Nur der Wandel bleibt
20.05.2021 RatgeberWährend meiner Praxistätigkeit ist mir oft aufgefallen, dass es Menschen gibt, bei denen sich wie ein roter Faden bestimmte Ereignisse oder Themen durch ihr Leben ziehen und für sie charakteristisch sind. Bei mir ist dieser rote Faden das Interesse an der Hirnforschung. Die ...
Während meiner Praxistätigkeit ist mir oft aufgefallen, dass es Menschen gibt, bei denen sich wie ein roter Faden bestimmte Ereignisse oder Themen durch ihr Leben ziehen und für sie charakteristisch sind. Bei mir ist dieser rote Faden das Interesse an der Hirnforschung. Die vielseitigen und sich stets ändernden Erkenntnisse beeinflussen die Lehre der Psychologie, aber auch der Gesellschaftswissenschaft, Gebiete, mit denen ich mich seit meinem Studium und während der Praxistätigkeit immer beschäftigt habe. «Nichts ist so beständig wie der Wandel», dieses Zitat von Heraklit von Ephesus trifft auf diese Forschungsrichtungen in besonderem Masse zu.
Seit meiner Pensionierung habe ich genügend Zeit, diesen Wandel zu verfolgen. Ich möchte in Zukunft einige Aspekte beschreiben, die für den Menschen oder die Natur von Bedeutung sein könnten und sich nach den neuesten Erkenntnissen gewandelt haben. Wir hängen gerne an einfachen Erklärungen, die einander weitererzählt oder sogar gelehrt werden, aber bei genauerer Betrachtung nicht logisch sind und den neuesten Erkenntnissen widersprechen. Zum Beispiel habe ich früher, wie alle anderen auch, an sportmedizinischen Weiterbildungen den Muskelkater als Folge einer Übersäuerung der Muskulatur beschrieben. Eigentlich wusste ich damals bereits, dass eine solche Übersäuerung höchstens Stunden dauert, bis sie kompensiert ist. Der Muskelkater tritt aber meist 1 bis 2 Tage nach starker Belastung auf und kann daher gar kein Zeichen des überlasteten Stoffwechsels sein. Heute erklärt man sein Entstehen darum durch kleine Verletzungen der Muskelfasern, die geheilt werden müssen. Man übernimmt offenbar Theorien, ohne diese infrage zu stellen.
Einen wichtigen Wandel hat die Genforschung ausgelöst. Wohl nicht in dem Sinne, wie man das Genforschungsprojekt eingeleitet hat. Man wollte gezielt Gene finden, die verantwortlich sein könnten für eine Krankheit wie Diabetes oder bestimmte Krebsformen, um diese dann gezielt diagnostizieren oder bekämpfen zu können. Es zirkulieren in der Laienpresse heute noch Begriffe wie das «Intelligenz-Gen» oder das «Übergewichts-Gen», und so weiter. Die Analyse des menschlichen Genoms (den gesamten Satz des Genaufbaus) hat Milliarden gekostet, heute kann man sein Genom für 300 Franken bestimmen lassen. Meine Ahnung hat sich bewahrheitet, dass nicht ein Gen alleine verantwortlich ist für eine bestimmte Eigenschaft, wie man gedacht hat, sondern es zuerst zehn, nach heutigem Wissen eher tausend Gene sind, die eine Eigenschaft mitbestimmen. Zu viele, um eine einfache Aussage zu machen. Mit mathematischen Methoden wird versucht, trotzdem einige wichtige Erkenntnisse zu gewinnen. Wir können Gene vergleichen und ihre Herkunft bestimmen. Das führt dazu, dass einige überzeugt gelehrte und geglaubte Theorien und Lehrmeinungen auf den Kopf gestellt werden. Sie müssen neu überdacht werden.
Je mehr Wissen wir anhäufen, desto schwieriger wird es, dieses Wissen einzuordnen. Auch hier gilt: So einfach, wie man gedacht hat, funktioniert es nicht. Diese neuen Aspekte eröffnen neues Wissen und mit diesen faszinierenden neuen Betrachtungsweisen beschäftige ich mich.
Max Handschin war bis 2018
Hausarzt in Gelterkinden und Zunzgen. Seit seiner Pensionierung verfolgt er interessiert den Wandel in Medizin und Wissenschaft.