Weitnauers Verse in veredelter Form
21.10.2021 Anwil, Wenslingen, Kultur, Bezirk SissachCharles Brauer liest aus Weitnauers zehnter Lyrik-Sammlung
Der 91-jährige Max Weitnauer konnte für die Vernissage seines jüngsten Büchleins erneut Charles Brauer als Vorleser gewinnen. Seine Lyrik wirkt dadurch noch stärker.
Jürg Gohl
Die richtige ...
Charles Brauer liest aus Weitnauers zehnter Lyrik-Sammlung
Der 91-jährige Max Weitnauer konnte für die Vernissage seines jüngsten Büchleins erneut Charles Brauer als Vorleser gewinnen. Seine Lyrik wirkt dadurch noch stärker.
Jürg Gohl
Die richtige Matratze auszuwählen, heisst sozusagen sich mit ihr vermählen.
Bereits nach zwei Zeilen des Gedichts «Die richtige Matratze» geht ein Lachen durch die Reihen. Es zwingt den Vorlesenden zu einer kurzen Pause. Das stellt an diesem herrlichen Herbst-Nachmittag gleich eine doppelte Ausnahme dar. An der Vernissage des inzwischen zehnten Gedichtbands aus der Feder von Max Weitnauer am Sonntag im «Jägerstübli» in Anwil (siehe auch «Volksstimme vom 14. Oktober, Seite 9) kommen die Lacher sonst am Schluss des Verses, wenn der inzwischen 91-jährige Max Weitnauer eine Pointe setzt oder mit einer überraschenden Lehre aufwartet. Denn neben Tiefsinnigem findet sich in seiner Lyrik immer wieder Schmunzelnswertes, nicht selten sind diese beiden vermeintlich gegensätzlichen Elemente sogar gepaart.
Zudem: Wenn der Böckter Charles Brauer als professioneller Schauspieler und Vorleser Gedichte des in Oltingen aufgewachsenen, aber längst in Lugano lebenden Dichters vorträgt, kommt ein wesentlicher Vorzug seiner Lyrik weit besser zur Geltung als beim Selberlesen daheim: Weitnauer befleissigt sich einer sauberen Metrik, seine Gedichte fliessen. Fleiss zählt sicher zu den Tugenden des spätberufenen Dichters.
Die ideale Pause
Nach dem ersten vorgetragenen Gedicht kommt Brauer, der zum dritten Mal an einer Weitnauer-Vernissage in liest, auf einen Zwiespalt zu sprechen, der den Routinier regelmässig beschäftigt: Wie lange die ideale Pause zwischen zwei Gedichten sein solle, damit die Zuhörenden noch ein wenig den eben gesprochenen Worten nachhängen könnten, fragt er. Die Antwort gibt er sich selber, indem er ein längeres Prosastück, das längste im ganzen Buch «Goodwill im Leben», vorträgt. Darin schildert der Autor, wie er als achtjähriger Bauernsohn den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, die Generalmobilmachung und die ganze Kriegszeit erlebt hat. Das Prosastück berührt auch den fünf Jahre jüngeren Vorleser besonders, der in Berlin aufgewachsen ist und dort oft vor den Bomben in den Keller flüchten musste. «Ich weiss, was euch erspart wurde», schliesst Brauer.
Im Vordergrund der gut fünfviertelstündigen Lesung stehen aber die meist kurz gehaltenen Lyrik-Stücke. Doch nicht immer würzt Weitnauer mit Kürze. Das Glanzstück unter den 98 alphabetisch angeordneten Texten ist ein Gedicht mit 28 Zeilen. Es trägt den Titel «Friedlicher Wald» und ist eine Ode an den «ew’gen Schöpfers Friedenstempel».
Weitnauer findet von A wie Abfallsack bis Z wie Zwillinge immer wieder Stichworte, über die sich für ihn nachzudenken und zu dichten lohnt. Oder eben über die Matratze. Er beschliesst das Gedicht mit dem Paarreim:
Dank den Matratzen, die uns betten, statt auf dem Nachttisch Schlaftabletten.
Ja, dann hat es dort dafür mehr Platz für ein schmuckes Gedichtbändchen.
Max Weitnauer, «Goodwill im Leben», Fontana Edizioni, 144 Seiten. Das Buch ist in der Papeterie Pfaff in Sissach erhältlich.