Tempo 30 in Gelterkinden
04.05.2021 Gelterkinden«Blindlings» Zeit sparen – wofür?
Als komplett blinde Verkehrsteilnehmerin mit Führhund bin ich darauf angewiesen, dass alle anderen mich sehen. Autos werden zunehmend leiser, ich kann sie schlechter hören. Je schneller das Tempo der ...
«Blindlings» Zeit sparen – wofür?
Als komplett blinde Verkehrsteilnehmerin mit Führhund bin ich darauf angewiesen, dass alle anderen mich sehen. Autos werden zunehmend leiser, ich kann sie schlechter hören. Je schneller das Tempo der Verkehrsteilnehmer, desto weniger Zeit haben wir, aufeinander zu reagieren. Tempo 30 ist für mich innerorts ein Muss: Die Bremswege, bis ein Auto steht, sind mit Tempo 50 doppelt so lang als mit Tempo 30. Diese durch Tempo 30 gewonnenen Sicherheitsmeter und -sekunden können in Situationen, in denen mein Blindenführhund oder ich einen Fehler machen, unfallverhindernd sein.
Als Mutter von vier Kindern, die teils zu Fuss unterwegs sind,teils auf Velos fahren, habe ich es so oft erlebt, dass das hohe und oft schnelle Verkehrsaufkommen eine erhebliche, für Kinder unberechenbare Gefahr darstellt. Tempo ist für Kinderaugen nicht einschätzbar. Die Entscheidungsfrage lautet also: Als Fahrzeuglenker für sich selbst ein wenig Zeit gewinnen oder beim Bremsen Sekunden und Meter gewinnen, um Leben zu schützen?
Wöchentlich bin ich mit meinem Blindenführhund in der Sissacher Begegnungszone unterwegs. Das gemeinsame Nutzen des «Strichcodes» durch Autofahrer, Velos, Töfflis (bei Tempo 20) und Fussgänger empfinde ich dort als viel angenehmer, regelmässiger, einschätzbarer und gemütlicher. Selbst mittags mit den vielen Schulkindern beobachte ich in Sissach ein geordneteres und fliessenderes Miteinander als in Gelterkinden. Auch dort bestehen Gefahren, aber die eingesetzte Mehrzeit der schnellen Verkehrsteilnehmer ist geschenkte Sicherheitszeit für die Langsameren, Schwächeren oder Blinden wie mich.
Wenn wir bereit sind, ein höheres Verkehrsaufkommen zu akzeptieren, weil wir «mobil» sein wollen, müssen wir auch bereit sein, diesen Verkehr sinn- und massvoll zu regeln. Ich meine eindeutig, dass wir damit beginnen sollten, unser Gelterkinden für Fussgänger sicherer zu gestalten. Tempo 30 ist für mich als blinde Mutter der richtige Weg. Am 13. Juni liegt es an den Stimmberechtigten, weiterhin «blindlings» Zeit zu sparen oder mit einem Ja zu Tempo 30 den Überblick zu gewinnen.
Vera Weber, Gelterkinden