Der Gemeinderat muss über die Bücher
05.03.2021 SeltisbergIm dritten Anlauf hat es geklappt. Die Seltisberger konnten ihre Budget-Gemeindeversammlung in Liestal abhalten. Allerdings wurde der Voranschlag an den Gemeinderat zur Überarbeitung zurückgewiesen – auf der Basis des neuen Steuerfusses von 55 Prozent. Der Gemeinderat hatte 59 Prozent ...
Im dritten Anlauf hat es geklappt. Die Seltisberger konnten ihre Budget-Gemeindeversammlung in Liestal abhalten. Allerdings wurde der Voranschlag an den Gemeinderat zur Überarbeitung zurückgewiesen – auf der Basis des neuen Steuerfusses von 55 Prozent. Der Gemeinderat hatte 59 Prozent beantragt.
Christian Horisberger
«Eine Steuererhöhung ist nichts Schönes. Ich bin sicher, dass alle hier im Saal nur das Beste fürs Dorf und für die Gemeinschaft wollen. Bitte halten Sie das Allgemeininteresse im Auge, auch wenn Individualinteressen nicht berücksichtigt zu sein scheinen.» Der Appell der Seltisberger Gemeindepräsidentin Michaela Schmidlin-Wiesner bezog sich auf die beantragte massive Erhöhung des Gemeindesteuerfusses um 7 auf 59 Prozent der Staatssteuer. Er verhallte an der Budget-Gemeindeversammlung in der Liestaler Kasernensporthalle mit 170 Teilnehmenden nahezu ungehört. In der Schlussabstimmung wurde die Steuererhöhung um 7 Prozentpunkte mit 146 gegen 12 Stimmen abgeschmettert und gleichzeitig das Budget auf der Basis von 59 Steuerprozenten zurückgewiesen.
Stattdessen folgte die Versammlung ebenso deutlich dem Gegenantrag von Paul Nyffeler, den Gemeindesteuerfuss um lediglich 3 auf 55 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig wurde der Gemeinderat beauftragt, dem Souverän auf der Basis dieses Steuersatzes ein neues, ausgeglichenes Budget vorzulegen. Dies muss bis spätestens Ende April erfolgen. Bis zu diesem Termin hat der Regierungsrat aufgrund der Corona-Pandemie die Frist für die Absegnung der Gemeindebudgets verlängert.
«Ein Sanierungsfall?»
Nyffeler hatte seinen Antrag mit starken Worten untermauert: Als er sich mit dem Budget befasste, sei sein erster Eindruck gewesen, dass Seltisberg «ein Sanierungsfall» sei. Bei nä- herem Hinschauen habe sich dieser Eindruck verflüchtigt. Die Gemeindefinanzen liessen sich ins Lot bringen, wenn sorgfältiger mit dem Geld umgegangen werde, so Nyffeler. Als Beispiel nannte der frühere Baselbieter Finanzdirektor die Ausgaben in der Bildung. Seltisberg beschäftige für 5 Klassen 23 Personen. Dadurch ergäben sich Koordinationsprobleme, worunter die Effizienz leide. Er forderte vom Gemeinderat, gleich sämtliche Aufgaben zu durchleuchten – «Wer macht was mit wem und wie lange?» – und auf dieser Basis einen neuen Finanzplan zu erstellen. «Wenn man das seriös und gut macht, haben wir in zwei bis drei Jahren eine ganz andere Ausgangslage.»
Der grosse Applaus für Nyffelers Antrag deutete darauf hin, dass er dem Grossteil der erschienenen Seltisbergerinnen und Seltisberger aus dem Herzen – und dem Portemonnaie – sprach. Mehrere Votanten schlossen sich Nyffeler an: 55 Prozent und Zurückweisung. Einer von ihnen, Roland Pümpin, sparte nicht mit Kritik am Gemeinderat. So sei ihm unverständlich, wie der Gemeinderat Mitte vergangenen Jahres angesichts der happigen Defizite der Gemeinde den Bau des Rebhaldenwegs für 700 000 Franken hat traktandieren können. Keinerlei Verständnis zeigte Pümpin auch für das seiner Meinung nach fehlende Fingerspitzengefühl des Gemeinderats angesichts der Corona-Pandemie. Viele Menschen hätten deswegen Probleme. Es sei ungeschickt, in dieser Situation die Steuern massiv zu erhöhen. «Der Gemeinderat scheint auf einer Insel zu leben», sagte er.
Auch der frühere Gemeindeverwalter Seltisbergs, Hans Rudolf Held, äusserte seine Bedenken an der massiven Steuererhöhung, wie es sie im Kanton noch nie gegeben habe. Es gebe Möglichkeiten, zu sparen. Diese zu eruieren, sei die Aufgabe des Gemeinderats. Eine Steuererhöhung ohne Rückweisung des Budgets schloss der Ex-Verwalter aus. Denn dadurch wäre der Gemeinderat ermächtigt, die im Budget enthaltenen Ausgaben zu tätigen, so Held.
RGPK erzeugt «Gegendruck»
Auch die Rechnungs- und Geschäftsprüfungskommission (RGPK) beantragte, das Budget zurückzuweisen. Jedoch schlug sie ein Plus von 6 anstatt nur 3 Steuerprozenten vor. Präsidentin Yvonne Reichlin stellte klar, dass es aus Sicht der RGPK eine Steuererhöhung braucht, da die Kosten mit dem aktuellen Steuerfuss nicht zu decken seien. Jedoch «wollen wir nicht Steuern zahlen für Projekte, die in der Luft schweben», so Reichlin. «Ohne Gegendruck hat jedes Gemeindewesen die Tendenz, seinen Handlungsspielraum auszudehnen.»
Ein Fragezeichen setzte Reichlin hinter den Budgetposten von 23 300 Franken für einen Workshop, in dem Landeigentümer im Hinblick auf drohende Auszonungen animiert werden sollen, ihre Baulandparzellen zu überbauen oder an Bauwillige zu veräussern.
Finanzchefin Miriam Hersche ging auf die geäusserte Kritik ein. Unter anderem merkte sie an, dass die Gemeinde auf die erheblichen Bildungskosten nur minimen Einfluss nehmen könne. «Wir leben schön auf unserer Hochebene, deswegen haben wir gegenüber anderen Gemeinden aber keine Sonderrechte.» Andere in der Debatte genannte Beanstandungen am Budget klärte sie auf. Beispielsweise seien die stark angestiegenen Beraterhonorare lediglich die Folge einer Verschiebung im Finanzplan.
Doch die Meinungen waren längst gemacht. So hätte sich Hersche wohl auch ihre einführenden Erläuterungen zu Voranschlag und Steuerfuss sparen können: Sie hatte unter anderem angemerkt, dass die Gemeinde ihre teils marode Infrastruktur laufend unterhalten müsse. Zudem habe Seltisberg einen sehr grossen Anteil betagter Einwohnerinnen und Einwohner, was die Kosten für die Alterspflege und -betreuung in die Höhe treibe. Das Eigenkapital sei mit rund 1000 Franken pro Kopf sehr tief und der Steuerfuss der tiefste im Bezirk Liestal.
Mit dem Entscheid des Souveräns gibt Seltisberg den Spitzenplatz als steuergünstigste Gemeinde des Bezirks nun an Augst (53 Prozent) ab. Immerhin: Mit 55 Prozent bleibt das Dorf jedoch unter dem Durchschnitt von 57,75 Prozent (Stand 2020).
Die Versammlung hiess im Weiteren die Revision des in die Jahre gekommenen Steuerreglements gut, wobei auf Antrag aus der Versammlung darauf verzichtet wurde, die Fälligkeit der Gemeindesteuern um drei Monate auf Ende September vorzuverlegen. Diskussionslos zugestimmt wurde der Gründung einer Kommission Alters- und Pflegeregion Liestal. Ferner wählte der Souverän Janine Freivogel als neues Mitglied des Schulrats der Sek Liestal sowie die gesamte kommunale Sozialhilfebehörde.