HERZBLUT
27.07.2021Gartenfrust
Ich sollte wieder einmal eine Gartenkolumne schreiben. «Was macht euer Reh?», werde ich manchmal gefragt, oder es wird mir Glück mit den Tomaten gewünscht. Ich bin allerdings im Zweifel, ob ich die Serie fortsetzen soll. Denn Gartenkolumnen ...
Gartenfrust
Ich sollte wieder einmal eine Gartenkolumne schreiben. «Was macht euer Reh?», werde ich manchmal gefragt, oder es wird mir Glück mit den Tomaten gewünscht. Ich bin allerdings im Zweifel, ob ich die Serie fortsetzen soll. Denn Gartenkolumnen sollten mithin ja auch lustig sein, doch lustig ist in diesem blöden Jahr nichts! Nichts will mir gelingen! Ich bin ein Gartentotalversager! Ich sollte besser wieder mehr Rennvelo fahren! Selbst Fensterputzen wäre weniger frustrierend.
Seit Jahren rackere ich mich für meine Blümchen ab. Am Anfang gedieh das Gartenbaby bäumig und machte den Gartenvater stolz. Mittlerweile ist unser Umschwung aber in die Pubertät gekommen. Er ist picklig, widerborstig und wächst mir über den Kopf. Neidisch schaue ich auf den gepflegten Gemüse- und Beerenteil, für den meine Frau zuständig ist. Ihr gehorcht der Garten ja aufs Wort! Sie ist eine Gemüsedompteuse, bei der sogar der faulste Fenchel Männchen macht, wenn sie mit der Peitsche knallt. Jedes Löwenmäulchen würde mit Todesverachtung durch den Feuerring springen, wenn sie das verlangte!
Aber eben, die Blumen wachsen in meiner Manege, und wo die Dompteuse ist, ist der Clown nicht weit. Ich habe mich im Frühling bucklig und schmutzig gejätet, stundenlang gepflanzt und alles an Blumensamen wild durcheinander in den Boden gesteckt, was ich aus der Landi forttragen konnte. Es sollte wimmeln vor Blumen in meinem Wimmelgarten, und zum 1. August sollte das Blütenfeuerwerk seinen fulminanten Höhepunkt erreichen.
Gekommen – oder geblieben – ist aber wenig. An vielen Stellen sieht es heute so kahl aus wie im Fünfmeterraum vor dem Fussballtor. Denn plötzlich waren die Schergen des Regens da: Ich habe Blumen gesät und Schnecken geerntet! Sie sind gnadenlos (siehe auch Seite 5). Ich ahne, wie sich Hirten fühlen, deren Schäflein vom Wolf gefressen wurden. Man wünscht den Räubern eine Ladung Blei in den Ranzen! Niemals würde ich es wagen, den biblischen Noah zu kritisieren, doch als er die Nacktschnecken an Bord seiner Arche kriechen liess, hat er wirklich nicht viel studiert! Wenigstens hätte er sie neben den Laufenten einquartieren können. Schnappschnapp.
Wo es nicht kahl ist, ist alles noch viel schlimmer: Ein Gras macht sich breit, vermutlich Hirse. Vor zwei Jahren hatte ich das erstmals bemerkt und gedacht: Schau, wie hübsch das Gräslein blüht, so zittrig und filigran! Jetzt ist es brutal invasiv. Übel auch diese scheinheiligen Jungfern im Grünen, der Mohn, die hinterhältigen Nachtkerzen oder die Ochsenzungen, denen allen ich im Vorjahr zu viel Auslauf gegönnt hatte und die es mir dankten, indem sie Myriaden von Samen auskippten. Schaue ich auch nur einen Moment nicht hin, weben die Pflanzen so dichte Teppiche, dass jeder Berber neidisch würde.
Ja, und jetzt habe ich an drei Stellen auch noch dieses invasive Berufkraut entdeckt. Die nächste Biobombe, die mich verzweifeln lässt. Nächstes Jahr werde ich wegschauen und gehe wieder mehr Rennvelo fahren. Velokolumnen sind wenigstens lustig.
David Thommen, Chefredaktor «Volksstimme»