AUSGEFRAGT | KARL ODERMATT, EHEMALIGER NATI-SPIELER, RICKENBACH
02.07.2021 Rickenbach, Sport«Petkovic ist endlich angelangt, wo er hinwollte»
Karl Odermatt, einst langjähriger Captain der Nationalmannschaft, wandelte sich nach der sensationellen Leistung gegen Frankreich zum euphorischen Fan der Landesauswahl; der besten in ihrer Geschichte, so seine Ansicht. ...
«Petkovic ist endlich angelangt, wo er hinwollte»
Karl Odermatt, einst langjähriger Captain der Nationalmannschaft, wandelte sich nach der sensationellen Leistung gegen Frankreich zum euphorischen Fan der Landesauswahl; der besten in ihrer Geschichte, so seine Ansicht. Auch die FCB-Legende fiebert dem heutigen EM-Viertelfinal gegen Spanien entgegen.
Willi Erzberger
Herr Odermatt, wie haben Sie den Match des Jahrhunderts erlebt?
Karl Odermatt: Zu Hause mit Freunden. So etwas habe ich noch nie erlebt. Das war nach den Vorrundenspielen nicht zu erwarten. Wir wurden von einer Gefühlslage in die andere gerissen. Nach der Glanzleistung von Yann Sommer brachen alle Dämme. Ich bin hingerissen von dieser Mannschaft.
Was hat dieses Ereignis bei Ihnen ausgelöst?
Die Stimmung in unserem Freundeskreis war vor Matchbeginn eigenartig. Einer sprach von einem seltsamen Gefühl, das ihn übermannt habe, und er als Folge bei einem Wettbüro auf die Schweiz gesetzt habe. Ich bestärkte ihn in seiner Meinung und glaubte plötzlich, dass das möglich ist – auch als alles verloren schien. So einen Überlebenswillen hat mir eine Nati noch nie vermittelt.
Wo sehen Sie die Ursachen für diesen unglaublichen Wandel?
Das ist der Sturheit des Trainers zuzuschreiben, die ihm zu oft als Ursache einiger Fehlentwicklungen vorgehalten wurde. Er liess sich nie von seinem Weg abbringen und hinterliess in der Öffentlichkeit deshalb oft den Eindruck eines Unbelehrbaren. Ähnliches erlebte ich unter Helmuth Benthaus, der ebenso stur seine Mannschaft in die erfolgreichste Phase ihrer Klubgeschichte führte.
Wembley, also der Halbfinal, ist bei den «Helden von Bukarest» jetzt schon ein fixes Thema. Vorher aber müssen sie noch in Russland gegen Spanien erfolgreich sein. Schaffen sie das ohne ihren gesperrten Captain Granit Xhaka?
Die beste Schweizer Nationalmannschaft ihrer Geschichte macht mir einen sehr gefestigten Eindruck. Vladimir Petkovic hat sie endlich dorthin gebracht, wo sie schon lange sein wollte. Das werden auch die Spanier zu spüren bekommen. Ich bin guten Mutes.
Sie waren 12 Jahre jung, als sich die Nati erst- und einmalig für den Viertelfinal eines grossen Turniers qualifizierte – an der WM 1954 in der Schweiz. Wie und wo haben Sie dieses Ereignis erlebt?
Auf einem Stuhl, das Ohr an den Radioapparat gepresst. Es konnten nur die drei Landessender Beromünster, Sottens und Monte Ceneri empfangen werden. TV gab es noch keines. Wir wohnten gegenüber dem Gundeli neben dem Bahnhof. Ich führte einen Freudentanz auf, als der Erfolg der Nati verkündet wurde. Damals begann meine Fussballkarriere bei den Junioren von Concordia.
Wembley Stadion in London. Wie und wann erlebten Sie diesen Fussball-Kultort als Spieler der Nationalmannschaft?
Am 9. November 1971 spielten wir um die Qualifikation für die Europameisterschaft gegen England. Es hatte 100 000 Zuschauer, die für eine unglaubliche Stimmung sorgten. Wir lagen 0:1 zurück, als mir später der Ausgleich gelang. Unvergesslich auch die Nationalhymnen: zwei Mal die gleiche. Für die Schweiz damals «Rufst du mein Vaterland».
Wie erlebten Sie die Entwicklung der Nationalmannschaft in einem langen Zeitraum am Ball und dann in der Administration des FC Basel?
Die in vielerlei Facetten ausufernde Entwicklung im Fussballgeschäft wird nicht mehr aufzuhalten sein. Die Folgen und Auswirkungen von Corona könnten aber möglicherweise helfen, exzessive Auswirkungen zu lindern. Die Zeiten der Riesentransfers könnten zu Ende gehen. Es gibt derzeit zu viele namhafte Klubs, die nicht mehr wissen, wie sie ihren teuren Betrieb noch finanzieren sollen.
Auch früher gab es interne Differenzen: Deutschschweizer gegen Romands oder Tessiner. Als Führungsspieler gemeinsam mit Ihrem Freund Köbi Kuhn waren Sie zu Ihrer Zeit für das gute Klima in der Mannschaft verantwortlich.
Als ich Captain der Nati war und mein Freund Köbi Kuhn mein Vorgänger, da regelten wir die Probleme intern in Gesprächen nach Vorgaben der Trainer. Zu meiner Zeit waren das Alfredo Foni, Bruno Michaud, Louis Maurer und René Hüssy.
Wann und gegen wen erhielten Sie Ihr erstes Natiaufgebot?
Das war für das Freundschaftsspiel gegen Norwegen in Bergen am 1. Juli 1964 im Bram-Stadion vor 15 000 Zuschauern. Ich wurde in der 2. Halbzeit eingewechselt für Jean-Claude Schindelholz. Wir verloren 2:3.
Bei Ihren Nachbarn in Rickenbach weht immer die FCB-Fahne. Wird für den heutigen Abend umgerüstet auf Rot mit Schweizerkreuz?
Das habe ich bei ihm veranlasst. Jetzt hängt die Schweizerfahne. Wir sind zuversichtlich, dass wir nach einer langen Nacht abermals um sie herumtanzen werden.
Erinnerungen an Gelson Fernandes
vs. Wenn die Schweizer Nationalmannschaft heute um 18 Uhr auf Spanien trifft, wird die rot-weisse Fanschar im Stadion in St. Petersburg und hierzulande vor den Bildschirmen auf eine Wiederholung des Coups von 2010 hoffen: Damals siegten die Schweizer um den einzigen Torschützen Gelson Fernandes in Südafrika gegen den späteren Weltmeister knapp mit 1:0.