«Auch Oldtimer sind zum Fahren da und nicht nur zum Anschauen»
13.08.2021 Anwil, AutoDer 87-jährige Peter Ruepp über Kostbarkeiten wie Oldtimer Peter Ruepp über Kostbarkeiten wie Oldtimer, Mitarbeitende und Familie
Mit der Hege seiner kleinen, exklusiven Oldtimer-Flotte ist der pensionierte Anwiler Tiefbauunternehmer Peter Ruepp zu seinen beruflichen Wurzeln ...
Der 87-jährige Peter Ruepp über Kostbarkeiten wie Oldtimer Peter Ruepp über Kostbarkeiten wie Oldtimer, Mitarbeitende und Familie
Mit der Hege seiner kleinen, exklusiven Oldtimer-Flotte ist der pensionierte Anwiler Tiefbauunternehmer Peter Ruepp zu seinen beruflichen Wurzeln zurückgekehrt: Ehe er 1955 im Betrieb seines Vaters anheuerte, absolvierte er eine Automechanikerlehre.
Christian Horisberger
Peter Ruepp versteht etwas von Dramaturgie: Als er die «Volksstimme» zu seiner Garage und Werkstatt führt, schiebt er zunächst das hohe Falttor auf, hinter dem sich ein gelb-rotes Ford-A-Cabriolet von 1929 und der rot-schwarze Essex Super Six, Baujahr 1927, mit dem seine Liebe für historische Autos begonnen hatte, verbergen (siehe Kasten). Das Prunkstück seiner kleinen Oldtimer-Flotte hebt sich der 87-Jährige bis zum Schluss auf: einen Rolls-Royce 20 HP. Der Brite ist schwarz und grün lackiert, die Scheinwerfer, gross wie Fussbälle, und der Kühlergrill glänzen in poliertem Chromstahl. Seitlich des Motorraums ist ein Reserverad angebracht und auf dem Kühler breitet die legendäre «Emily» ihre Arme aus.
Mit seinen 4,5 Metern Länge, gut 2 Metern Höhe und einem Gewicht von 1,6 Tonnen war der «20 HP» für damalige Verhältnisse ein kleineres Modell, gebaut für eine gut situierte Klientel, die das Lenkrad nicht einem Chauffeur überlassen wollte, «speziell auch für Frauen», erzählt Ruepp. Das Modell wurde von 1922 bis 1929 produziert, in den «Roaring Twenties», als die Frauen begannen, in der Gesellschaft ihre Muskeln spielen zu lassen.
Von Kraft, Protzen oder Prunk kann beim «Damen-Rolls-Royce» aber nicht die Rede sein: Dieses Auto ist Understatement pur. So dezent seine Noblesse, so tadellos die Verarbeitung. Als Ruepp die Türe zum Fond mit Platz für vier Personen öffnet und wieder zuwirft, fällt sie satt ins Schloss, nichts klappert, nichts wackelt. Der Motor: Nach einem kurzen Tritt aufs Starterpedal im Fussraum beginnt der 3,2 Liter-Reihensechszylinder überraschend leise zu schnurren. «Ein Wunder», schwärmt der 87-Jährige für die Leistung der englischen Ingenieure vor 93 Jahren.
Lehre als Automechaniker
Der pensionierte Tiefbauunternehmer aus Anwil weiss, wovon er spricht: Seine erste Ausbildung absolvierte er Anfang der 1950er-Jahre in der Automobilwerkstatt Percy Widmer in Basel. Er lernte das Handwerk mit Autos von Marken wie Sunbeam oder Hillman. Der Lehrmeister war mit dem «Stift» so zufrieden, dass er ihm einen Stundenlohn von zwei Franken offerierte, falls er nach der Lehre bleiben würde. Ruepps Vater Arnold, Gründer eines Tiefbauunternehmens in Anwil, bot ihm 2.60 Franken und machte das Rennen. «Nicht nur wegen des Lohns», sagt Peter Ruepp rückblickend, «ich habe gemerkt, dass mein Vater froh war, wenn ich in den Betrieb eintrat.» Das war 1955, der Junior war 21-jährig. Eine Lehre zum Tief- oder Strassenbauer gab es damals noch nicht, der Sohn lernte das Handwerk vom Vater und den Arbeitern auf der Baustelle. Handwerk im Sinne des Wortes: Schwere Maschinen waren im Betrieb anfangs rar. Der Ruepp-Equipe stand lediglich eine dreirädrige Kaelble-Walze zur Verfügung. Ansonsten galt die Devise: Muskeln statt Motoren.
Der Mangel an schwerem Gerät sollte den Grundstein für den Erfolg der Firma legen: Als die Gemeinde Therwil für ihre Felderregulierung Feldwege anlegen und Drainage-Leitungen unter anderem von der Firma Ruepp verlegen liess, waren die Leimentaler mit deren schonungsvoller Arbeit hoch zufrieden. «Anders als die Konkurrenz machten wir den Aushub von Hand und gruben nicht mehr Boden auf als unbedingt nötig. So verursachten wir einen vergleichsweise geringen Landschaden», erinnert sich Ruepp. Auch die Bauern waren zufrieden. Therwil vergab alle weiteren Aufträge an den Oberbaselbieter Betrieb. Das bedeutete Arbeit für mehrere Jahre. Er hat auch nicht vergessen, wer für seine Firma die Therwiler Felderregulierung durchgezogen hatte: Heini Schaffner, damaliger Polier und späterer Gemeindepräsident von Anwil. «Wir haben ihm sehr viel zu verdanken», sagt der frühere Patron.
«Emily», stehend und knieend
Während der 87-Jährige die Kühlerfigur um 90 Grad dreht, um ungehindert die Motorraumabdeckung öffnen zu können, erzählt er, dass die stehende «Emily» – offiziell: «Spirit of Ecstasy» – in späteren Jahren durch eine knieende Variante ersetzt worden sei, damit sie das Sichtfeld der Fahrer weniger stark beeinträchtigt. Die heutigen Modelle tragen wieder die stehende Ur-«Emily» als Galionsfigur.
Die Luxusmarke, ihre Mythen und auch Ruepps «20 HP» stecken voller Geschichte und Geschichten. Alleine mit seinen Erlebnissen rund um den Erwerb und die Restaurierung des Rolls-Royce-Veteranen, den Peter Ruepp aus Kanada in die Schweiz importierte, liesse sich ein ganzes Buch füllen. Gekauft hatte er ihn als Wrack aus dem Nachlass eines Autoliebhabers, der daran war, es zu restaurieren, aber vor der Vollendung des Werks tödlich verunfallte. Die Erben schrieben den Rolls für 10 000 Dollar zum Verkauf aus. Ruepps Schwager Fredy Rickenbacher, der mit Schwester Helen in die kanadische Provinz Nova Scotia ausgewandert war, hatte ihn auf die Gelegenheit gelupft. Bereits beim Kauf seiner beiden ersten Oldtimer im Jahr 1988 hatte der Schwager die Finger im Spiel gehabt. Ehe Ruepp den Rolls-Royce nach Europa verschiffen liess, beauftragte er einen kanadischen Karossier damit, das Auto äusserlich aufzufrischen, und einen Sattler, der die Polsterarbeiten ausführen sollte. Der Karossier glänzte, der Sattler pfuschte. Ein Oltner Sattler machte den Job besser – für weitere 20 000 Franken. Heute lächelt der Anwiler darüber.
Der Restauration des Motors nahm sich Ruepp gemeinsam mit seinem Schwager Fritz Schaffner und dem Rümlinger Garagisten Willi Thommen, ein guter Freund und wie er Oldtimer-Liebhaber und -schrauber, selber an. Soweit es ging jedenfalls: Beim originalen Zylinderkopf war nichts zu machen und Ruepp liess von Rolls-Royce einen «neuen alten» liefern. Das Auffrischen des Kühlers überliess er einem Spezialisten im Kanton Zürich. Beide Male wurde ihm eine Rechnung mit einem fünfstelligen Betrag präsentiert. Trotz vieler Eigenleistungen dürften ihn Kauf, Transport und Restauration des Oldtimers alles in allem um die 130 000 Franken gekostet haben, schätzt Ruepp.
«Tremola» ging in die Arme
Das hält ihn nicht davon ab, das Auto von Frühling bis Herbst regelmässig auszufahren. Zum einen, um so Standschäden zu vermeiden, zu anderen sei ein Auto nicht zum Anschauen gebaut, sondern zum Fahren, wie Ruepp findet. So lässt er sich neben den regelmässigen Instandhaltungsfahrten auch für besondere Anlässe im Freundeskreis «buchen». Auch längere Strecken legt er hin und wieder zurück. Eine führte ihn mit dem 1928er-Rolls-Royce via die alte Gotthard-Passstrasse ins Tessin. Das Auto zeigte weder beim Hochfahren noch die kurvenreiche Tremola hinunter Schwächen. Der nicht mehr ganz junge Fahrer hingegen kam an seine Grenzen: «Das Lenken geht ganz schön in die Arme. Bei einem nächsten Mal würde ich so eine Fahrt in zwei Etappen unterteilen», sagt er. Natürlich gab es damals noch keine Servolenkung – auch nicht in einem Rolls-Royce. Aber die Engländer waren der Konkurrenz punkto Verarbeitung und auch Sicherheit weit voraus, schwärmt der einstige Automechaniker. Die Bremsen, um deren Funktionstüchtigkeit er sich auch heute noch selber kümmert, seien für damalige Verhältnisse überdimensioniert gewesen – und entsprechend effizient und zuverlässig.
Beides gilt auch für das 1942 von Arnold Ruepp gegründete Tiefbauunternehmen, das sich gut entwickelte. 1954 wurde die Strassenwalze angeschafft, 1958 der erste Bagger, 1960 der erste Trax. Die ersten Gastarbeiter aus Süditalien heuerten Anfang der 1960er-Jahren in Anwil an. Sohn Peter übernahm den Familienbetrieb 1965 vom gesundheitlich angeschlagenen Vater, der wenige Jahre später verstarb. Bis in die 1980er-Jahre wuchs die Firma kontinuierlich auf gut 60 Mitarbeitende an. Ein Unglück sollte für die Ruepp AG einen Schnitt bedeuten: 1990 brannte das Betriebsgebäude in Anwil nieder. Auf einem Grundstück an der Hemmikerstrasse in Ormalingen, das sich die Firma bereits vor dem Feuer für eine mögliche Expansion gesichert hatte, wurde der Betrieb neu aufgebaut und weitergeführt. Bis heute ist es bei rund 60 Mitarbeitenden geblieben, wobei die Leistungsfähigkeit dank eines grossen und modernen Maschinenparks um ein Vielfaches gesteigert werden konnte, wie der frühere Chef erklärt.
Bescheiden geblieben
Wenn Peter Ruepp von der Entwicklung des Familienunternehmens spricht, erwähnt er sich selber höchstens als Randfigur. In den Mittelpunkt rückt er stattdessen die Mitarbeitenden, die seinen Vater und ihn begleiteten und nun seinen eigenen Sohn unterstützen – unter ihnen die Geschäftsführer Theo und später Stefan Lang oder Juan Fernandez, der kürzlich nach mehr als 40-jähriger Firmenzugehörigkeit pensioniert worden ist. Peter Ruepp hat sich 1998 aus dem Betrieb zurückgezogen und die Verantwortung in die Hände seines Sohns Michael gelegt. «Für einen Unternehmer gibt es nichts Schöneres, als wenn ein Familienmitglied den Betrieb weiterführt.»
Trotz seines beruflichen Erfolgs ist der Anwiler bescheiden geblieben. Seine exklusiven Karossen mögen da nicht so recht ins Bild passen. Es sei ihm eher peinlich, Aufsehen zu erregen, sagt der frühere Unternehmer denn auch. Die Oldtimer hätten für ihn nichts mit Angeberei zu tun, sondern mit Liebhaberei. Nicht mit Anspannung, weil auf einer Ausfahrt immer etwas kaputt gehen könnte – Werkzeug und einige Ersatzteile fahren immer mit –, sondern mit Entspannung und Gemütlichkeit. «Wenn ich mich ans Lenkrad setze, halte ich inne, höre dem Motor zu und versuche, mich in die alten Zeiten zu versetzen», sagt Ruepp. Ist er in den Goldenen Zwanzigern angekommen, legt er den ersten Gang ein und lässt die Kupplung kommen.
An einem sonnigen Vormittag nimmt Ruepp die «Volksstimme» mit auf eine Spritztour rund um Anwil. Er steuert den auf Hochglanz polierten Rolls über Strassen zwischen Wiesen und Feldern. Dabei weist er auf die Details hin, die sich die Autoschmiede damals ausgedacht hatten, um den Passagieren ein angenehmes Fahren zu ermöglichen. Das Belüftungssystem zum Beispiel: Im Fussraum lässt sich die Frischluftzufuhr über eine Klappe regulieren, und die Frontscheibe lässt sich aufklappen, damit auch hier ein Luftzug Kühlung verschafft. Am meisten aber scheint es dem Oldtimer-Liebhaber der Motor angetan zu haben. Das enorme Drehmoment des 3,2-Liter-Reihensechszylinders mit 57 Pferdestärken sorgt für stets willigen Vortrieb. Ruepp schaltet in den höchsten Gang, reduziert das Tempo, um wieder aufs Gaspedal zu treten: Das Auto beschleunigt ohne zu ruckeln und zu spotzen. «Unglaublich, oder?»
«Familie ist grösstes Kapital»
Diese Faszination wird nur noch überboten von Ruepps Liebe für sein Dorf und dessen «freundliche und sympathische Einwohner». Wir machen Halt auf einer Anhöhe, von der aus sich der beste Blick auf Anwils Postkartenmotiv bietet: auf die Dorfstrasse mit ihren dicht aneinander gebauten grossen Bauernhäusern. In diesem Dorf wurde er geboren, hier verbrachte er mit seinen vier Schwestern eine glückliche Kindheit, hier war er Gemeinderat, hier baute er mit seiner um sieben Jahre jüngeren Frau Trudi ein Haus und gründete mit ihr eine Familie. Das Ehepaar hat drei Kinder – Simone, Sabine und Michael – neun Grosskinder und zwei Urgrosskinder; zwei weitere sind unterwegs. Die Familienbande sind eng. Ruepp geniesst es, Zeit mit seiner Frau, seinen Kindern und Kindeskindern zu verbringen, sei es im Ferienhaus der Ruepps in der Westschweiz, bei gegenseitigen Besuchen oder in der Garage und Werkstatt. «Familie», sinniert der Urgrossvater, als er den Rolls-Royce wieder anrollen lässt, «ist das grösste Geschenk im Leben.»
Es war einmal in Kanada
ch. Peter Ruepp war nie ein Autonarr. Autos mussten für ihn stets praktisch und zuverlässig sein. Das änderte sich 1988 bei einem Besuch bei seiner Schwester Helen, die mit ihrem Mann Fredy nach Kanada ausgewandert war. Dort kam ihm ein Katalog mit zum Verkauf stehenden Oldtimern in die Hände. An einem Modell blieb sein Blick haften: einem Essex Super Six, der 1927 in Detroit gebaut worden war. Dabei handelt es sich, mit Ausnahme der Holzspeichenräder, um ein eher unauffälliges Auto mit geschlossener, schwarzer Karosserie. Unspektakulär auch die Leistung: Der Sechszylindermotor mit 2,4 Litern Hubraum und 35 PS vermag das Auto bestenfalls auf 60 Stundenkilometer zu beschleunigen. Aber sein Vater Arnold hatte 1932 ein 1927er-Modell dieser Marke gekauft und zu dessen Andenken beschloss Ruepp, den Essex für umgerechnet 10 000 Franken zu kaufen und in die Schweiz verschiffen zu lassen.
Als ihm sein Schwager später mitteilte, dass der Schiffscontainer längst nicht voll sei, kaufte Ruepp kurzerhand einen zweiten Oldtimer aus jenem Katalog: Dabei handelte es sich um einen Ford A, Baujahr 1929, das offene Nachfolger-Modell des legendären Ford T, von dem 15 Millionen Exemplare vom Fliessband gelaufen waren. Angetrieben wird der Ford A von einem 4,4-Liter-Vierzylinder-Motor mit 45 PS. Höchstgeschwindigkeit: 90 Stundenkilometer. Im Gegensatz zum unscheinbaren Essex ist das gelb-rote Cabrio ein Hingucker, und es laufe auch wesentlich zuverlässiger, wie Ruepp sagt. 12 000 Franken hat Ruepp für dieses Auto hingeblättert. 1990 konnte er die beiden Autos im Basler Rheinhafen in Empfang nehmen.
Für den Rolls-Royce 20 HP mit einer Karosserie von Barker, einem vormaligen Kutschenbauer, den er 1992 in die Schweiz importierte, blätterte der Anwiler 10 000 Franken hin. Im heutigen Zustand schätzt er den Wert des nicht sonderlich raren Rolls-Royce 20 HP auf 80 000 bis 90 000 Franken. Der Handelswert des Ford A liegt gemäss Oldtimer-Index bei rund 50 000, derjenige des Essex bei rund 30 000 Franken. Wobei der Liebhaber nicht daran denkt, sich von seinen Schätzen zu trennen.