50 Jahre Frauenstimmrecht (II): Politikerinnen setzen sich im Bundeshaus durch

Die Frauenquote im Nationalrat ist so hoch wie noch nie. Seit 1983 machen auch Baselbieterinnen engagiert Politik in Bern. Viele Frauenanliegen konnten realisiert werden – aber nicht nur durch die Frauen.

Andrea Mašek

Im Herbst 1971 wurden zehn Nationalrätinnen und eine Ständerätin ins Parlament gewählt. 1983 stiess die erste Baselbieterin dazu: Angeline Fankhauser (SP). Ruth Gonseth-Egenter (Grüne) aus Liestal war 1991 die erste Frau aus dem oberen Kantonsteil im Nationalrat, auf sie folgte 2001 Maya Graf.

Mit knapp 40 gehörte die Sissacherin damals zu den Jüngsten und hatte auch noch Kinder – damit war sie eine grosse Ausnahme. Erst 24 war Samira Marti (SP), als sie im Jahr 2018 für Susanne Leutenegger Oberholzer nachrückte. Dass sie so jung war, liess man sie spüren – vor allem medial sei ihr Alter stark thematisiert worden, sagt sie auf Anfrage. Graf erzählt, sie sei gut aufgenommen worden. In ihrer Fraktion sowieso, die Grünen hätten immer schon auf Gleichstellung der Geschlechter geachtet.

Auch Nationalrätin Daniela Schneeberger (FDP) wurde 2011 sehr gut aufgenommen. Dass sie eine Frau war, sei nie Thema gewesen. Heute könne es sogar ein Vorteil sein, eine Frau zu sein, findet Schneeberger. Das sei in Führungsfunktionen in der Wirtschaft und in der Politik so: «Wahlgremien suchen ganz aktiv nach Frauen.»

Mehrheitlich mutiger
Die Frauenquote im Nationalrat ist mit 42 Prozent so hoch wie noch nie. Das Baselbiet stellt in dieser Legislaturperiode fünf Nationalrätinnen – vier davon aus dem Oberbaselbiet – und zwei Nationalräte.

Im Bundesrat beträgt der Frauenanteil 42,9 Prozent. 2010/11 hatten die Frauen in der Schweizer Regierung sogar die Mehrheit inne. Die ehemalige Bundesrätin Doris Leuthard sagte nach ihrem Rücktritt, mit der Frauenmehrheit habe der Bundesrat mutigere Entscheide getroffen als vorher und nachher.

Im Ständerat schwankt der Frauenanteil, im Moment beträgt er 26,1 Prozent. Seit 2019 vertritt Maya Graf das Baselbiet als erste Frau im Ständerat. Sie sei Nationalratspräsidentin gewesen und von daher bekannt und akzeptiert. «Für andere, für jüngere, ist es schwierig im Ständerat», weiss sie. Es gälten ungeschriebene Regeln, die die bisherigen, meist älteren Ständeherren zelebrierten. Letztere hätten zuerst Angst gehabt, dass sich etwas ändere. Doch nun lernt man(n) sich besser kennen und Vorurteile werden abgebaut.

Tabu gebrochen
Laut Graf weht seit 2019 ein moderner Wind durchs Bundeshaus. Sie schätzt die vielen Frauen und die vielen jungen Politikerinnen und Politiker. «Der Umgang ist lockerer und überparteilicher geworden.» Sie sagt, die Neuen brächten eine neue Kultur nach Bern. Die Vielfalt der Gesellschaft sei endlich besser in der Politik abgebildet und das Parlament familienfreundlicher. Es gibt nun ein Stillzimmer, Kinder kommen zu Besuch mit den Grosseltern, es wird ein Betreuungspersonalzimmer eingerichtet und so weiter.

Themenschwerpunkte sind für die Jüngeren Digitalisierung, Umwelt und Familie. Aber schon Angeline Fankhauser sah sich als Familienpolitikerin, setzte sich für Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie für Tagesmütter ein. Dank des Engagements der ersten Parlamentarierinnen wurde die Stellung von unverheirateten Müttern verbessert. Sie kämpften für ein neues Eherecht, das den Frauen seit 1988 ermöglicht, selber zu entscheiden, ob sie berufstätig sind und was mit ihrem Vermögen geschieht.

Das Thema «Gewalt in der Ehe» – vorher ein Tabu – wurde durch die Politikerinnen eingebracht, ebenso die Fristenlösung und der Mutterschutz. Im Jahr 1996 trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft. In diesem Jahrtausend sind weitere Gesetze erlassen worden, die Forderungen der Frauen erfüllen, zum Beispiel die Einführung einer Mutterschaftsversicherung, die Verbesserung der Kinderbetreuung und die Verlängerung der Schulzeiten.

Erfolgreiche Allianzen
«Und dann hiess es: ‹Jetzt habt ihr alles.›», sagt Maya Graf. Doch die tatsächliche Gleichstellung war und ist noch nicht erreicht, weder punkto Lohn noch Vereinbarkeit oder Familien- und Betreuungsarbeit. Seit 2019 sind letztere beide Themen wieder aktuell, wie auch die Individualbesteuerung sowie die Umsetzung der Istanbul-Konvention, des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt.

Es ist aber nicht so, dass ein Parlament mit mehr Frauen grundsätzlich frauenfreundlichere Politik macht. «Politik für alle Frauen wird eher von allen Frauen unterstützt», weiss Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer, doch politische Anliegen, die nur einen Teil der Frauen – zum Beispiel nur Berufstätige oder nur Mütter – beträfen, könnten nicht auf alle zählen. In erster Linie sind Frauen Mitglieder einer Partei. «Deshalb ist den Parlamentarierinnen in der Regel der Parteikollege näher als die Ratskollegin vom anderen politischen Pol», sagt Bütikofer. Erfolgreiche Frauenallianzen gäbe es, wenn alle Frauen gleichermassen von einer Gesetzgebung profitieren, wie etwa beim neuen Ehe- und Erbrecht, bei AHV-Revisionen oder der Fristenlösung.

Mit anderen Voraussetzungen
Ob Frauen anders politisieren als Männer, darüber scheiden sich die Geister. Nein, sagen die einen, weil Politikerinnen und Politiker den gleichen Regeln unterworfen seien. Doch, sind andere überzeugt, denn Frauen hätten andere Lebenserfahrungen gemacht und besässen andere Präferenzen, die sie einbringen.

«Frau sein ist kein politisches Programm – aber eine soziale Klasse. Frauen bringen darum andere Lebensrealitäten mit in die Politik», führt Samira Marti aus. «Sie erleben viel öfter Gewalt, Armut und Unterdrückung. Sie leisten gratis Pflegeund Sorgearbeit. Das prägt und kann dazu führen, dass andere politische Prioritäten gesetzt werden.» Schneeberger sagt kurz und bündig: «Frauen sind Frauen und Männer sind Männer – das ist in jedem Bereich so, also auch in der Politik.»

Bessere Rahmenbedingungen
Im 20. Jahrhundert politisierten Frauen minim linker als Männer. Gemessen am Stimmverhalten politisiert die typische Nationalrätin heute ungefähr auf der Linie der EVP. Fakt ist, dass Frauen in linken Parteien besser vertreten sind als in rechten. Im Nationalrat zum Beispiel ist die Frauenquote bei der SP 50 Prozent, bei der SVP liegt sie bei 13 Prozent. Dies, obwohl die Basis der SVP 40 Prozent Frauen zählt.

Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer sagt, auf den Wahllisten nehme der Frauenanteil deutlich zu und war 2019 mit 40 Prozent so hoch wie noch nie. «Grundsätzlich entspricht der Anteil der gewählten Frauen seit geraumer Zeit ungefähr dem Anteil Frauen auf den Listen», erklärt Bütikofer, «und für die Nominierungen sind die Parteien zuständig. Das heisst, diese müssen einen Effort vor allem leisten.»

Zudem müssen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. «Wenn Elternzeit, Tagesstrukturen und Ganztagesschulen etabliert sind, ist es für Mütter einfacher, neben Beruf und Familie noch ein politisches Amt zu übernehmen», sagt Bütikofer und verweist auf fortschrittlichere europäische Staaten, die zudem Quoten kennen.

Gegen Vorurteile kämpfen
Mindestens 40 Jahre kämpften die Frauen gegen Vorurteile der Bevölkerung und ihrer Fraktionskollegen: Ihre politische Erfahrung war weniger wert als die der Männer und volkswirtschaftliche oder finanzpolitische Kompetenzen wurden ihnen nicht zugetraut. Angeline Fankhauser erzählte einst Radio SRF, dass sie als Frau eher die kleinen Dossiers erhielt und richtiggehend für wichtige Dossiers kämpfen musste.

Maya Graf sagt, in den 1990erund 2000er-Jahren «hat man sich als Frau doppelt beweisen müssen, seinen Platz erkämpfen müssen, damit man akzeptiert wurde». Allerdings nicht bei den Grünen. Rollenklischees werden laut Graf heute noch verbreitet, insbesondere von den Medien. Diese kritisierten Frauen etwa für ihr wenig staatsmännisches Auftreten oder für ihre weiblich höheren Stimmen. «Der Politiker ist noch oft die Norm, die Politikerin die Exotin, die sich anpassen muss», sagt Graf.

Sarah Bütikofer bilanziert: «Die Politik reflektiert wie Arbeitswelt und häuslicher Bereich auch, dass die Gleichstellung in der Schweiz noch nicht erreicht ist.» Erst wenn es so weit ist, ist wirkliche Demokratie möglich und können langfristige Lösungen für die gesamte Gesellschaft erreicht werden. «Dann geht es auch nicht mehr um das Geschlecht», so Maya Graf, «sondern um die Persönlichkeit und das Handeln einer Person.»

Für Frauen in Bern viel erreicht

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