«Oberbaselbieter Invasion» in der Armee
06.11.2020 SportMilitärsport | Bachmann, Gaio und Züger absolvieren die Spitzensport-RS
Beret statt Stirnband, Uniform statt Trainingsanzug, Kampfstiefel statt Turnschuhe – drei Oberbaselbieter sind vergangene Woche in die Spitzensport-RS eingerückt. Die Armee bietet ...
Militärsport | Bachmann, Gaio und Züger absolvieren die Spitzensport-RS
Beret statt Stirnband, Uniform statt Trainingsanzug, Kampfstiefel statt Turnschuhe – drei Oberbaselbieter sind vergangene Woche in die Spitzensport-RS eingerückt. Die Armee bietet Sofie Bachmann, Finley Gaio und Joanne Züger die Möglichkeit, wie Profis zu trainieren.
Sebastian Wirz
Was haben Skifahrerin Michele Gisin, Mountainbiker Nino Schurter, Snowboarder Iouri Podlatchikov und Ruderin Jeannine Gmelin gemeinsam? Sie alle haben eine Goldmedaille von olympischen Spielen oder einer Weltmeisterschaft zu Hause hängen – und sie haben alle die Spitzensportler-RS absolviert. Auf ihren Spuren wandeln seit vergangener Woche auch zwei Oberbaselbieter Athletinnen und ein Athlet: Sofie Bachmann, Joanne Züger und Finley Gaio sind am 26. Oktober eingerückt. Also: Antreten!
«Wir alle wissen, dass wir privilegiert sind», sagt Joanne Züger. Die Sissacher Tennisspielerin wird auf der Weltrangliste der Frauen als Nummer 566 geführt. Im Sommer hat sie die Sportklasse am Gymnasium Liestal abgeschlossen und dabei den Sportpreis erhalten. Nach reinen Trainingsmonaten und zwei Turnieren in Portugal ist aus Profi-Tennisspielerin Züger nun erst einmal Rekrutin Züger geworden. «Die ersten beiden Wochen haben Spass gemacht. Es ist halt Militär, da macht man vielleicht Dinge, die man nicht so gerne macht, sieht vielleicht nicht so aus, wie man wollte, die Frisur sitzt einmal nicht», erzählt sie auf Anfrage, «aber auch das Militärische hat mir bisher gefallen.»
Als «privilegiert» bezeichnet sich die 21-Jährige, weil die Spitzensport-Rekruten keinen «normalen» Militärdienst leisten. In den ersten drei Wochen herrscht Anwesenheitspflicht in Magglingen. Da haben die Athletinnen und Athleten am Morgen in Uniform anzutreten und der Alltag ist militärisch organisiert. Aber auch während dieser Grundausbildung sind sie täglich am Nachmittag fürs Training freigestellt. Nach diesen ersten Wochen sind bis zum Schluss der RS Ende März auch mehrere Einheiten täglich möglich, und die Sportler müssen nicht mehr immer in Magglingen präsent sein. Zudem zahlt der Bund den Spitzensportlern einen Lohn.
Tagesrhythmus zurückgebracht
Für Züger bringt das Militär einen Tagesrhythmus zurück, den sie seit dem Abschluss des Gymnasiums nicht mehr gekannt habe: «Ich bin froh über diese Struktur. Wegen Corona fallen Turniere aus und ich trainiere einfach ins Blaue hinaus, ohne klares Ziel. Das ist von der Motivation her nicht einfach», sagt sie. Die RS sorgt auch auf dem Tenniscourt für einen Tapetenwechsel. Züger trainiert nun im nationalen Leistungszentrum in Biel, nur wenige Kilometer von Magglingen entfernt. «Das Militär ist für mich auch eine Chance, etwas Neues zu erleben, etwas anderes zu tun und einmal von zu Hause wegzukommen. Aktuell ist das wirklich nur positiv. Auch weil die Tennissaison wegen Corona schlicht nicht planbar ist.»
Züger ist nicht nur die einzige Tennisspielerin in der Rekrutenschule 2/20, sie ist die erste Vertreterin dieser Sportart überhaupt, welche die Spitzensportler-RS absolviert. «Ich kann mir nicht erklären, warum noch niemand diese Chance ergriffen hat», sagt sie. Zwar kenne sie viele Spielerinnen, die sich beworben hätten, mangels entsprechender Qualifikation durch Swiss Olympic aber nicht angenommen worden seien. «Swiss Tennis hätte schon früher bei Swiss Olympic und der Armee eine Liste mit in Frage kommenden Athleten einreichen können», sagt Kurt Henauer von der Kommunikationsabteilung des Bundesamts für Sport (Baspo). Zu einer Teilnahme an der RS kam es nie. «Ich denke, in Zukunft werden das wohl einige machen. Es ist ganz einfach eine gute Sache», sagt Joanne Züger.
Profitieren von den Besten
Alle Spitzensportrekrutinnen und -rekruten müssen von ihrem Verband vorgeschlagen werden und das Potenzial für internationale Erfolge haben. Sie müssen diensttauglich sein, ein Commitment zur Armee abgeben und einen Bewerbungsprozess durchlaufen, nach dem sie rund acht Monate vor RS-Start den definitiven Bescheid über ihre Zulassung erhalten.
50 Spitzensportler gehören zur Schule 2/20, 15 davon sind Frauen. Die grösste Gruppe stellen mit je sieben Athletinnen oder Athleten der Rudersport und die Leichtathletik. Darunter finden sich die beiden derzeit besten Zehnkämpfer der Schweiz: Simon Ehammer und der Maispracher Finley Gaio. «Ich freue mich darauf, ab Oktober mit ihm zu trainieren», hatte der Oberbaselbieter schon im August gesagt, als er an den Schweizermeisterschaften hinter dem Appenzeller den zweiten Rang belegte. Er hofft, vom Überflieger der vergangenen Saison zu profitieren. Ehammer hat dieses Jahr die 8000-Punkte-Marke im Zehnkampf übertroffen. Gaio hat dieses Ziel noch vor Augen. «Wir werden im Training stark voneinander profitieren», ist der 21-Jährige überzeugt.
Im vergangenen Winter wurde Gaio von einer Verletzung gebremst. Im Sommer verbesserte er zwar seine persönliche Bestleistung, wusste aber stets, dass noch bessere Zeiten, Weiten und Höhen möglich wären. Die Spitzensport-RS bietet ihm gute Trainingsbedingungen mit dem aktuell bestmöglichen Trainingspartner. «Es gibt wohl keine bessere Vorbereitung auf die Hallensaison», sagt Gaio, der die 8000 Punkte kommendes Jahr knacken will.
Trainieren wie ein Profi
Athletinnen und Athleten aus Sommersportarten absolvieren die Rekrutenschule im Winter und umgekehrt. «In der Regel schaut man bei Teamsportarten, dass mehrere in der gleichen RS sind», sagt Henauer vom Baspo. Dies war ein entscheidender Punkt für Orientierungsläuferin Sofie Bachmann: «Wir haben vor anderthalb Jahren eine Trainingsgruppe mit dem konkreten Ziel gebildet, die Spitzensport-RS zu absolvieren», sagt die Reigoldswilerin. Ihr habe von Beginn weg viel daran gelegen, da ihr die Zusammensetzung des Trainingsumfelds sehr wichtig ist.
Für die Spitzensportler-RS hat sich die 22-Jährige aber nicht entschieden, um mit guten Freundinnen durch den Wald zu rennen. «Das ist für mich eine langfristige Investition in meine Karriere. Ich kann diesen Winter zu 100 Prozent auf die Karte Spitzensport setzen und trainieren wie ein Profi. Das ist neben der Uni sonst nicht möglich», sagt die Englisch-Studentin.
Die intensiven Trainings sollen Bachmann zu Erfolg bei ihren nächsten Zielen führen: «Ich will an die Sprint-Europameisterschaft, die kommendes Jahr in Neuenburg stattfindet», sagt sie. Ausserdem träumt sie von einer WM-Teilnahme in Tschechien im selben Jahr. «Das ist ein hochgestecktes Ziel, aber ich möchte sicher die Schweizer Top-Athletinnen an den Selektionsläufen herausfordern.»
Bis Bachmann, Gaio und Züger aber wieder an Wettkämpfe denken, heisst es in der Grundausbildung noch militärische Grade lernen, korrekt anmelden und Schuhe putzen innerhalb von vier Minuten. Also: Ausführen, Marsch! Abtreten!