusammen auf die Bahn», sagt er. Seit vergangener Woche finden auch offizielle Trainingsläufe statt, also Rennen, die genauso ablaufen wie das richtige Olympia-Rennen – damit die Vorbereitungen für alle ideal und bis ins letzte Detail getestet sind.
Zimmermann und die Bob-Athleten und -Funktionäre übernachten in Yanqing, einem von Peking zwei Autostunden entfernten Bezirk in den Bergen. Gemeinsam mit den Athleten von Swiss Ski bewohnen sie ein dreistöckiges Gebäude. Zwei Etagen stehen den Skifahrern zur Verfügung und eine den Bobfahrern. «Die Skifahrer haben schon mehr Platz als wir, die sind halt in einer anderen Liga», sagt er. Nichtsdestotrotz gefällt ihm die Unterkunft: «Wir schlafen zu zweit in einem Zimmer, es wurde alles neu gebaut und ist modern, man kann auch die Betten verstellen», sagt er.
Auch vom Essen ist der Baselbieter begeistert, obwohl er zuvor nur negative Dinge über das Essen in China gehört hat. «Man hört Sachen wie ‹nimm Haferflocken mit, damit du diese im Notfall essen könntest› und andere Horrorgeschichten», sagt er. In den ersten Tagen sei das Essen noch etwas eintönig und gewöhnungsbedürftig gewesen, aber nie wirklich schlecht. «Aber es wurde von Tag zu Tag besser. Die Auswahl in der ‹Dining Hall› ist gigantisch, ich liebe es, mich durch das ganze Sortiment zu essen und alles zu testen», schwärmt er.
Das Essen in der «Dining Hall» steht 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Es gebe viele verschiedene Speisen aus der ganzen Welt und auch halale und vegane Gerichte. «Das IOC hat eine riesige Küchenequipe engagiert. Ich muss über Leute schmunzeln, die sich über das Essen beklagen und jeden Tag dasselbe essen, denn zu Hause haben sie ja wohl auch nicht eine solche Auswahl», sagt er. Trotzdem verstehe er die Athleten, die vor dem Wettkampf kein Risiko eingehen wollen, das könne sonst buchstäblich in die Hosen gehen.
Für die ganze Schweizer Bob-Crew stellt das Training vor Ort eine grosse Herausforderung dar. «Vom IOC haben wir einen offiziellen Trainingsraum zur Verfügung gestellt bekommen. Aufgrund der Ansteckungsgefahr durch Athleten aus anderen Nationen haben wir uns entschieden, eigenes Trainingsmaterial mitzunehmen und vor Ort einen eigenen Raum zu mieten. Der offizielle Raum vom IOC wird eben auch von anderen Athleten benutzt», sagt Zimmermann. Das Trainingsmaterial umfasst einen Hometrainer, Springseile, Gummibänder, koordinative Geräte und Hanteln mit Gewichtsscheiben. Die Scheiben wiegen total mehr als 200 Kilogramm.
Materialschlacht
Normalerweise hat der Bobsport im Weltcup eine eigene Logistik. Die Schlitten werden in Containern transportiert. Zwischen und auf die Schlitten wird alles andere Material gestopft. «Da drücke ich zum Beispiel auch meine Physioliege rein», sagt er. Doch China erlaubte das dieses Jahr nicht. So musste das gesamte Material – ausser den Schlitten – in Koffern nach China transportiert werden. «Das war eine riesige Materialschlacht. Neben den Skifahrern haben wir am meisten Gewichtsscheiben fürs Krafttraining dabei. Zum Glück hat mir meine Familie geholfen, meine 5 Koffer à 30 Kilogramm an den Flughafen zu bringen», gesteht er.
Kontrolliertes Terrain
Eingesperrt fühlt sich Zimmermann nicht, obwohl es auf dem ganzen Areal Sicherheitsleute hat und man das Gelände nicht verlassen darf. In Pyeongchang an den Winterspielen 2018 war das auch so. «Dort kam ich sogar mit dem Militär in Kontakt, weil ich Fotos gemacht habe. Diese musste ich dann löschen», lacht er. In Yanqing seien die Transporte und Tests sehr gut organisiert. «Wir müssen täglich zum Testen antraben und immer eine FFP2-Maske tragen», sagt er. Er verstehe das aber, da diese Massnahmen auch zum Schutz von allen Beteiligten beitragen. Allgemein fühlt er sich im Bob-Team sehr wohl. «Das ist einfach voll mein Ding, wir sind ein super Team.»
Von Zimmermann betreut werden einige bekannte Bob-Gesichter. So beispielsweise die Aargauerin Melanie Hasler, die am Montag bei ihrer Monobob-Premiere mit dem 7. Platz ein olympisches Diplom holte. Aber auch die männlichen Athleten zeigten ihr Potenzial: Pilot Michael Vogt und Anschieber Sandro Michel verpassten im Zweierbob-Rennen das Podest nur knapp und fuhren auf den 4. Platz.
18. und 19. Februar: Zweierbob Frauen, jeweils ab 12.55 Uhr, mit Melanie Hasler und Nadja Pasternack.
19. und 20. Februar: Viererbob Männer, ab 2.30 Uhr Samstag und ab 2.25 Uhr Sonntag, mit Michael Vogt und seinen Anschiebern Sandro Michel, Cyril Wyss und Luca Rolli und Simon Friedli mit seinen Anschiebern Adrian Fässler, Andi Haas und Fabio Badraun, alles jeweils auf SRF 2.