«Die Schweizer Leichtathletik hat den grössten Aufschwung seit Jahren erlebt»
27.08.2021 Buus, Leichtathletik, SportNathalie Schaffner
n Herr Steinmann, wie steht es um die Leichtathletik in der Schweiz?
Matthias Steinmann: Die Schweizer Leichtathletik hat den grössten Aufschwung seit Jahren erlebt. 2014 waren die Europameisterschaften in der Schweiz, was ...
Nathalie Schaffner
n Herr Steinmann, wie steht es um die Leichtathletik in der Schweiz?
Matthias Steinmann: Die Schweizer Leichtathletik hat den grössten Aufschwung seit Jahren erlebt. 2014 waren die Europameisterschaften in der Schweiz, was ich als Initialzündung erachte. Seither gibt es einen stetigen Aufstieg – unter anderem auch wegen Vorreiterinnen und Vorreitern wie Mujinga Kambundji und anderen.
Wie erklären Sie sich diesen Aufschwung?
Diese Vorreiter waren wie Zugpferde, die eine neue Generation mitgezogen haben. Ich bin zudem überzeigt, dass der «UBS Kids Cup» einen wesentlichen Anteil an der positiven Entwicklung der Schweizer Leichtathletik hat. Durch diesen Dreikampf, der teilweise Bestandteil von Schulsporttagen ist, finden so viele Kinder zur Leichtathletik wie noch nie – und damit viele Talente. Je mehr Personen Leichtathletik betreiben, umso grösser ist auch die Leistungsdichte. Kommt dieser Motor einmal ins Laufen, springt dies auf die Förderung über. Es gibt viel mehr nationale und regionale Leistungszentren, und die Vereinsstrukturen sind besser geworden: Kleinere Vereine schliessen sich zusammen, womit der «Dörfligeist» etwas zurückgegangen ist. Ausserdem gilt es zu erwähnen, dass es mittlerweile in der Schweiz neben Weltklasse Zürich und der Athletissima Lausanne mehr internationale Meetings gibt, was wiederum Gelder generiert.
Wie sieht die Nachwuchsförderung konkret aus?
Nachwuchsförderung findet noch immer in den kleinen Dorfvereinen und in der Schule statt – dort, wo viel Sport getrieben wird. Viele aktuelle Topathletinnen und Topathleten stammen aus einem kleinen Dorf, wo sie auch mit dem Sport begonnen haben und später von grossen Vereinen aufgenommen wurden. Leichtathletik ist die Grundsportart aller anderen Sportarten und daher muss man nicht zwingend schon im ganz jungen Alter damit beginnen.
Zusätzlich existieren Nachwuchskader. Was halten Sie von diesem Förderungsmodell?
Ich finde es gut, dass es immer mehr Gefässe wie Nachwuchskader gibt, allerdings sind sie meiner Meinung nach etwas zu lasch. Die Limits dürften ruhig etwas höher sein, damit man sich länger entwickeln kann.
Es heisst, man sollte nicht zu früh, aber dennoch rechtzeitig mit der Förderung von Talenten beginnen. Wie geht das?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Das aktuelle Konzept ist grundsätzlich genial, das sieht man auch an den Rekorddelegationen bei den Europameisterschaften der U20 und U23 sowie den Olympischen Spielen in Tokio. Das sind Zeichen, dass die Entwicklung positiv verläuft. Aber die Förderung ist meines Erachtens etwas zu früh und zu sehr fokussiert, sowohl auf den Trainingsort als auch auf die Disziplin. Ich würde später spezifisch fördern und früher viel allgemeiner. Beispielsweise dürfte ein Kind meiner Meinung nach lernen zu schwimmen, an und mit diversen Geräten zu turnen, zu fangen, zu spielen. In jungen Jahren braucht es eine Turnhalle, eine Art Spielplatz, genügend Platz, um sich viel bewegen zu können und noch keine Leichtathletikanlage.
Die Schweizer Leichtathletik wurde kürzlich von Dopingskandalen um Karriem Hussein und Alex Wilson überschattet. Sorgt das für einen Entwicklungsstopp?
Das ist eine ganz grosse Belastung für die Schweizer Leichtathletikszene. Es wird vieles infrage gestellt, es ist sehr schlecht für die Reputation. Aber ich glaube nicht, dass die Sportart an Attraktivität verlieren wird, weil ich davon ausgehe, dass die guten Leistungen der übrigen Leichtathletinnen und Leichtathleten an den Olympischen Spielen dies wieder geradebiegen können. Aber man darf nicht blauäugig sein. Der Druck ist enorm, die Grauzone ist gross. Das verringert die Hemmschwelle, zu unerlaubten Substanzen zu greifen.
Wie kann man diese Problematik angehen?
Der schweizerische Antidopingverband muss weitermachen wie bisher: so viel testen und kontrollieren wie nur möglich. In der Prävention kann durch gezielte Aufklärung noch mehr getan werden. Insbesondere seitdem der Nahrungsergänzungsmittel-Trend aufgekommen ist, ist die Thematik noch viel heikler geworden. Jeder Inhaltsstoff und die Menge der Stoffe müssen genau überprüft werden und da muss besonders bei jungen Erwachsenen bessere Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Ist das die grösste Herausforderung der Schweizer Leichtathletik?
Nein. Ich denke eher, dass die bevorstehende Professionalisierung die grösste Herausforderung für die Schweizer Leichtathletik sein wird. Es benötigt eine solide Trainerausbildung, neue Trainingsmöglichkeiten und die Koordination grösserer Leistungszentren. Dem vorherrschenden Leistungspotenzial der neuen Generation gerecht zu werden, wird der Knackpunkt der nächsten Jahre. Es wäre denkbar, dass dafür sogar eine Zusammenarbeit mit anderen Dachverbänden entstehen müsste, beispielsweise mit dem Schweizerischen Fussballverband, Swiss-Ski oder Swiss Tennis. Denn die Leichtathletik ist noch nicht so professionell aufgestellt.
Vor einem Jahr haben Sie gemeinsam mit dem ehemaligen Zehnkämpfer Pascal Magyar den Leichtathletik-Podcast «Swiss Track Check» ins Leben gerufen. Wie ist diese Idee entstanden?
Podcasts sind im Trend und so dachte sich Pascal Magyar, dass es schön wäre, dieses Gefäss zu nutzen, um über die Schweizer Leichtathletik zu sprechen. Er hat mich dann angefragt, als Co-Host und Mitmoderator einen Podcast von Leichtathleten für Leichtathleten zu starten. Ich war absolut begeistert von dieser Idee. Das hat solche Wellen geschlagen, dass es mittlerweile auch unser Ziel ist, vor Ort über die Leichtathletik zu sprechen – in Form von Pressearbeit mit Interviews oder als Kommentatoren an Leichtathletikanlässen.
Haben Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Nein, niemals. Dass wir beispielsweise einen mehrfachen Weltmeister und Olympiasieger wie den amerikanischen Dreispringer Christian Taylor zu unseren Interviewgästen zählen dürfen, ist unglaublich. Da profitieren wir extrem von unserem Fachwissen und unserer guten Vernetzung.
Wie laufen die Themensuche und die Umsetzung des Podcasts ab?
Eine Folge besteht immer aus einem Interview oder einem dreiteiligen Block aus News, einem Themenschwerpunkt und einem Ausblick. Themenschwerpunkte setzen sich aus aktuellen Geschehnissen zusammen, wovon wir zurzeit mehr als genug haben. Jeweils sonntags nehmen wir – jeder bei sich zu Hause – den Podcast auf, synchronisieren diesen und schneiden die Datei. Dienstags laden wir den Podcast hoch, den man dann auf Spotify, Apple Music oder auf unserer Website anhören kann.
Haben Sie das Ziel, den Podcast noch bekannter und grösser zu machen?
Es wäre schon attraktiv, wenn man irgendwann damit Geld verdienen könnte, aber das wäre vermessen. Generell ist es natürlich sehr schön für die Schweizer Leichtathletik, wenn wir grösser werden und so auch Athletinnen und Athleten eine Art Werbeplattform bieten können.
Gibt es bevorstehende Highlights, auf die Sie sich besonders freuen?
Wir haben weitere internationale Topathleten im Kopf, die wir gerne als Gäste für unseren Podcast haben möchten. Im nächsten Jahr möchten wir zudem in irgendeiner Form an den Europameisterschaften in München und den Weltmeisterschaften in Eugene (USA) dabei sein.
Zur Person
ns. Der 29-jährige Matthias Steinmann ist in Buus aufgewachsen und lebt aktuell in Basel. Er ist amtierender Schweizer Meister im Zehnkampf, Schlagzeuger in der Band «Les Touristes» und Co-Host des Podcasts «Swiss Track Check». Neben seiner Tätigkeit als Lehrer an der Sekundarschule Gelterkinden ist er wissenschaftlicher Hilfsassistent am Institut für Bildungswissenschaften an der Universität Basel (Standort Muttenz) und Masterstudent der Erziehungswissenschaften.