Ein Markenzeichen wird Geschichte
02.02.2021 RothenfluhTrockenheit hat Baumriesen verdursten lassen
Die grosse und etwa 230 Jahre alte Tanne im Rothenflüher Gemeindebann ist abgegangen. Im Stamm, der nicht gefällt wird, ist bereits der Specht eingezogen.
Otto Graf
Sie steht im Waldgebiet Rottannen – ...
Trockenheit hat Baumriesen verdursten lassen
Die grosse und etwa 230 Jahre alte Tanne im Rothenflüher Gemeindebann ist abgegangen. Im Stamm, der nicht gefällt wird, ist bereits der Specht eingezogen.
Otto Graf
Sie steht im Waldgebiet Rottannen – und ist eine Weisstanne. Im Dorf heisst sie schlicht «die grossi Danne». Sie ist tatsächlich eine stattliche Erscheinung und steht nur ein paar Schritte neben einem Wanderweg. Ob es sich um die mächtigste Tanne der Nordwestschweiz handelt, wie ein Leser in einem Brief an die «Volksstimme» vermutet, ist nicht sicher. Im Gemeindebann Rothenfluh führt sie mit einer Höhe von gut 40 Metern, einem Stammumfang von 4,11 Metern, einem Durchmesser von 1,31 Metern auf Brusthöhe (BHD) und einem Holzvolumen von mehr als 20 Kubikmetern seit 25 Jahren die Hitliste an.
Revierförster Markus Lüdin schätzt ihr Alter auf rund 230 Jahre. Folglich entwickelte sich um etwa 1790 nahe der damaligen Landesgrenze zu Vorder-Österreich aus einem Samen im Zuge der grossflächigen Aufforstung des zuvor landwirtschaftlich genutzten Bodens bald eine vitale Pflanze. Sie trotzte Sturmwinden und dem Schneedruck, widerstand dem Borkenkäfer und wurde zudem von der Säge verschont. Erst die langen Trockenperioden in jüngster Zeit machten ihr mehr und mehr zu schaffen. Die Farbe des Nadelkleids wechselte von Dunkelgrün zu Rostrot. Die Tanne verdurstete von der Krone her buchstäblich. Dafür ist bereits der Specht eingezogen. Zahlreiche andere Gäste werden folgen.
In die Ära der grossen Tanne fallen einige historische Ereignisse. Im Sämlingsalter des Baums um 1789 versenkte das französische Volk mit dem Sturm auf die Bastille die absolute Monarchie und leitete eine Freiheitsbewegung ein, die auch auf andere Länder übergriff. Im Stangenholzalter der Tanne in den 1830er-Jahren spaltete sich die hiesige Landschaft von der Stadt ab und wurde zum eigenständigen Kanton. Bei der Gründung des Bundesstaats 1848 dürfte der Stamm bereits 30 Zentimeter dick gewesen sein.
Wohl erst vor etwa 100 Jahren kristallisierte sich heraus, dass hier dank optimaler Bedingungen ein prächtiges, aber keineswegs aussergewöhnliches Exemplar heranwachsen würde. Der Baum ist nicht höher als viele Stämme in der Umgebung. Einzig das Dickenwachstum und somit das Volumen unterscheiden diese Tanne von anderen. In einem Wirtschaftswald mit einer Umtriebszeit von etwa 120 Jahren hat die Weisstanne im Gebiet Rottannen mit etwa 230 Lenzen ein stattliches Alter erreicht. Im Urwald kann sie bis 500 Jahre alt werden.
Bleibt als Naturdenkmal erhalten
Ein Nachbar des Baums, Hans Rhyner, der ennet der Kantonsgrenze ein Ferienhaus besitzt, habe sich seinerzeit anerboten, den Baum täglich mit 1000 Litern Wasser zu versorgen, berichtet der Revierförster. Leider, meint Lüdin, sei das Angebot zu spät gekommen und hätte die Tanne nicht mehr retten können. Der Baum wird indes nicht gefällt und bleibt als Naturdenkmal wohl noch zwei Jahrzehnte stehen. Das haben der Gemeinderat und der Förster schon vor geraumer Zeit entschieden.
Abgelehnt wurde ein Angebot eines Schreiners, der den Stamm kaufen wollte, um daraus Möbel zu fabrizieren. Es sei doch schade um das schöne Holz, das im Gegensatz zur Fichte nicht harzt, begründete der Interessent sein Angebot.
Die Frage, wo die höchste Tanne steht, lässt sich nur schwerlich beantworten. Der Revierförster vermutet sie in einem der steilen und schattigen Hänge der Gräben, die sich ins Dübachtal hinunterziehen, etwa im Mülistettgraben. Dieser Graben ist jedoch noch für Wochen wegen zahlreicher Stämme, die den Weg blockieren, nicht begehbar. Zudem streben seit einigen Jahrzehnten mit der Douglasie und der Thuja Nadelbaumkollegen aus Nordamerika himmelwärts, welche die Tanne und die Fichte klar überflügeln können.
In Rothenfluh wurden in der Vergangenheit alle rund 150 000 Stämme der Bürgergemeinde periodisch mit einem BHD von 16 Zentimetern und mehr in den sogenannten Wirtschaftsplänen in jeder Waldabteilung manuell erfasst. Die Grundlagen der heutigen Waldentwicklungspläne werden nun nur noch auf bestimmten Referenzflächen erhoben und dann auf die gesamte Bestandesfläche des Forstreviers hochgerechnet. Wo der höchste, der dickste oder der älteste Baum steht, weiss daher niemand genau, zu gross ist die Auswahl.