CARTE BLANCHE
20.11.2020 PolitikEin Corona, viele Meinungen
Stefan Degen, Landrat FDP, Gemeindepräsident a.i., Gelterkinden
Nachdem wir in der Schweiz nach einem schönen und doch recht uneingeschränkten Sommer meinten, dass wir es im Griff hätten, hat uns die ...
Ein Corona, viele Meinungen
Stefan Degen, Landrat FDP, Gemeindepräsident a.i., Gelterkinden
Nachdem wir in der Schweiz nach einem schönen und doch recht uneingeschränkten Sommer meinten, dass wir es im Griff hätten, hat uns die Wahrheit im Oktober umso heftiger eingeholt. Die Fallzahlen stiegen gleichzeitig mit den letzten Sonnenstrahlen, also in dem Moment, wo wir daheim die Heizung anwarfen und uns vermehrt in den eigenen vier Wänden aufhielten.
Sofort kamen auch die Einschränkungen wieder, zwar differenzierter als im Frühling, dennoch immer stärker. Nun werden sogar wieder Forderungen laut, dass Restaurants geschlossen werden sollen und im Privatleben sich nur noch Personen aus maximal zwei Haushalten treffen dürfen.
Bei all diesen Diskussionen verweist man auf Experten. Ich wage es, hier nachzuhaken, welche Experten es denn sind. Es gibt in dieser Pandemie offenbar nur eine Art von Experten, die zugelassen sind: Jene des Bundesamts für Gesundheit (BAG), die sich intensiv mit Viren und ihrer Verbreitung befasst haben. Ich anerkenne das und zweifle keinen Moment an den Fähigkeiten dieser Personen. Ich bin einfach etwas erstaunt, dass wir in der Schweiz normalerweise eine Vielzahl von Experten zu Themen miteinbeziehen und am Ende als Gesellschaft entscheiden, was wir tun wollen.
In der aktuellen Pandemie ist das schwierig, die Zeit drängt und die Komplexität ist hoch. Dennoch, es gibt noch andere Sichten auf das Thema und seien es Ökonomen, Psychologen, Sozialwissenschafter oder ganz einfach die Bevölkerung: Es ist nur einem Teil der Gesellschaft geholfen, wenn wir uns um jeden Preis nur auf das Virus fokussieren. Hier liegt ein klassischer Zielkonflikt vor.
Die Ökonomen vertreten die kleinen Betriebe wie die Gastronomen, die mittlerweile zu einem grossen Teil am Rand der Existenzsicherung angelangt sind, die Psychologen vertreten jene Menschen, die sonst schon Probleme haben und nun unter den aktuellen Einschränkungen zusätzlich leiden, die Sozialwissenschafter vertreten unsere Kultur und unsere Gewohnheiten. Die Bevölkerung vertritt nur sich selbst, aber auch sie will möglicherweise endlich etwas zur Situation sagen. Wir werden nicht alle Ziele erreichen können, aber wir müssen auch darauf achten, dass wir als Gesellschaft dabei nicht untergehen, und dazu müssen wir versuchen, allen Anspruchsgruppen gerecht zu werden.
Damit das aber funktioniert, müssen wir wieder diskutieren. Die Diskussion kam von Beginn weg etwas ins Stocken, weil sich die Positionen sehr rasch auf zwei Pole reduzierten, die sogenannten Corona-Leugner und die «Experten». Es gibt aber ein grosses Spektrum dazwischen. Ich persönlich werde mich so rasch wie möglich gegen Corona impfen lassen. Ich mag gesellige Anlässe und mir ist es wichtig, dass unsere Wirtschaft funktioniert, denn nur dadurch können wir die vielen Wünsche, die in unserer Gesellschaft vorhanden sind, erfüllen. Alle, die diese Zeilen lesen, werden irgendwo ihre Schwerpunkte setzen, das ist richtig so und soll die Basis für weitere Diskussionen sein. Wir sollten uns aber von dieser einen Position lösen und nun wieder darüber diskutieren, was uns wichtig ist und was wir in den hoffentlich nur noch wenigen Monaten dieser Pandemie priorisieren wollen.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.