«Kunstturnen ist Ellas Leidenschaft»
12.11.2020 Gelterkinden, Turnen, SportDie Eltern von Ella Bitterlin über das Vertrauen in die Trainer ihrer Tochter
Die «Magglingen-Protokolle» geben auch den Eltern von Ella Bitterlin, die dem nationalen Nachwuchskader angehört, zu denken. Sie stellen aber das Engagement ihrer Tochter nicht infrage, wie sie ...
Die Eltern von Ella Bitterlin über das Vertrauen in die Trainer ihrer Tochter
Die «Magglingen-Protokolle» geben auch den Eltern von Ella Bitterlin, die dem nationalen Nachwuchskader angehört, zu denken. Sie stellen aber das Engagement ihrer Tochter nicht infrage, wie sie sagen.
Jürg Gohl
Ihr Ziel sei es, an den Olympischen Spielen zu turnen, sagt Ella Bitterlin. Die 13-jährige Kunstturnerin aus Gelterkinden, die am NKL trainiert, befindet sich dazu auf einem guten Weg. Sie gehört bereits einem nationalen Nachwuchskader an. Die Reportage aus Magglingen beschäftigt sie und ihre Eltern sehr. Die Eltern Ursula und Christoph Bitterlin geben Auskunft darüber, wie es um ihr Vertrauen in die Trainer sowie um den Zwiespalt zwischen dem Schutz und dem Erfüllen des Traums ihrer Tochter steht. «Der Einsatz, um es an die Olympischen Spiele zu schaffen, ist hoch. Aber meine Turnleidenschaft treibt mich an, immer komplexere Elemente zu lernen und Grenzen zu überwinden. Dass ich dem Leistungsniveau meiner Vorbilder immer näher komme, spornt mich extrem an», sagt die junge Kunstturnerin gegenüber der Stiftung «Basel ist Sport», die talentierte Leistungssportler und -sportlerinnen wie Ella Bitterlin unterstützt.
Frau und Herr Bitterlin, waren Sie überrascht, als Sie von den «Magglingen-Protokollen» hörten?
Ursula und Christoph Bitterlin: Sehr. Wir kennen die Nationaltrainer. Sie besuchen Trainings in Liestal regelmässig, bei Wettkämpfen oder am Kadertest sind sie da. Bei Kaderzusammenzügen fährt Ella oft nach Magglingen und trainiert dort.
Hat der Bericht in der Familie Diskussionen ausgelöst?
Natürlich. Er hat aber zu keiner Grundsatzdiskussion geführt. Wir reden in der Familie sehr offen über aktuelle Themen, aber auch über Sorgen, Ängste, Probleme. Als Eltern stehen wir Ella sehr nahe. Sie redet offen und direkt über ihre Gefühle, und wir haben ein Gespür entwickelt. Wir merken, wenn etwas nicht stimmt. Wir holen sie am Abend nach dem Training in Liestal ab und merken sofort, ob das Training gut lief. Manchmal mag sie direkt darüber reden, manchmal braucht sie aber auch zuerst Ruhe. Spitzensport ist intensiv, Emotionen in alle Richtungen sind Alltag. Der Leistungsdruck im Sport ist hoch, aber auch das Zusammenspiel mit Schule und Ausgleich ist immer ein Auf und Ab.
Hat Ihre Tochter Ella schon von Ähnlichem erzählt, wie in den Protokollen zu lesen ist?
Die Struktur im Kunstturnen ist ein Machtgefüge. Dieses besteht aber wohl in den meisten Sportarten und auch in der Schule. Es ist immer heikel, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Trainer, Sportlerin und Eltern kommt, wo ein einseitiges Machtverhältnis besteht. Was sagt man? Wo schweigt man lieber? Auch wir haben schon Situationen erlebt, bei denen Ella oder wir Aussagen anders interpretiert haben und wir uns unfair behandelt fühlten. Wir sind bisher immer gut gefahren, indem wir diese Themen mit den Trainern unmittelbar angesprochen haben. Man muss sich bewusst sein, dass die Kinder täglich mit den Trainern in der Halle sind. Ella trainiert 25 Stunden an 6 Tagen. Da sind nicht immer alle Auseinandersetzungen professionell. Aber von gravierenden Erniedrigungen oder Übergriffen können wir nicht berichten.
Sprachen Sie als Eltern Ihre Tochter schon auf Themen wie Mobbing, Essstörungen oder Depressionen an?
Ella ist eine sehr offene, interessierte und sensible Person. Sie fragt alles und kennt keine Tabus. Mobbing, Essstörungen und Depressionen sind Themen, die wir ansprechen. Ella war und ist aber nicht betroffen. Wir versuchen, unsere Kinder zu selbstständigen und starken Persönlichkeiten zu erziehen und sie insofern zu schützen.
Hat Ella im Sport schon eine Krise durchlebt?
Ja. Vergangenes Jahr, als Ella im Training den Arm gebrochen hatte, erlebte sie eine schwierige Phase. Ihr fehlte das Training, die ganze Wettkampfsaison war verpasst, ihr fehlte ein Ziel. Da nahmen wir für Ella professionelle Unterstützung durch eine Mentaltrainerin in Anspruch. Der Kontakt zu ihr besteht weiterhin. Das Wissen um eine neutrale Anlaufstelle für Ella ist uns wichtig. Wir sind alle Teil des Systems.
Stehen Sie weiterhin voll dahinter, dass Ella an Olympische Spiele will?
Wir unterstützen unsere Kinder auf ihrem Lebensweg. Hauptsache, sie sind glücklich und gesund. Olympia ist Ellas Traum. Wir sind aber alle realistisch. Der Weg ist noch weit, und es ist uns bewusst, dass dafür sehr vieles stimmen muss. Wir unterstützen Ella, die Motivation muss sie aber selber aufbringen. Und wenn der Weg in eine andere Richtung geht, akzeptieren wir das. Ella hat aber immer noch sehr viel Freude am Kunstturnen. Es ist ihre Leidenschaft.
Wie steht es um Ihr Vertrauen in das NKL?
Wir haben Vertrauen ins NKL, und es ist auch unsere erste Anlaufstelle. Bisher konnten wir stets alle unsere Anliegen vorbringen. Diese wurden unmittelbar besprochen. Zu den Trainern besteht ein gutes Verhältnis. Das ist eine Grundvoraussetzung.