Fragwürdige Botschaft
24.12.2021 RamlinsburgGemeindepräsidentin macht deplatzierten Vergleich
Die Ramlinsburger Gemeindepräsidentin Stephanie Oetterli vergleicht in ihrer «Weihnachtsbotschaft» an die Dorfbevölkerung die Menschen, die sich an Corona-Schutzmassnahmen halten, mit Verbrechern und Mitläufern ...
Gemeindepräsidentin macht deplatzierten Vergleich
Die Ramlinsburger Gemeindepräsidentin Stephanie Oetterli vergleicht in ihrer «Weihnachtsbotschaft» an die Dorfbevölkerung die Menschen, die sich an Corona-Schutzmassnahmen halten, mit Verbrechern und Mitläufern der Nazi-Zeit.
Sebastian Schanzer
Dass sich manche Massnahmengegner, Impfskeptiker oder die sogenannten Corona-Leugner in der anhaltenden Pandemie mit den Opfern des Nazi-Regimes vergleichen, ist bereits vorgekommen – an Demonstrationen in Form von «Judensternen», in Online-Kommentarspalten, in den Sozialen Medien oder im Gespräch unter vier Augen. Dass eine Gemeindepräsidentin diesen Vergleich in einem Schreiben an die Einwohnerinnen und Einwohner ihres Dorfs zieht, ist aber wohl eher selten.
So geschehen in der 720-Seelen-Gemeinde Ramlinsburg. In ihrer «Weihnachtsbotschaft» im jüngst erschienenen Amtsanzeiger klagt Stephanie Oetterli über die schwierigen Umstände während der Pandemie für Kinder und Jugendliche (Homeschooling, Maskenpflicht), über die finanziellen Defizite von Alters- und Pflegeheimen, über die Belastung des Pflegepersonals und die Ausgrenzung von Ungeimpften an Schulen und «gewissen Spitälern». Corona und die Massnahmen dagegen führten oft zu Konflikten und verhärteten Fronten in Politik, Familie und Freundeskreis, schreibt sie.
Umso erstaunlicher, dass auch Oetterli in ihrem Text sodann zur maximalen Provokation, der sogenannten Nazi-Keule, greift:
Ich stehe dazu, dass ich Vieles, was derzeit passiert, grausam finde ... und Rat gesucht habe im Buch «Banalität des Bösen», in welchem Hannah Arendt 1961 über den Prozess gegen Adolf Eichmann berichtet und erwartete, einem teuflischen und psychotischen Menschen zu begegnen und überrascht war, in seiner «Alltäglichkeit und Normalität» genau das Gegenteil vorzufinden: «Er war furchtbar und erschreckend normal, ein Mann, der nur Befehle befolgt, wie er immer wieder sagte.» ... die gedankenlose Tendenz gewöhnlicher Menschen, Befehle zu befolgen, um sich anzupassen ...
Ob Oetterli den gesuchten Rat in Arendts Buch gefunden hat, also ob sich ihrer Meinung nach Parallelen ziehen lassen zwischen der Nazi-Zeit und der Corona-Pandemie, lässt sie im Text offen. Trotzdem drängen sich dem Leser und der Leserin die Fragen auf: Sind in der Optik von Oetterli jene, die auf Geheiss von Bundesrat und kantonalen Behörden eine Maske tragen, sich gegen Corona impfen lassen oder die Sorge um die Verbreitung des Virus teilen, mit einem Kriegsverbrecher des «Dritten Reichs» oder den «Mitläufern» im NS-Regime gleichzusetzen? Will Oetterli das Leid der Ungeimpften in dieser Pandemie mit jenem der verfolgten, deportierten und ermordeten Juden während des Zweiten Weltkriegs vergleichen?
Und warum schreibt die Gemeindepräsidentin solche Dinge in ihrer Weihnachtsbotschaft an die 720 Dorfbewohnerinnen und -bewohner, wenn sie doch darüber klagt, dass das Virus und die Schutzmassnahmen dagegen für Konflikte bis in die Familie hinein sorgen? Auf eine entsprechende Mail-Anfrage der «Volksstimme» hat Oetterli gestern bis Redaktionsschluss nicht reagiert.
Fragen hinterlässt derweil auch jenes kryptische Zitat von Rudolf Steiner, aus welchem Oetterli laut ihrem Text Zuversicht schöpfen könne:
«Denn es müssen in Zukunftszeiten die Menschen füreinander sein und nicht einer durch den Anderen. Nur so wird das Weltenziel erreicht, wenn jeder in sich selber ruht, und jeder jedem gibt, was keiner fordern mag.»
Mit diesen Worten wünscht Oetterli ihrer Leserschaft eine besinnliche Weihnacht und einen guten Stand im neuen Jahr.