Ein Stelzen-Tourer von Harley-Davidson – geht das?
13.08.2021 Weitere SportartenFahrbericht | Die «Volksstimme» testet die Harley-Davidson Pan America S
Der Markt von Reiseenduros wird dominiert von KTM, BMW, Honda und Ducati. Nun startet Harley eine Produktoffensive, die es in sich hat. Das Motto: «more roads to ...
Fahrbericht | Die «Volksstimme» testet die Harley-Davidson Pan America S
Der Markt von Reiseenduros wird dominiert von KTM, BMW, Honda und Ducati. Nun startet Harley eine Produktoffensive, die es in sich hat. Das Motto: «more roads to Harley-Davidson». Wir wollten es wissen und stiegen auf die Harley-Davidson Pan America S auf.
Alex Köhli
Eines gleich vorneweg: Wie bei der Einführung der V-Rod-Modelle bewirkt die Pan America bei eingefleischten Harley-Treibern verdrehte Augen und Grimassen. Die Company weiss das, geht aber unbeirrt ihren Weg – initiiert vom deutschen CEO Jochen Zeitz.
Als vor zwei Jahren erste Bilder des Projekts im Netz kursierten, gab es die unterschiedlichsten Kommentare. Für die einen war die Pan America schlicht keine Harley mehr, andere wurden neugierig: Wie soll das bloss gehen? Harleys sind grundsätzlich schwere Eisen, ziemlich teuer, nicht für das Gelände geeignet, technisch nicht vorne mit dabei und auch keine Kurvenwiesel. Eine bemerkenswerte Erscheinung ist diese Enduro allemal. Die Frontmaske will sich unterscheiden.
Bevor wir starten, müssen wir uns die Bedienung erklären lassen. Neu ist der Blinkerschalter nur am linken Lenkerende und selbstrückstellend. Kupplungs- und Bremshebel sind einstellbar. Ebenfalls links finden sich Lichthupe, Scheinwerfer, Tempomat, Griffheizung, Kilometerzähler,Temperaturanzeige, Navigation sowie die Menü- und Hometaste. Letztere hilft enorm, sollte man sich mal in den Tiefen der Menüstruktur verirrt haben. Rechtsseitig finden sich Warnblinker, Fahrmodus, Anlasser, Lautstärkeregler, Spracherkennung und Traktionskontrolle.
Technik von höchstem Standard
Das TFT-Display mit 17,3 cm Diagonale sowie Touchscreen-Funktion sowie Connectivity- und Navi-System ist für digitalaffine Menschen selbsterklärend. Wobei wir hier einen ersten Abstrich machen müssen. Um das Navigationssystem aktivieren zu können, muss auf dem Smartphone die HD-App installiert und aktiv sein. Ziele und Routen müssen in der App definiert werden. Insbesondere die Routeneingabe in der App ist mühsam. Touren-Freaks werden eine zusätzliche Navigation am Lenker anbringen.
Verzögert wird mit Brembo-Monoblocs. Vier Fahrmodi (inklusive Offroad) sind programmiert, drei Plätze zusätzlich konfigurierbar. Schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Berganfahrhilfe und Motorbremskontrolle sind ebenso an Bord wie Kurven-ABS mit adaptivem Kombi-Bremssystem.
Das semiaktive Showa-Fahrwerk zusammen mit Anti-Wheelie und Anti-Stoppie vermittelt zusätzliche Sicherheit und viel Komfort. Eine Weltneuheit bei Motorrädern präsentiert Harley mit dem ARH-System (Adaptive Ride Hight), welches das Fahrwerk bei Langsamfahrt bis zum Stopp um 5 Zentimeter absenkt und bei der Weiterfahrt wieder anhebt. Die Sitzhöhe des Fahrers kann um 2,5 Zentimeter höher oder tiefer gewählt werden. Die Windschutzscheibe kann einhändig um 46 Millimeter erhöht oder abgesenkt werden.
Das eigentliche Sahnestück ist der neu entwickelte Motor «Revolution Max 1250». Der Hightech-V2 leistet 152 PS und drückt 128 Nm ab. Um Gewicht zu sparen, wurde dieser als tragendes Element in das Chassis integriert.
Unterwegs im Jura
Wir drücken den Startknopf und erkennen, dass eine völlig neue Melodie ertönt. Der aktuellen Lärmdiskussion hält das Standgeräusch bei 3800 U/min von 90 dB(A) entgegen. Damit lassen sich auch sämtliche Strassen in Österreich befahren, wo teilweise eine Beschränkung auf 95 dB(A) gilt. Ausgleichswellen minimieren Vibrationen fast vollständig. Die Beladungsregelung (Vehicle Loading Control System) registriert das Gewicht von Fahrer, Beifahrer und Gepäck und passt die Federvorspannung des hinteren Federbeins automatisch an.
Gewählt haben wir den Modus Strasse. Dieser bewirkt einen guten Fahrkomfort und eine nicht zu spitze Leistungsentfaltung. Der erste Gang fällt mit einem «Klack» rein und zügig fädeln wir in den Verkehr ein. Ist der Motor einmal warm, sind die Schaltvorgänge nicht mehr hörbar und die Gangwechsel funktionieren seidenweich. Ende der 50er-Zone beschleunigen wir kraftvoll hoch. Es ist ein Vorteil, ist die Geschwindigkeit in grossen Lettern im Display ersichtlich. Mühelos wird hochgeschraubt und vor Kurven mit der Motorbremse verzögert. Strassenunebenheiten werden kaum spürbar weggebügelt. Es kommt richtig Freude auf. Insbesondere über den Scheltenpass macht die Pan America richtig Spass. Die Kraft, gepaart mit dem verhältnismässig leichten Gewicht, lässt einen durch die Landschaft fliegen. Zwischen Lucelle und Laufen wechseln wir von «Strasse» auf «Sport». Jetzt hängt die Maschine merklich nervöser am Gas und auch die Federung ist nicht mehr hoch komfortabel. Dafür zieht das Bike wie auf Gleisen durch die Kurven. Auf dem Kurvenscheitel wird Gas gegeben und schon meldet sich das Assistenzsystem, das verhindert, dass das Hinterrad, angetrieben von den 152 PS, wegdriftet. Das vermittelt Sicherheit und bremst den Übermut ein.
Auf der Abfahrt vom Gempen in Richtung Oristal werden die Sicherheitssysteme nochmals in Anspruch genommen: Ein weicher Bitumenstreifen in der Kurve lässt das Bike nach aussen driften. Kein Problem für den Fahrer und seine Pan America.
Das Fazit
Die Pan America will nicht einfach ein weiteres Motorrad im Gross-Enduro-Bereich sein, sondern eine gute Alternative zu den Platzhirschen. Dies schafft sie. Auf Anhieb. Dass die Produktion der Company für dieses Jahr bereits verkauft ist, ist das eine. Das andere ist, dass nun auch Harley-Fans ein Motorrad in die Garage stellen können, das auf grossen Touren, über Pässe und auch im unbefestigten Geläuf grossen Spass machen kann. Und auch im Preis-Leistungs-Verhältnis hält sie mit den «Big Four» problemlos mit.
Die Harley-Davidson Pan America S wurde der «Volksstimme» zur Verfügung gestellt von der Garage Richards Motorcycles AG, Andlauring 32, Aesch, 061 751 88 88, www.hdbasel.ch
Das sagt der Harley-Dealer
«Ist das eine Harley?», hört man immer wieder, wenn man mit der Pan America unterwegs ist. Dabei geht vergessen, dass Harley in seiner 118-jährigen Firmengeschichte immer wieder Offroad-Motorräder gebaut hat. So zum Beispiel über 90 000 Modelle WLA für die Amerikanische Armee. Dass die Rückkehr ins Offroad-Geschäft im 21. Jahrhundert gelungen ist, zeigen die durchwegs positiven Testberichte in der internationalen Presse. Die traditionellen Modelle werden nach wie vor gebaut. Der Kundenkreis wird aber mit diesem Reiseenduro-Modell deutlich grösser.
John Richards, Harley-Davidson Aesch