Wenn der Zaun zur Falle wird
16.07.2021 Natur, WenslingenRolf Senn
Die sogenannte Fallenjagd ist schon seit Jahrzehnten verboten – trotzdem bleiben Wildtiere in «Fallen» hängen: In Wenslingen wurde vor einigen Tagen ein Kitz aufgefunden, das sich in einem Zaun verfangen hatte. Hans Bieri, Jäger und Jagdaufseher, befreite ...
Rolf Senn
Die sogenannte Fallenjagd ist schon seit Jahrzehnten verboten – trotzdem bleiben Wildtiere in «Fallen» hängen: In Wenslingen wurde vor einigen Tagen ein Kitz aufgefunden, das sich in einem Zaun verfangen hatte. Hans Bieri, Jäger und Jagdaufseher, befreite das bereits ziemlich entkräftete junge Tier.
Hans Bieri schildert die Rettungsaktion: «Früh morgens wurde ich von einem Nachbarn angerufen. Es habe sich ein Reh in einem Zaun verfangen und könne sich nicht mehr befreien. Ich fuhr hin und der Service-Mitarbeiter, der das Reh entdeckt hatte, wartete bereits auf mich. Der hintere Lauf des Tieres hatte sich verfangen – respektive es hat sich eine Schlinge gebildet. Nach meiner Einschätzung war das Tier zwar erschöpft, jedoch nicht stark verletzt, weil sich die Schlinge beim Gelenk gebildet hatte.» Der Service-Mitarbeiter habe den Zaun aufgeschnitten, während er das junge Reh festhielt, so Bieri. Das Kitz habe sofort nach seiner Geiss gesucht und die beiden seien flink im Wald verschwunden.
Jäger und Jägerinnen zurate ziehen
Offenbar sei es bei einer Hautverletzung geblieben, sagt Bieri. Das Tier müsse sich stundenlang in dieser misslichen Situation befunden haben. Zum Glück seien Wildtiere sehr widerstandsfähig. Jedoch: «Nicht alle Unfälle verlaufen so glimpflich.»
Laut Bieri gibt es in unserer Region immer wieder Vorfälle dieser Art. Reflektierende und flatternde Bänder könnten die Wildtiere davon abhalten, einen Zaun zu durch- oder überqueren. Vor allem Zäune, die einen Wechsel durchkreuzen, seien gefährlich, denn auch die Tiere hätten ihre «Wege», die sie regelmässig begehen. Darauf sollte beim Aufstellen eines Zauns unbedingt geachtet werden. Ortskundige Jägerinnen und Jäger kennen laut Bieri diese Wechsel und können zurate gezogen werden. Bieri weiter: «Die Verwendung von Stacheldrahtzäunen ist unterdessen zum Glück verboten.»
Dass jedes Jahr zahlreiche Wildtiere Opfer von Zäunen werden, ist bekannt. Naturschutzorganisationen und Jagdvereine weisen seit einigen Jahren unter anderem mit Merkblättern immer wieder auf die Gefahren hin. Der Erfolg sei allerdings bescheiden, wie es in Jägerkreisen heisst: Die Lebensräume der Wildtiere würden immer mehr beschnitten: Die Wege der Wildtiere endeten zu häufig an Zäunen. Zuweilen würden diese auch an Waldrändern eingesetzt, sodass dem Wild sogar der natürliche Austritt aufs Feld verwehrt bleibe.
Das rät der Tierschutz
rs. Folgende Empfehlungen, die der Bauernverband seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt, gibt der Schweizer Tierschutz (STS) ab:
Ein guter Zaun …
… ist straff gespannt, umschliesst nur die wirklich notwendigen Flächen und wird bei Nichtgebrauch schnellstmöglich wieder entfernt.
… stellt für Weidetiere eine sichtbare und akzeptierte Grenze dar (für Tieraugen sichtbare Farben, Flatter-/Warnbänder).
… hält «schadstiftende» Wildtiere von Feldkulturen respektive Nutztierherden fern.
… ist für Wildtiere sichtbar und – wo immer möglich und sinnvoll – durchlässig.
… verursacht keine Verletzungen, weder bei Menschen noch bei Tieren.
… kann nach Weidegang einfach entfernt werden (Mobilzaun).
«Anforderungen zu 95 Prozent erfüllt»
rs. Samuel Guthauser, Vorstand beim Bauernverband beider Basel, nimmt wie folgt Stellung: «Die Einzäunungen in der Landwirtschaft erfüllen zu 95 Prozent die gestellten Anforderungen. Problematisch sind in einzelnen Fällen Weidezäune, die nur temporär aufgestellt werden. Sind die Zäune nicht fachgerecht montiert, verfangen sich Wildtiere dort eher.»
Mit reflektierenden Bändern wird laut dem Vertreter des Bauernverbands bereits vermehrt gearbeitet. Mais- oder Fruchtfelder würden mit Zäunen geschützt, die zwar Wildtiere abhalten, jedoch nicht verletzen oder töten. Zudem relativiert Guthauser die Problematik etwas: «Im Strassenverkehr müssen einige Wildtiere mehr ihr Leben lassen, weil die Menschen ihre Geschwindigkeiten nicht anpassen. Selbstverständlich haben wir sowohl beim Einzäunen als auch als Verkehrsteilnehmer unsere Sorgfaltspflicht wahrzunehmen.»
NACHGEFRAGT|HOLGER STOCKHAUS,JAGDVERWALTER BEIDER BASEL
«Nur wildtiergerechte Zaunanlagen»
Rolf Senn
Holger Stockhaus ist Jagd- und Fischereiverwalter beim Amt für Wald beider Basel. Er appelliert, Zäune jeweils zeitnah wieder abzubauen, sobald sie nicht mehr gebraucht werden.
Führt das Amt für Wald respektive die Fachstelle Jagd und Fischerei auch Statistik bezüglich der Vorfälle mit Zäunen?
Holger Stockhaus: Es ist Aufgabe der Jagdgesellschaften, Erhebungen für die Jagdstatistik zu machen. In diesem Rahmen erfassen sie auch das sogenannte Fallwild, also alles Wild, welches nicht durch die Jagd zu Tode kommt. Das betrifft alle Arten von Fallwild, wie auch Verletzungen durch Zäune.
Gibt es auch Reklamationen oder Beschwerden?
Gelegentlich, wenn auch eher selten, gibt es Meldungen an die Fachstelle. Diese stammen meist von Jagdgesellschaften, Waldbewirtschaftern oder Naturschutzorganisationen.
Wie beurteilt das Amt die Dringlichkeit, aktiv zu werden?
Es ist bereits aktiv geworden. Mit allen Anspruchsgruppen wurde bei der Erarbeitung des Wildtier- und Jagdgesetzes eine rechtliche Grundlage für die ausschliessliche Verwendung wildtiergerechter Zaunanlagen geschaffen.
Welche Massnahmen wären sinnvoll?
Zäune sollten möglichst spezifisch wirken, indem sie effizient vor jener Wildart schützen, welche Schaden verursachen könnte, aber für andere Wildarten passierbar bleiben. Hier können zum Beispiel Litzenzäune zur Abwehr von Wildschweinen genannt werden. Flexible Weidenetze sind für die Haltung von Nutztieren praktisch, sollten jedoch nur während der Beweidung eingesetzt und anschliessend rasch wieder abgebaut werden. Während der Beweidung sollten sie straff gespannt und für das Wild möglichst gut sichtbar (blau / weiss und gegebenenfalls mit Flatterband) sein. Den im Wald lebenden Tieren soll der natürliche Austritt ermöglicht werden.