«Ich lebte in zwei Welten»
26.08.2021 Arisdorf, Sport, RegionJürg Gohl
«Full-Full-Full»: Unter den Sportinteressierten gehörte der Name des damals schwierigsten Sprungs der Skiakrobatinnen hierzulande zur Allgemeinbildung. Im Springen gelang Evelyne Leu im Final der Olympischen Spiele in Turin 2006 der dreifache Salto ...
Jürg Gohl
«Full-Full-Full»: Unter den Sportinteressierten gehörte der Name des damals schwierigsten Sprungs der Skiakrobatinnen hierzulande zur Allgemeinbildung. Im Springen gelang Evelyne Leu im Final der Olympischen Spiele in Turin 2006 der dreifache Salto mit dreifacher Schraube wunschgemäss. Sie gewann Gold und ist die erste und bisher einzige Baselbieter Einzel-Olympiasiegerin. Vier Jahre zuvor hatte sie in Salt Lake City die Qualifikation mit Weltrekord gewonnen, stürzte aber im Final und ging damals noch leer aus.
Nicht nur in Frenkendorf, ihrer damaligen Wohngemeinde, wurde die Goldmedaille im grossen Stil gefeiert. Auch Arisdorf war stolz auf Evelyne Leu, lebte sie doch davor von ihrem zehnten bis zum zwanzigsten Lebensjahr in dieser Gemeinde. Heute wohnt die vierfache Olympia-Teilnehmerin mit ihrer Familie in Bünzen, ist Mutter zweier Söhne (6 und 9 Jahre alt) und spielt beim Tennisclub Bremgarten mit, bei dem sie auch den Nachwuchs trainiert.
Frau Leu, sind Sie während der ganzen Olympischen Spiele vor dem Fernseher gesessen?
Evelyne Leu: Ganz so schlimm war es nicht. Aber sicher führte mein erster Gang nach dem Aufstehen zum TV, um zu sehen, was in der Nacht passiert war. Für meine Söhne wäre es nicht lustig, wenn die Mutter die halbe Nacht vor dem Fernseher sitzt und dann tagsüber müde und deshalb schlechter Laune ist.
Es gab drei Schweizer Goldmedaillen zu feiern, alle gingen an Frauen. Was geht da in einer ehemaligen Olympiasiegerin vor?
Natürlich denke ich automatisch an meinen grössten Erfolg. Es ist schön, mitfühlen zu können und eine Ahnung davon zu haben, was in der Siegerin gerade vorgeht. Es «tschuuderet» mich in solchen Momenten auch. Es waren sehr beeindruckende Leistungen. Ich genoss auch die Sportarten, die man sonst weniger kennt. Wie Schützin Nina Christen cool blieb und sich konstant steigerte, das war schon phänomenal.
Als Sie in Turin Gold gewannen, lebten Sie bereits seit sieben Jahren in Frenkendorf. Wie steht es um Ihre Erinnerungen an Arisdorf, dem Dorf Ihrer Jugend?
Die Zeit dort ist mir noch sehr präsent. Ich verbrachte dort meine Schulzeit und rannte auf dem Pausenhof herum, und vor meinem inneren Auge tauchen im Moment die «Töfflibuebe» auf. Schliesslich ist dieses Jahrzehnt des Lebens für alle eine intensive, prägende Zeit – auch für mich.
Erinnern Sie sich an eine Lieblingsstelle?
Ja, Richtung Giebenach gab es einen kleinen Weiher. Dorthin radelte ich manchmal. Das war mein Rückzugsort.
Der Sport dürfte Ihnen für Rückzüge kaum Freizeit gelassen haben.
Ja. Vor allem als ich mit 14 Jahren vom Geräteturnen zur Skiakrobatik wechselte, war ich praktisch jedes Wochenende unterwegs. Dadurch ging auch der Kontakt zum Dorf ein bisschen verloren, auch weil sich die Leute fragten, was diese Evelyne Leu da Sonderbares machte. Als Aussenseiterin würde ich mich nicht bezeichnen, doch litt der normale Kontakt zum Dorf unter dem Sport schon ein bisschen. Ich lebte sozusagen in zwei verschiedenen Welten, die Sportwelt hier und der Alltag mit der Schule da. Das war für mich nicht immer leicht.
Spielte es dabei auch eine Rolle, dass Sie sich einer eher unbekannten Sportart verschrieben haben?
Mag sein. Hätte ich mich auf Tennis fokussiert, wäre alles klarer gewesen.
Wie steht es heute um Ihren Kontakt zu Arisdorf?
Er hält sich sehr in Grenzen. Sporadisch in Kontakt stehe ich mit einer früheren Schulfreundin, die aber inzwischen in Liestal wohnt. Leider ist bisher auch nie eine Klassenzusammenkunft zustande gekommen. Weitere Kontakte aus jener Zeit bestehen nicht mehr.
Wie hat es Sie nach Bünzen verschlagen?
Wir wollten in die Nähe der Skisprung-Wasserschanze in Mettmenstetten ziehen, suchten in der Umgebung nach einem erschwinglichen Stück Bauland und wurden in Bünzen fündig. Den Ort kannten wir vorher überhaupt nicht, doch es gefiel uns auf Anhieb. Mit knapp über 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Bünzen etwas kleiner als Arisdorf, das in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist.
Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann nach Arisdorf zurückzukehren und dort heimisch zu werden?
Das hängt natürlich stark vom Umfeld, etwa von den Kindern, ab. Aber vom Gebiet her könnte ich mir das sehr gut ausmalen. Das Dorf liegt auch auf dem Land, das ist mir wichtig. Schnell ist man aber in Liestal, und von dort in Basel oder anderswo. Diese Lage, die auch für unsere jetzige Wohngemeinde gilt, gefällt mir.